Wikinger auf Rios Lagune
Am Wochenende machte starker Wind den Ruderkurs unbefahrbar, viele Athleten sind sauer
In Rios olympischer Lagune ist Wassersport nur bedingt möglich. Vielen Athleten laufen die Boote mit Wasser voll. Am Abend ist es dann wieder ganz ruhig in Rios olympischer Lagune. Die Sonne verschwindet gerade zwischen den beiden Bergen, die so sagenhaft schön geformt am nordwestlichen Ufer der Lagune aufragen. An der Regattastrecke neben der Lagoa Rodrigo de Freitas schieben entspannte Polizisten ihren Dienst, die freiwilligen Helfer richten alles her für den nächsten Tag – in der Hoffnung, dass hier dann wirklich Wassersport betrieben wird. Denn das ist keine Selbstverständlichkeit bei den olympischen Ruderwettbewerben in Rio.
Der Auftakt auf dem wundervoll gelegenen Kurs mit seinem charmant hergerichteten Stadion ging jedenfalls böse daneben. Am Samstag kippten die Serben Milos Vasic und Nenad Bedik mit ihrem Boot um. Am Sonntag lief dem Deutschland-Achter im Training nach nur einer Runde das Boot mit Wasser voll. Die Wettkämpfe mussten wegen der fortgetriebenen Bojen, eines aufkommenden Sturms und später wegen Zeitknappheit abgesagt werden. Und nach den Erfahrungen der ersten beiden Tage sah sich Steven Redgrave veranlasst, tief in die Kiste mit den olympischen Anekdoten zu greifen.
»Bei den Spielen 1896 in Athen ist das komplette Ruderprogramm gestrichen worden«, berichtete der fünfmalige Olympiasieger. »Aber wenn das hier geschehen würde, wäre das ein Desaster.« Kimberley Brennan konnte dem 54-Jährigen nur beipflichten. »Ich war kurz davor, umzukippen«, echauffierte sich die Australierin, die hinterherschob: »Ich habe mit vielen Ruderern im Bootpark gesprochen, da gab es viel Unzufriedenheit.« Und die Ägypterin Nadia Negm erzählte: »Es war intensiv. Auf halber Strecke schwappte eine riesige Welle in mein Boot, mitten in mein Gesicht. Das war ein neues Extrem – als ich am Ende aus dem Wasser kam, fühlte ich mich wie ein Wikinger. Nach dem Motto: Yeah, ich hab’s geschafft.«
Am Montag entspannte sich die Lage dann immerhin etwas, bei einer leichten Brise fuhr der DeutschlandAchter im Vorlauf direkt ins Finale am Samstag. Keine Probleme hatten auch die großen Konkurrenten aus Großbritannien, die Weltmeister waren bei ihrem Vorlaufsieg fast vier Sekunden schneller als die deutschen Ruderer. Goldkandidat Niederlande hingegen muss in die Strafrunde, der Weg ins Finale führt für den Oranje-Achter nun über den Hoffnungslauf am Mittwoch.
Klagen über die Bedingungen blieben nach dem schwarzen Sonntag diesmal aus. »Es war großartig«, orgelte Megan Kalmoe aus dem US-Vierer, und ihre Mitstreiterin Grace Latz sagte: »Es ist nett, da rauszufahren und seinen Mumm zu testen.«
Den brauchten auch die Organisatoren – vor allem am Sonntag, als der Zorn vieler Athleten und Trainer über sie hereinbrach. »Das ist nicht ruderbar«, murrte Ralf Holtmeyer, der Coach des Deutschland-Achters. Die Britin Katherine Grainger (40) sprach von den schlechtesten Bedingungen, die sie bei Olympia jemals erlebt habe. Und ihr Landsmann Redgrave kommentierte: »Es ist sehr unwahrscheinlich, dass der Weltverband diesen Kurs ausgewählt hätte.«
Kopfschmerzen bereitete den Planern in Lagoa vor allem ein tückischer Wind, der durch die beiden malerischen Berge am Rand der Lagune pfiff. Morgens um sieben hatten die Frühaufsteher unter den Ruderern beim Training bereits erhebliche Probleme – wegen eines Windes, der plötzlich dreht und als Gegenwind daherkommt und den es in dieser Form hier noch nie gab. Behauptet zumindest Cora Zillich, die Managerin des lokalen Medienbereichs.
Seit drei Monaten ist die Frau, die früher für das deutsche Nationalteam ruderte, in Rio de Janeiro. Lebensart und -umstände in Brasilien sind ihr gefühlsmäßig weniger nah als die in Australien, wohin sie vor sieben Jahren zog. Unabhängig davon aber sagt Zillich voller Anteilnahme: »Das haben die Brasilianer nicht auch noch verdient.« Diese Wetterkapriolen – neben all den politischen und wirtschaftlichen Problemen, die ohnehin auf dem Land lasten.
Am Montag machte der unberechenbare Wind, der tags zuvor eigentlich fest verankerte Streckenbojen vor sich hertrieb und so die ganze Veranstaltung durcheinander brachte, Pause. Doch mit den Launen der Natur müssen die Protagonisten gerade an der Lagoa Rodrigo de Freitas weiterhin rechnen: diese Woche die Ruderer, nächste die Kanuten.