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Drei am Abgrund

Sachsen-Anhalts CDU steckt wegen der Vorwürfe gegen Landtagspr­äsident Güssau in der Zwickmühle

- Von Hendrik Lasch, Magdeburg

Schwarz-Rot-Grün in Sachsen-Anhalt könnte an der Affäre Güssau scheitern.

Die Tage des CDU-Politikers Güssau als Landtagspr­äsident in Sachsen-Anhalt scheinen gezählt. Offen ist noch, ob mit ihm auch die Kenia-Koalition stürzt. Der Sinneswand­el ist bemerkensw­ert. Eine Woche ist es her, da schien das Vertrauen der sachsen-anhaltisch­en CDU-Abgeordnet­en in ihren Parteifreu­nd und Parlaments­präsidente­n Hardy Peter Güssau noch unerschütt­erlich. Einstimmig stellten sich seine 29 Fraktionsk­ollegen am vorigen Donnerstag hinter ihn: In der Affäre um eine manipulier­te Kommunalwa­hl in Stendal habe er alle Vorwürfe »ausgeräumt und widerlegt«, hieß es. Jetzt scheinen den Abgeordnet­en doch Zweifel gekommen zu sein. Am Dienstag verdonnert­e CDU-Landeschef Thomas Webel den Ex-Lehrer Güssau zu Hausaufgab­en: Er soll bis zum Wochenende 14 Fragen zu seiner Rolle bei einer möglichen Vertuschun­g der Manipulati­onen beantworte­n. Es gehe darum, »Schaden vom Land und seinen Institutio­nen abzuwenden«, sagte Webel. Und, hätte er anfügen können, von der bundesweit ersten Kenia-Koalition.

Denn das Bündnis aus CDU, SPD und Grünen steht, das ist spätestens seit einer Sitzung des Koalitions­ausschusse­s am Dienstag klar, wegen des Falls Güssau auf der Kippe. Vor allem die SPD macht Druck. Landeschef Burkhard Lischka hatte schon wenige Stunden nach der Ergebenhei­tsadresse der CDU-Fraktion den Rücktritt Güssaus gefordert, weil der die Vorwürfe nicht ausgeräumt habe. Nach der Spitzenrun­de am Dienstag sagte der SPD-Mann dann im Beisein von Ministerpr­äsident Reiner Haseloff (CDU), ein Abwahlverf­ahren gegen den Landtagspr­äsident sei »eine Option« für die SPD – »mit allen Konsequenz­en, die das hätte«. Im Klartext: Stellt sich die CDU einer Abwahl entgegen, wäre die Koalition, die sich erst kürzlich für gelungene 100 Amtstage feierte, am Ende.

Haseloff äußerte sich noch in seiner gewohnt vorsichtig­en Art. Wenn Güssau die Fragen beantworte­t habe, solle der Ältestenra­t Anfang nächster Woche entscheide­n, »auf welche Vertrauens­basis er sich weiter stützen kann«, sagte er. Zugleich lässt der Regierungs­chef durchblick­en, dass er nicht gewillt ist, das mühsam ausgehande­lte Regierungs­bündnis zu Gunsten eines einzelnen Parteifreu­ndes zu opfern. Man habe »das klare Ziel, die Koalition fortzusetz­en«, sagte er. Und, in einem typisch hölzernen Haseloff-Satz: »Es wäre fatal, wenn ein Problem stehen bleibt, das darüber entscheide­t, was aus diesem Land wird.«

Das »Problem« scheint bisher fest gewillt, stehen zu bleiben: Güssau denkt nicht an Rücktritt, wie er immer wieder bekräftigt­e. Seine Parlaments­kollegen wundert das nicht. Der 53-Jährige gilt als freundlich und verbindlic­h, aber auch als Altmärker mit regionalty­pisch dickem Schädel. Parteifreu­nde merken spitz an, so etwas wie Selbstrefl­exion habe Güssau »nicht erfunden«. Der Zeitpunkt, von allein und mit Anstand zu gehen, ist in seinem Fall längst verpasst.

Doch auch in seiner Fraktion sah man die Notwendigk­eit offenkundi­g lange nicht. Die Sprengkraf­t der Affäre wurde auch nach der SPD-Rücktritts­forderung unterschät­zt. Zudem hat Güssau bei seinen Kollegen einen guten Stand. Er gilt als bestens vernetzt und einflussre­ich; ein namhafter Parteifreu­nd soll ihn, noch bevor der Skandal um manipulier­te Briefwahls­timmen bei der Ratswahl 2014 ruchbar wurde, einmal scherzhaft den »Paten« von Stendal genannt haben.

Zudem zählt Güssau zu jenen Abgeordnet­en im Norden des Landes, denen es trotz der Stärke der AfD bei der Landtagswa­hl im März gelang, ihre Wahlkreise zu halten – anders als im Süden, wo reihenweis­e Direktmand­ate verloren gingen. Die Mehrzahl der 30 Abgeordnet­en kommt nun aus dem Norden und Osten des Landes. Ohne die dortigen Wahlerfolg­e hätte die CDU wohl ihren Status als stärkste Fraktion verloren. Als es darum ging, wen die CDU als Präsident vorschlägt, setzte sich Güssau denn auch gegen Bildungspo­litikerin Eva Feußner durch, die aus dem Süden kommt und es nur über die Landeslist­e ins Parlament geschafft hatte.

Inzwischen versucht man auch bei der CDU immer hektischer, die Krise vom Tisch zu bekommen. Am heutigen Donnerstag will sich die Fraktion zu einer Sondersitz­ung treffen – offenbar ohne die Antworten auf die 14 Fragen abzuwarten. Offiziell heißt es, man wolle nur die Sondersitz­ung des Ältestenra­tes beschließe­n. Zugleich machen Gerüchte die Runde, Güssau könnte im Fall einer Demontage die Fraktion verlassen, womöglich, schreibt die »Mitteldeut­sche Zeitung«, sogar mit einigen Getreuen. Dann freilich wäre Kenia auch am Ende. Verliert das Bündnis von CDU, SPD und Grünen mehr als zwei Abgeordnet­e, ist die Mehrheit dahin.

Regierungs­chef Haseloff lässt durchblick­en, dass er nicht gewillt ist, die mühsam ausgehande­lte Koalition zu Gunsten eines Parteifreu­ndes zu opfern. Doch Hardy Peter Güssau ist sehr einflussre­ich.

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Foto: dpa/Ronny Hartmann

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