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»An mir ist nichts Besonderes«

Judoka Majlinda Kelmendi ist bescheiden und holt erste Goldmedail­le für Kosovo

- Von Christoph Leuchtenbe­rg, Barra SID/nd

Majlinda Kelmendi gewann das erste Gold überhaupt für das erst seit 2008 unabhängig­e Kosovo. Sie ist die populärste Kosovarin. Eine Rolle, die sie nicht mag.

Majlinda Kelmendi vergrub ihr Gesicht in der breiten Brust ihres Trainers und weinte Sturzbäche. Nach dem historisch­en ersten Gold in der Geschichte Kosovos, der ersten Medaille überhaupt für den jungen Balkanstaa­t, brachen bei der JudoOlympi­asiegerin alle Dämme – und fernab von Rio in Kelmendis Heimat Jubelstürm­e los.

»Majlinda ist golden, Kosovo ist golden! Lasst uns diesen Meilenstei­n zusammen feiern«, rief Premiermin­ister Isa Mustafa seinen Landsleute­n in der Hauptstadt Pristina auf: »Was manche Länder nicht in Jahrzehnte­n zustande gebracht haben, hat unser geliebter Kosovo durch unsere glorreiche Heldin bereits bei seinen ersten Spielen geschafft.«

75 Staaten waren bis Sonntag noch ohne Olympiamed­aille, nun sind es nur noch 74. Kosovo, das sich 2008 von Serbien unabhängig erklärt hatte, ist dank Kelmendi kein weißer Fleck auf der Landkarte des Weltsports mehr.

»Diese Goldmedail­le bedeutet sehr viel für Kosovo«, sagte Kelmendi: »Wir haben einen Krieg überlebt, manche Kinder wissen immer noch nicht, ob ihre Eltern noch leben, haben nichts zu essen, keine Schulbüche­r. Ich sage der jungen Generation in Kosovo heute: Ihr könnt alles werden, was ihr wollt. Sogar amerikanis­cher Präsident.«

Dabei war die Volksheldi­n, die am Freitag bei der Eröffnungs­feier die Flagge des jungen Staates getragen hatte, noch 2012 am Tiefpunkt: Die Kosovarin durfte weder unter der Flagge ihres Landes an den olympische­n Judowettbe­werben in London antreten, noch unter der des Inter- nationalen Olympische­n Komitees. Schlussend­lich startete sie für Albanien. Damals scheiterte sie bereits in der zweiten Runde. Vier Jahre später folgte der doppelte Triumph. Es war ein persönlich­er Sieg, aber vor allem einer für die nationale Geschichte Kosovos.

Kelmendis Coup kam keineswegs überrasche­nd. Bereits 2013 war die Kämpferin aus dem Städtchen Peja ebenfalls in Rio de Janeiro Welt- meisterin für ihr frisch in den Weltverban­d aufgenomme­nes Land geworden, hatte damit Kosovos erstes WM-Gold überhaupt gewonnen. 2014 wiederholt­e Kelmendi in Tscheljabi­nsk ihren WM-Erfolg – spätestens seitdem ist sie die populärste Kosovarin überhaupt.

Eine Rolle, die Kelmendi ungern spielt. »Es ist egal, ob ich Weltmeiste­rin bin, ob ich Olympiasie­gerin bin. Ich werde immer das gleiche Mädchen aus Peja bleiben«, sagte sie: »Ich habe einfach hart gearbeitet, um meine Träume wahr werden zu lassen – aber das kann jeder. An mir ist nichts Besonderes.«

Kosovo bei Olympische­n Spielen – das ist derweil zumindest aus Sicht Serbiens ein Unding. Die Regierung in Belgrad betrachtet Kosovo als seine Provinz, ein unabhängig­es Auftreten wollen die Serben nicht hinnehmen. Am Wochenende rief die serbische Führung seine Olympiasta­rter dazu auf, eine Siegerehru­ng mit einem Kosovaren zu boykottier­en, das Podium zu verlassen.

»Andernfall­s würde dies bedeuten, dass unsere Sportler die Unabhängig­keit des sogenannte­n Staates Kosovo anerkennen würden«, sagte Sportminis­ter Vanja Udovicic: »Wir können nicht dieser Hymne zuhören und diese Flagge ansehen.« Mussten die Serben auch gar nicht: Eine serbische Judoka hatte sich erst gar nicht für die Olympische­n Spiele qualifizie­rt.

»Ich sage der jungen Generation in Kosovo heute: Ihr könnt alles werden, was ihr wollt. Sogar amerikanis­cher Präsident.« Majlinda Kelmendi

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Foto: imago/Kyodo News Majlinda Kelmendi (r.) gewann Gold in Rio.

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