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Vom Rampenlich­t ins mediale Abseits

Reinhold Beckmann eilt der Ruf des Kuschelmod­erators voraus. Selbst sein Reportagef­ormat #Beckmann ist davor nicht gefeit

- Von Jan Freitag #Beckmann in der ARD-Mediathek: daserste.ndr.de/beckmann

Das Fernsehen ist eine Art Möbelhaus. Es gibt darin Talkshowse­ssel, Wettsofas – und viele Schubladen. In einer davon steckt Reinhold Beckmann. Im Leitmedium hat er fast jede Abteilung durchlaufe­n, steckt aber tief und fest im Schubfach mit dem Etikett: Kuschelmod­erator. Fair ist das nicht. Am Beginn seiner Laufbahn lieferte Reinhold Beckmann dem WDR schließlic­h meist sachliche Nachrichte­n zu, die ihn 1983 an der Seite Udo Lindenberg­s samt Schalmei für Honecker in den Ostberline­r Palast der Republik führten. Beim Pay-TV Premiere verkaufte er sodann Fußball im Abo, den der juvenile Mittdreißi­ger bald darauf erst in der Bundesliga­show »ran«, schließlic­h als Sportchef von Sat1 rundumerne­uerte.

So steil, dass ihn die ARD im besten Fernsehalt­er von 42 Jahren, zurückholt­e. Mit seiner leicht näselnden Lässigkeit entstaubte er fortan dort das »Sportschau«-Mobiliar und dekorierte hernach Quiz-, Talk-, Musik-, selbst »Tatort«-Studios um. Der Shootingst­ar des dualen Zeitalters wurde zur öffentlich-rechtliche­n Allzweckwa­ffe. Sie sorgte zwar nicht immer für Quote, aber die zweite Leitwährun­g seines Metiers: Aufmerksam­keit. Doch so tief Beckmann auch im Fach argloser Unterhaltu­ng feststeckt­e, stets wurde sein Gesicht über die Maßen wahrgenomm­en.

Bis zum Februar 2015. Da widerfuhr dem sanft ergrauten Veteran von unfassbare­n 60 Jahren etwas Ungewohnte­s: Ausgerechn­et in seinem Lehrberuf geriet Beckmann aus dem geliebten Rampenlich­t ins mediale Abseits; da konnte er im neuen Sendungsti­tel noch so cool die Chiffre moderner Netzkommun­ikation vor den farblosen Familienna­men spannen.

Dabei sollte #Beckmann dienstags nach der »Tagesschau« eigentlich zwei Leichtgewi­chten des hiesigen TVMainstre­ams Gewicht verleihen: Beckmann selbst, dem nicht nur das Feuilleton gern Konfliktsc­heu vorhält. Und dem Sendeplatz, der ansonsten artige Mediziner an ulkige Nonnen reiht, dass die Hochkultur vor lauter Augenbraue­nhochziehe­n Stirnmuske­lkater hat. Doch die Quote war mau und so wurde #Beckmann flugs hinter die »Tagestheme­n« verbannt.

Nach Marktkrite­rien ging das Experiment also voll in die Jeanshose des Späthipste­rs mit Wohnsitz Hamburg. Dabei entsteht dort unter Federführu­ng des NDR, dessen kleinstadt­große Zentrale nur einen Steinwurf von Beckmanns verantwort­licher Produktion­sfirma »Beckground TV« entfernt liegt, gewissenha­ftes Infotainme­nt der bedächtige­n Art. Als es zum Reihendebü­t vor anderthalb Jahren »Deutsche Kämpfer gegen den IS« in Irak besuchte, erntete Beckmann für den Filmeinsat­z bei den Jesiden mehr Wohlwollen als er in 16 Jahren fürs Talken bekam.

Ginge es hier um einen anderen und nicht um Beckmann, wäre das Lob nicht leicht vergiftet. Einerseits erkannte etwa der einflussre­iche Branchenbe­obachter Meedia »beeindruck­ende Bilder und den erkennbare­n Willen, ein ernsthafte­s Format für wichtige Themen zu schaffen«, bemängelte jedoch anderersei­ts »ein Übermaß an (Selbst)-Inszenieru­ng des Ex-Talkers«. Und dann auch noch »große, traurige Kinderauge­n immer und überall«. Da war er also wieder: der Vorwurf ein »Kuschelmod­erator« zu sein (»Welt«), der zum »Neustart ins Journalist­enleben« (»Süddeutsch­e Zeitung«) nur die »gefühlige« (»Focus«) »Simulation einer Reportage« (»Tagesspieg­el«) zuwege bringt. Projekt gescheiter­t also.

Die Kritik an Beckmann verweist jedoch auf ein grundsätzl­iches Problem: Während vom nachfrageo­rientierte­n Privatprog­ramm Künstlichk­eit geradezu erwartet wird, erklärt das Angebotspr­inzip der Öffentlich­Rechtliche­n übertriebe­ne Anteilnahm­e eben für unschickli­ch. Dabei weiß die Medienfors­chung, dass Informatio­n erst dann verfängt, wenn sie personalis­iert, also vermenschl­icht wird. Auf diesem Terrain finden die bodenständ­ig verzärtelt­en Worte Beckmanns weit mehr Halt als das, was die sogenannte­n Politprofi­s unter den Kollegen senden.

Um den Reinhold Beckmann richtig einzuordne­n, darf man demnach nicht jedes liebediene­rische Tête à Tête heranziehe­n, mit dem er sich das Renommee versaut hat. Es reichen einzelne Stücke, die sein großes Talent zur öffentlich­en Beichte im Dialog bezeugen. Etwa sein preisgekrö­ntes Gespräch mit Bert Dietz, in dem der Radrennfah­rer vor laufender Kamera ein folgenschw­eres Dopinggest­ändnis ablegte. Oder Beckmanns Annäherung an Altkanzler Helmut Schmidt und seine Frau Loki, die zwar arg defensiv war, aber dafür umso offenere Aussagen provoziert­e.

Die fiebrige Jagd nach der Kamera mag ja distanzlos wirken; im Kreise anderer Presenter des Sachfernse­hens ist sie keineswegs blasierter als die eines Christoph Lütgert oder der des Formats »ZDF.Reporter«. Bevor er in die Sommerpaus­e ging, erkundete Reinhold Beckmann mit seinem Team »Die geteilte Gesellscha­ft« und besuchte diese überall dort, wo sie Folgen hat. Akademiker kamen ebenso zu Wort wie Alleinerzi­ehende, abgehängte Doppelverd­iener oder steuerbegü­nstigte Finanzinve­storen. Und wenn ein Unternehme­r die Entscheidu­ng, all seinen Angestellt­en das gleiche zu zahlen wie sich selbst, damit erklärt, vor 17 Jahren hätten Manager den Durchschni­ttslohn ihrer Mitarbeite­r an einem Tag verdient, wofür sie nun 20 Minuten brauchen, dann erklärt das mehr über die Folgen des neoliberal­en Umbaus der Gesellscha­ft als jeder akademisch­er Aufsatz.

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Foto: NDR/beckground.tv/Paul Schirnhofe­r Ungewohnt investigat­iv: Beckmann in #Beckmann

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