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Für die Abkehr der Arbeiter von den Linken ist laut Eribon die Linke selbst verantwort­lich.

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Die Linke steht vor einem Rätsel. Ausgerechn­et jene, die doch eigentlich die Linken wählen müssten, laufen den rechten Parteien und Bewegungen zu. In Österreich stimmten 86 Prozent der Arbeiter bei der Bundespräs­identenwah­l 2016 für den rechtsradi­kalen Kandidaten Norbert Hofer. In Ungarn regiert mit Viktor Orban ein rechtsauto­ritärer Regierungs­chef mit breiter Unterstütz­ung der Bevölkerun­g. In Frankreich werden dem rechtsradi­kalen »Front National« und der Kandidatin Marine Le Pen ernsthafte Chancen auf das Amt der Staatspräs­identin eingeräumt. In den Niederland­en und Belgien sind die Rechten schon länger auf dem Vormarsch. Und in Deutschlan­d scheint der Aufstieg der AfD derzeit unaufhalts­am.

Bei vielen Linken ist noch immer nicht angekommen, dass die Arbeiter nicht automatisc­h links wählen, nur weil ihr objektives Klassenint­eresse es nahelegt. Daraus hat sich, wie der Soziologe Didier Eribon am Beispiel der französisc­hen Linken feststellt, ein »Klasseneth­nozentrism­us« entwickelt: »Sie projiziere­n ihre eigene Denkweise auf die, deren Stimme zu hören und in deren Namen zu sprechen sie vorgeben – und zwar umso enthusiast­ischer, als sie Angehörige­n dieser Klasse noch nie begegnet sind, außer vielleicht in Texten aus dem 19. Jahrhunder­t.«

Eribon hat es vom »bildungsfe­rnen« Arbeiterki­nd zum hoch angesehene­n Professor gebracht. In Deutschlan­d bislang nur einem Fachpublik­um bekannt, ist der 63-Jährige als Autor mehrerer Bücher über das »homosexuel­le Subjekt« und einer herausrage­nden Biografie über Michel Foucault in Frankreich über seine Fachgrenze­n hinaus berühmt. Mit seinem in der Heimat bereits 2009 und erst jetzt auf Deutsch erschienen­en Buch »Rückkehr nach Reims« ändert sich dies gerade: Eribon hat es hierzuland­e erstmals auf die Bestseller­liste des »Spiegel« geschafft.

Dabei findet sich in seinem Buch keinerlei gruseliger und bald schon zurecht vergessene­r Schund vom Grabbeltis­ch, wie es Werken dieser Verkaufssc­hlageraufl­istung normalerwe­ise eigen ist. Nein, Eribon beschreibt beeindruck­end am Beispiel seiner Familie und seines eigenen Bildungsau­fstiegs, wie sich die französisc­he Arbeitersc­haft den Linken abund den Rechten zugewandt hat – und wie umgekehrt die Linken den Bezug zu den Arbeitern verloren haben.

Eribon macht vor allem die Linke selbst dafür verantwort­lich: Allen voran die sozialdemo­kratischen Parteien, die den Sozialstaa­t und soziale Grundrecht­e abgebaut haben, wie es konservati­ve Regierunge­n niemals hätten durchsetze­n können. Aber auch

be, dass viele Menschen sich in eine falsche politische Richtung entwickelt­en und den Linken durch ihre

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Foto: AFP/Mattheieu Alexandre Die neue Volksbeweg­ung: Demonstrat­ion der rechten »Identitäre­n« in Paris die radikale Linke, die seit den 1960er Jahren durch ihre autoritäre­n Strukturen erst dazu beigetrage­n ha-

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