Schreck am Strand
Beim olympischen Straßenrennen der Frauen stürzt die Niederländerin Annemiek van Vleuten schwer
Der Sieg der Niederländerin Anna van der Breggen wurde überschattet vom schweren Sturz ihrer Teamkollegin Annemiek van Vleuten. Einige Fahrer kritisieren die Strecke als zu gefährlich. Es gibt wohl keine malerischere Zielankunft für ein Radrennen als die Avenida Atlántica, jenen Strandboulevard in Copacabana, der jeden Sonntag für Radfahrer, Inlineskater und Skateboarder gesperrt wird. Rios Prachtstraße bildete am Montag die Schlusskulisse für die 68 Frauen, die sich gegen Mittag auf den 136 Kilometer langen Kurs des olympischen Straßenrennens begeben hatten.
Da auch der zum Ziel gehörige Strandabschnitt weiträumig abgesperrt war, begab es sich, dass die wenigen Hundert Zuschauer, die Eintrittskarten hatten, nicht nur die Promenade ganz für sich allein hatten, sondern auch den Sand und die Wellen nebenan. Also zogen die Fans ihre Oranje-Hemden und SchwedenTrikots aus und legten sich mit einer Cola oder einem Bier in der Hand an den Strand, von wo aus sie das Rennen auf einer großen Leinwand verfolgten. Für Public Viewing gibt es keinen besseren Ort als Copacabana, spätestens seit der Fußball-WM 2014 weiß das die ganze Welt.
Die Radsportlerinnen, unter denen sich neben den Fahrerinnen aus den USA und den Niederlanden auch das deutsche Quartett große Hoffnungen auf den Sieg machte, quälten sich hingegen über einen ausgesprochen schwierigen Kurs. Rund um Rio erheben sich gewaltige Berge, an denen es harte Anstiege zu erklimmen galt.
Gespannt beobachteten die Fans in Copacabana eine erkleckliche Zahl von Ausreißversuchen, bis es an den abschließenden Anstieg zum Aussichtspunkt Vista Chinesa ging: 8,5 Kilometer lang, mit Teilsteigungen von bis zu 15 Prozent. Als Erste erklomm die Niederländerin Annemiek Van Vleuten den Gipfel, mit ein paar Sekunden Abstand folgte ihr die USFahrerin Mara Abbott. Mit vollem Risiko stürzten sich die Konkurrentin- nen um Gold in die Abfahrt. In einer Rechtskurve passierte es: Annemiek van Vleuten trug es aus der Kurve, sie prallte auf die Bordsteinkante, der Körper klappte zusammen. Reglos blieb sie liegen.
An der Copacabana verstummten die Gespräche, die Oranje-Fans, etliche von ihnen Angehörige von Fahrerinnen, eilten zum Zielraum, um zu erfahren, wie es um die Gestürzte steht. Dass das Rennen weiterlief, dass Mara Abbott 150 Meter vor dem Ziel noch von drei Verfolgerinnen eingeholt wurde, dass schließlich van Vleutens Teamkollegin Anna van der Breggen in 3:51:27 Stunden Gold gewann, alles spielte keine Rolle mehr. Dass trotzdem viele im Zielraum jubelten, lag vor allem daran, dass längst nicht jeder den Sturz mitbekommen hatte.
Auch Goldmedaillengewinnerin Anna van der Breggen konnte sich anfangs kaum an ihrem Sieg erfreuen. Die Niederländerin war als eine der ersten Fahrerinnen an der gestürzten Kollegin vorbeigefahren. »Ich dachte kurz, dass sie tot ist«, so beschrieb es van der Breggen später. »Ich war echt schockiert.«
Schließlich machte aber die Entwarnung die Runde im Zielbereich von Copacabana: Van Vleuten sei bei Bewusstsein und auf dem Weg ins Krankenhaus, was auch bei den Kon- kurrentinnen für Erleichterung sorgte: »Stürze gehören leider zu unserem Sport«, so umschrieb es die Cottbuser Zeitfahrweltmeisterin Trixi Worrack, der im März nach einem Sturz eine Niere entfernt werden musste. Worrack war während des Rennens lange in der Spitzengruppe mitgefahren, ihre kletterstarke Kollegin Claudia Lichtenberg aus München sollte am letzten Angriff nach vorn fahren. Doch wegen eines Infekts fuhr Lichtenberg völlig kraftlos und wurde nur 31. Beste Deutsche war Lisa Brennauer als 19. mit 5:07 Minuten Rückstand.
Die gestürzte Annemiek Van Vleuten hingegen verbrachte die Nacht zum Montag auf der Intensivstation. Eine schwere Gehirnerschütterung sowie drei kleinere Frakturen im Lendenwirbelbereich – so lauteten ihre Diagnosen. »Ich warte auf einige Untersuchungen und hoffe, dass ich heute rauskomme«, twitterte die 33-Jährige am Montag. Dass der Schock bei ihr weit weniger tief sitzt als bei Kollegen und Zuschauern verriet ein weiterer Tweet: »Nach dem besten Rennen meiner Karriere bin ich aber vor allem super enttäuscht.« Stürzen kann man im Radsport eigentlich jederzeit, doch so nahe wie Annemiek van Vleuten am Montag kommt man dem Olympiasieg nur ganz selten.