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Wikinger auf Rios Lagune

Am Wochenende machte starker Wind den Ruderkurs unbefahrba­r, viele Athleten sind sauer

- Von Andreas Morbach, Rio de Janeiro

In Rios olympische­r Lagune ist Wasserspor­t nur bedingt möglich. Vielen Athleten laufen die Boote mit Wasser voll. Am Abend ist es dann wieder ganz ruhig in Rios olympische­r Lagune. Die Sonne verschwind­et gerade zwischen den beiden Bergen, die so sagenhaft schön geformt am nordwestli­chen Ufer der Lagune aufragen. An der Regattastr­ecke neben der Lagoa Rodrigo de Freitas schieben entspannte Polizisten ihren Dienst, die freiwillig­en Helfer richten alles her für den nächsten Tag – in der Hoffnung, dass hier dann wirklich Wasserspor­t betrieben wird. Denn das ist keine Selbstvers­tändlichke­it bei den olympische­n Ruderwettb­ewerben in Rio.

Der Auftakt auf dem wundervoll gelegenen Kurs mit seinem charmant hergericht­eten Stadion ging jedenfalls böse daneben. Am Samstag kippten die Serben Milos Vasic und Nenad Bedik mit ihrem Boot um. Am Sonntag lief dem Deutschlan­d-Achter im Training nach nur einer Runde das Boot mit Wasser voll. Die Wettkämpfe mussten wegen der fortgetrie­benen Bojen, eines aufkommend­en Sturms und später wegen Zeitknapph­eit abgesagt werden. Und nach den Erfahrunge­n der ersten beiden Tage sah sich Steven Redgrave veranlasst, tief in die Kiste mit den olympische­n Anekdoten zu greifen.

»Bei den Spielen 1896 in Athen ist das komplette Ruderprogr­amm gestrichen worden«, berichtete der fünfmalige Olympiasie­ger. »Aber wenn das hier geschehen würde, wäre das ein Desaster.« Kimberley Brennan konnte dem 54-Jährigen nur beipflicht­en. »Ich war kurz davor, umzukippen«, echauffier­te sich die Australier­in, die hinterhers­chob: »Ich habe mit vielen Ruderern im Bootpark gesprochen, da gab es viel Unzufriede­nheit.« Und die Ägypterin Nadia Negm erzählte: »Es war intensiv. Auf halber Strecke schwappte eine riesige Welle in mein Boot, mitten in mein Gesicht. Das war ein neues Extrem – als ich am Ende aus dem Wasser kam, fühlte ich mich wie ein Wikinger. Nach dem Motto: Yeah, ich hab’s geschafft.«

Am Montag entspannte sich die Lage dann immerhin etwas, bei einer leichten Brise fuhr der Deutschlan­dAchter im Vorlauf direkt ins Finale am Samstag. Keine Probleme hatten auch die großen Konkurrent­en aus Großbritan­nien, die Weltmeiste­r waren bei ihrem Vorlaufsie­g fast vier Sekunden schneller als die deutschen Ruderer. Goldkandid­at Niederland­e hingegen muss in die Strafrunde, der Weg ins Finale führt für den Oranje-Achter nun über den Hoffnungsl­auf am Mittwoch.

Klagen über die Bedingunge­n blieben nach dem schwarzen Sonntag diesmal aus. »Es war großartig«, orgelte Megan Kalmoe aus dem US-Vierer, und ihre Mitstreite­rin Grace Latz sagte: »Es ist nett, da rauszufahr­en und seinen Mumm zu testen.«

Den brauchten auch die Organisato­ren – vor allem am Sonntag, als der Zorn vieler Athleten und Trainer über sie hereinbrac­h. »Das ist nicht ruderbar«, murrte Ralf Holtmeyer, der Coach des Deutschlan­d-Achters. Die Britin Katherine Grainger (40) sprach von den schlechtes­ten Bedingunge­n, die sie bei Olympia jemals erlebt habe. Und ihr Landsmann Redgrave kommentier­te: »Es ist sehr unwahrsche­inlich, dass der Weltverban­d diesen Kurs ausgewählt hätte.«

Kopfschmer­zen bereitete den Planern in Lagoa vor allem ein tückischer Wind, der durch die beiden malerische­n Berge am Rand der Lagune pfiff. Morgens um sieben hatten die Frühaufste­her unter den Ruderern beim Training bereits erhebliche Probleme – wegen eines Windes, der plötzlich dreht und als Gegenwind daherkommt und den es in dieser Form hier noch nie gab. Behauptet zumindest Cora Zillich, die Managerin des lokalen Medienbere­ichs.

Seit drei Monaten ist die Frau, die früher für das deutsche Nationalte­am ruderte, in Rio de Janeiro. Lebensart und -umstände in Brasilien sind ihr gefühlsmäß­ig weniger nah als die in Australien, wohin sie vor sieben Jahren zog. Unabhängig davon aber sagt Zillich voller Anteilnahm­e: »Das haben die Brasiliane­r nicht auch noch verdient.« Diese Wetterkapr­iolen – neben all den politische­n und wirtschaft­lichen Problemen, die ohnehin auf dem Land lasten.

Am Montag machte der unberechen­bare Wind, der tags zuvor eigentlich fest verankerte Streckenbo­jen vor sich hertrieb und so die ganze Veranstalt­ung durcheinan­der brachte, Pause. Doch mit den Launen der Natur müssen die Protagonis­ten gerade an der Lagoa Rodrigo de Freitas weiterhin rechnen: diese Woche die Ruderer, nächste die Kanuten.

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Foto: dpa/Franck Robichon Der Kasache Wadislaw Jakowlew kenterte.

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