»An mir ist nichts Besonderes«
Judoka Majlinda Kelmendi ist bescheiden und holt erste Goldmedaille für Kosovo
Majlinda Kelmendi gewann das erste Gold überhaupt für das erst seit 2008 unabhängige Kosovo. Sie ist die populärste Kosovarin. Eine Rolle, die sie nicht mag.
Majlinda Kelmendi vergrub ihr Gesicht in der breiten Brust ihres Trainers und weinte Sturzbäche. Nach dem historischen ersten Gold in der Geschichte Kosovos, der ersten Medaille überhaupt für den jungen Balkanstaat, brachen bei der JudoOlympiasiegerin alle Dämme – und fernab von Rio in Kelmendis Heimat Jubelstürme los.
»Majlinda ist golden, Kosovo ist golden! Lasst uns diesen Meilenstein zusammen feiern«, rief Premierminister Isa Mustafa seinen Landsleuten in der Hauptstadt Pristina auf: »Was manche Länder nicht in Jahrzehnten zustande gebracht haben, hat unser geliebter Kosovo durch unsere glorreiche Heldin bereits bei seinen ersten Spielen geschafft.«
75 Staaten waren bis Sonntag noch ohne Olympiamedaille, nun sind es nur noch 74. Kosovo, das sich 2008 von Serbien unabhängig erklärt hatte, ist dank Kelmendi kein weißer Fleck auf der Landkarte des Weltsports mehr.
»Diese Goldmedaille bedeutet sehr viel für Kosovo«, sagte Kelmendi: »Wir haben einen Krieg überlebt, manche Kinder wissen immer noch nicht, ob ihre Eltern noch leben, haben nichts zu essen, keine Schulbücher. Ich sage der jungen Generation in Kosovo heute: Ihr könnt alles werden, was ihr wollt. Sogar amerikanischer Präsident.«
Dabei war die Volksheldin, die am Freitag bei der Eröffnungsfeier die Flagge des jungen Staates getragen hatte, noch 2012 am Tiefpunkt: Die Kosovarin durfte weder unter der Flagge ihres Landes an den olympischen Judowettbewerben in London antreten, noch unter der des Inter- nationalen Olympischen Komitees. Schlussendlich startete sie für Albanien. Damals scheiterte sie bereits in der zweiten Runde. Vier Jahre später folgte der doppelte Triumph. Es war ein persönlicher Sieg, aber vor allem einer für die nationale Geschichte Kosovos.
Kelmendis Coup kam keineswegs überraschend. Bereits 2013 war die Kämpferin aus dem Städtchen Peja ebenfalls in Rio de Janeiro Welt- meisterin für ihr frisch in den Weltverband aufgenommenes Land geworden, hatte damit Kosovos erstes WM-Gold überhaupt gewonnen. 2014 wiederholte Kelmendi in Tscheljabinsk ihren WM-Erfolg – spätestens seitdem ist sie die populärste Kosovarin überhaupt.
Eine Rolle, die Kelmendi ungern spielt. »Es ist egal, ob ich Weltmeisterin bin, ob ich Olympiasiegerin bin. Ich werde immer das gleiche Mädchen aus Peja bleiben«, sagte sie: »Ich habe einfach hart gearbeitet, um meine Träume wahr werden zu lassen – aber das kann jeder. An mir ist nichts Besonderes.«
Kosovo bei Olympischen Spielen – das ist derweil zumindest aus Sicht Serbiens ein Unding. Die Regierung in Belgrad betrachtet Kosovo als seine Provinz, ein unabhängiges Auftreten wollen die Serben nicht hinnehmen. Am Wochenende rief die serbische Führung seine Olympiastarter dazu auf, eine Siegerehrung mit einem Kosovaren zu boykottieren, das Podium zu verlassen.
»Andernfalls würde dies bedeuten, dass unsere Sportler die Unabhängigkeit des sogenannten Staates Kosovo anerkennen würden«, sagte Sportminister Vanja Udovicic: »Wir können nicht dieser Hymne zuhören und diese Flagge ansehen.« Mussten die Serben auch gar nicht: Eine serbische Judoka hatte sich erst gar nicht für die Olympischen Spiele qualifiziert.
»Ich sage der jungen Generation in Kosovo heute: Ihr könnt alles werden, was ihr wollt. Sogar amerikanischer Präsident.« Majlinda Kelmendi