Es geht voran
Immer mehr Superreiche, immer mehr Superreichtum
Berlin. In dieser Zeitung müssen Sie oft lesen, wie mies es vielen Leuten geht: kein Geld, keine Arbeit, keine Aussichten. Wir wissen natürlich, dass zu viele solcher negativen Nachrichten einem die Laune verderben können.
Deshalb vermelden wir hier nun auch einmal, dass der Kapitalismus wie geschmiert läuft. Es geht voran, jedenfalls für einige. Die Zahl der Superreichen weltweit ist 2015 um 5,4 Prozent gewachsen und ihr Super- reichtum global betrachtet auch. Laut dem Institut WealthX stieg die Zahl der Dollar-Milliardäre auf 2473, sie beanspruchen 7,7 Billionen Dollar als ihr Vermögen. Das sind 6 868 717 245 000 Euro. Oder: eine Summe, die fast dem Bruttoinlandsprodukt von Spanien, Frankreich und Deutschland zusammen entspricht. Die Angaben von Wealth-X beruhen auf öffentlichen Quellen, die Dunkelziffer des Superreichtums dürfte noch höher liegen. Denn viel wissen wir über die Welt der Milliardäre nicht. Immerhin dies: Die meisten leben in Nordamerika und Europa.
Apropos: Auch hierzulande wächst das Nettogeldvermögen fröhlich – Ende des ersten Quartals 2016 waren es 3,7 Billionen Euro, gegenüber dem Vorjahreszeitraum ein Plus von 75 100 000 000 Euro. Die, das haben Sie und Ihr Konto schon selbst gemerkt, sind nicht gerecht verteilt. Mehr über Superreiche und was eine Vermögensteuer bringt, gibt es in dieser Zeitung.
Eine verfassungskonforme Ausgestaltung der Vermögensteuer wäre nicht schwer. Karlsruhe hat eine recht niedrige Hürde aufgestellt.
Geschichte wird gerne für Halbwahrheiten im politischen Schlagabtausch missbraucht, vor allem, wenn sich die meisten Leute nicht recht erinnern können. Das gilt auch für das Thema Vermögensteuer: Die Gegner verweisen gern darauf, dass das Bundesverfassungsgericht diese Steuer im Juni 1995 als grundgesetzwidrig abgeschafft habe, denn es handle sich um eine Substanzsteuer.
Und wie war es wirklich? Grundgesetz-Artikel 106 sieht ausdrücklich eine Vermögensteuer vor, wobei die Einnahmen den Ländern zustehen. Daran hegte das Verfassungsgericht in seinem Urteil auch keine Zweifel. Die Karlsruher Richter sahen hingegen einen Verstoß gegen den Gleich- heitsgrundsatz: Während Geldvermögen damals bei der Berechnung der Steuer voll erfasst wurden, wurden Immobilien nur mit etwa 50 Prozent des Marktwertes berechnet. Dies müsse der Gesetzgeber bis Ende 1996 ändern. Eine Mehrheit der Richter sah zudem Probleme mit dem Halbteilungsgrundsatz, laut dem der Gesetzgeber maximal die Hälfte des Einkommens als Steuern einziehen dürfe. Allerdings hat Karlsruhe später den Grundsatz aufgegeben: Eine allgemeinverbindliche Belastungsobergrenze in dieser Höhe lasse sich aus dem Grundgesetz nicht ableiten.
Unstrittig hingegen ist: Karlsruhe hat nicht etwa die Existenz einer Vermögensteuer für verfassungswidrig erklärt, sondern lediglich eine Reform des Vermögensteuergesetzes angemahnt. Die damalige CDU-CSUFDP-Regierung unter Kanzler Helmut Kohl, der Umverteilung von oben nach unten generell ein Dorn im Auge war, verweigerte sich dieser Auf- gabe. In der Folge wurde die Erhebung der Vermögensteuer 1997 ausgesetzt, was auch spätere Regierungen nicht änderten. Die häufig zu hörende Behauptung, die Steuer sei damals abgeschafft worden, ist falsch.
Leidtragende dieses Vorgehens waren die Bundesländer, denen hohe Steuereinnahmen entgingen. 1996, im letzten Jahr der Erhebung, hatten sie durch die Vermögensteuer noch gut neun Milliarden DM eingenommen. Der Satz betrug damals ein Prozent für Vermögen oberhalb eines Freibetrags von 120 000 DM pro Familienmitglied und 0,6 Prozent für Unternehmen.
Unter Finanzwissenschaftlern war und ist die Vermögensteuer so umstritten wie keine andere Steuer. Für neoliberale Ökonomen wie Joachim Lang von der Uni Köln ist sie nichts anderes als eine »steuerliche Missgeburt«. Dagegen versprechen sich linke Ökonomen wie Rudolf Hickel von der Uni Bremen »mehr Gerechtigkeit bei der steuerlichen Lastverteilung und eine Stärkung der Binnenwirtschaft«.
Gegner führen gerne das systematische Argument an, es handle sich um eine Substanzsteuer. Da sie ertragsunabhängig ist, werde sie nicht aus Einkommen oder Gewinnen be- stritten, sondern aus der Vermögenssubstanz. Allerdings: Zum Problem kann das nur in Krisenzeiten werden, wenn Unternehmen Verluste schreiben und die Steuerlast gar zur Insolvenz führen kann. Und der Gesetzgeber könnte für solche Fälle Befreiungstatbestände beschließen. Es geht eben nicht um Ja oder Nein zur Vermögensteuer, sondern nur um die konkrete gesetzliche Ausgestaltung.
Auch gibt es in Deutschland nach wie vor Substanzsteuern, ohne dass es darüber ernsthafte Debatten gäbe: die Grundsteuer und die Kfz-Steuer. Auch die Erbschaft- und Schenkungsteuer kann man in diese Kategorie packen. Ihr drohte im vergangenen Jahrzehnt übrigens das gleiche Schicksal wie der Vermögensteuer: Auch hier verlangte Karlsruhe eine Reform, da Grund- und Hausbesitz nur mit dem erheblich niedrigeren Bedarfswert statt nach dem bei einem Verkauf erzielbaren Wert berechnet wurde. Diesmal machte der Gesetzgeber seine Hausaufgaben: Seit 2009 werden Immobilien nach dem Marktwert besteuert. Um zu verhindern, dass Mittelschichten beim Erbe kleiner Wohnungen oder Häuschen mit erheblichen Steuern belastet werden, wurden einfach die Freibeträge deutlich erhöht. Eine Methode, mit der sich auch das Ver- fassungsproblem mit der Vermögensteuer ganz einfach erledigen ließe.
Probleme gäbe es eher im Alltag der Finanzbeamten. Viele Bürger horten Bargeld, Edelmetalle und Kunstwerke zuhause oder im Banktresor. Im Normalfall weiß der Fiskus nichts über solche Werte – ein Steilpass für Steuerhinterziehung. Solche Schwierigkeiten gibt es aber auch bei anderen Steuern, ohne dass dies dazu führen würde, dass eine Steuer gar nicht mehr erhoben wird.
Die Historie ist auf Seiten der Befürworter. Als Ende des 19. Jahrhunderts im industrialisierten Deutschland ein systematisches Steuerrecht eingeführt wurde, war die Vermögensteuer mit dabei. Ebenso in der Weimarer Republik und der DDR. Im Westen wurde 1952 das Vermögensteuergesetz verabschiedet. Die letzten 20 Jahre ohne Vermögensteuereinnahmen sind also nicht der Normalfall, sondern eine eigentlich unhaltbare Ausnahmesituation.
Die häufig zu hörende Behauptung, die Vermögensteuer sei damals abgeschafft worden, ist falsch.