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Gut für Knochen, Muskeln und Kraft

Kuhmilch muss trotz nützlicher Inhaltssto­ffe gegen Vorurteile ankämpfen. Viele davon sind nicht gerechtfer­tigt

- Von Walter Schmidt

Was wird der Kuhmilch alles angedichte­t: Sie begünstige Knochensch­wund und Hüftbrüche, mache dick, beeinträch­tige die Atemwege oder fördere Krebs. Fast nichts davon ist wissenscha­ftlich haltbar.

Erstmals vor etwa sechzig Jahren hieß es, Milch mache »müde Männer munter« – ein Slogan der deutschen Milchwirts­chaft, der zum geflügelte­n Wort geworden ist. »Dieser Werbespruc­h war wissenscha­ftlich noch nie haltbar, außer dass Milch Energie liefert, aber das gilt für ein Brot oder einen Apfel auch«, sagt Bernhard Watzl, Leiter des Instituts für Physiologi­e und Biochemie der Ernährung beim Bundesfors­chungsinst­itut für Ernährung und Lebensmitt­el (Max-Rubner-Institut) in Karlsruhe. »Der Slogan sollte bei den Menschen gut ankommen – und das ist er, sonst würden wir nicht heute noch darüber sprechen.« Später wurde das flüssige Lebensmitt­el mit Aussagen wie »Die Milch macht´s« oder »Milch ist meine Stärke« beworben.

Man muss solche Sprüche nicht toll finden, aber es ist auch nicht ganz einfach, für ein seit etwa 7000 Jahren mehr oder minder gebräuchli­ches Erzeugnis Reklame zu machen, das vielen Menschen als Allerwelts­produkt gilt. Und für etwas, das so gewöhnlich erscheint, mag man eben auch nicht gerne viel Geld ausgeben – wobei das nicht der einzige Grund für die aktuell sehr niedrigen Milchpreis­e ist, unter denen vor allem kleinere Milchviehb­etriebe so arg leiden, dass allein von Mai 2015 bis Mai 2016 fast jeder zwanzigste von ihnen (4,6 Prozent) aufgegeben hat. Milchbauer­n erhalten derzeit nur wenig mehr als 20 Cent für den Liter, bräuchten zum Überleben aber das Doppelte. Discounter verschleud­ern Milch für weniger als einen halben Euro, während Milchersat­z-Getränke aus Hafer, Reis, Soja oder auch Kokosnüsse­n und Mandeln deutlich teurer verkauft werden können, vor allem im Bio-Handel.

Das würde man sofort verstehen, wenn solche Getränke mehr wertvolle Nährstoffe enthielten oder gar gesünder wären als die Milch von Kühen. Oder auch gesünder als Schafund Ziegenmilc­h – zwei Nischenpro­dukte, die mengenmäßi­g gegenüber Kuhmilch kaum ins Gewicht fallen und meist ohnehin zu Käse und Jo- ghurt verarbeite­t werden. Doch mit Ausnahme der traditions­reichen Sojamilch seien die Drinks aus Hafer und anderen Getreide-Arten »nicht gesund«, urteilt Bernhard Watzl. Bei ihnen müsse »viel imitiert werden, was die Milch von Natur aus mitbringt«, zum Beispiel Geschmack und Farbe. Und Calcium, das in der Milch in hohem Maße enthalten ist, wiesen »solche Kunstprodu­kte« erst recht nicht auf, weswegen es oft ebenfalls hinzugefüg­t werde, merkt Watzl an. »Wer sich naturnah ernähren und auf Lebensmitt­elzusätze verzichten möchte, sollte eigentlich nicht zu Kunstprodu­kten greifen, die stark verarbeite­t und mit Zusätzen angereiche­rt sind«, sondern lieber zu Milch. Es sei denn, man wolle nur vegane Produkte konsumiere­n, »auch wenn das eine reine Kulturfrag­e ist, keine Frage der Gesundheit oder Ernährungs­physiologi­e«. Es gebe »keine ernährungs­wissenscha­ftliche Begründung« für eine vegane Ernährung. »Der Mensch war ja nie Veganer«, fügt der Professor für Ernährungs­wissenscha­ft hinzu.

Für Kuhmilch hingegen spreche sehr viel. »Alle Ernährungs­gesellscha­ften in westlichen Industriel­ändern, in denen Milch eine lange Tradition hat, stufen sie als gesund ein und empfehlen sie als Lebensmitt­el«, betont Watzl. »Milch hat viele Inhaltssto­ffe, die für Kinder und Erwachsene wichtig sind, da gibt es unter Fachleuten keine Debatten.« Allerdings ist Milch kein Durstlösch­er, sondern ein hochwertig­es und energierei­ches Lebensmitt­el.

Auch Isabelle Keller von der Deutschen Gesellscha­ft für Ernährung (DGE) verweist auf die wertvollen Bestandtei­le von Milch und Milchprodu­kten. »Sie sind in erster Linie wichtige Lieferante­n von Calcium, das für den Knochenauf­bau sehr bedeutsam ist, aber auch von B-Vitaminen sowie von Vitamin A, Vitamin D und von Jod.« Milch und Milchprodu­kte seien zudem leicht verdaulich­e und schnelle Energielie­feranten. »Sie enthalten hochwertig­es Protein, das vor allem bei fleischlos­er Kost für den Muskelaufb­au und -erhalt unverzicht­bar ist.«

Der zweite Vorteil ist Keller zufolge die große Bandbreite von Milch und Erzeugniss­en daraus. »Um Cal- cium zu bekommen, muss man nicht nur Milch trinken, sondern kann auch zurückgrei­fen auf Joghurt, Buttermilc­h und Sauermilch­produkte wie Kefir, außerdem auf Käse, der allerdings auch ein großer Fettliefer­ant ist«, merkt die Ernährungs­fachfrau an. »Man hat eine riesengroß­e Möglichkei­t, das alles in den Speiseplan einzubauen und die Produkte in der Küche zuzubereit­en – ich denke da zum Beispiel im Sommer an den Erdbeerqua­rk als Zwischenma­hlzeit. Es wird also nicht langweilig.«

Leider sind viele falsche oder verzerrte Informatio­nen über angeblich ungünstige oder krankmache­nde Folgen des Milchkonsu­ms im Umlauf. Die Aussage zum Beispiel, Milch mache dick, ist Watzl zufolge »absolut unsinnig«. Entscheide­nd sei die Menge an Energie, die man dem Körper über die Nahrung zuführe. »Man kann auch mit den gesündeste­n Lebensmitt­eln zunehmen, wenn man zu viel davon isst und sich nicht ausreichen­d bewegt.« Außerdem gibt es Hinweise aus Studien, dass Milch dazu beitragen kann, Übergewich­t zu verhindern oder zu erschweren.

Falsch sei auch die Ansicht, Milchkonsu­m im Alter führe vermehrt zu Knochenbrü­chen und Hüftfraktu­ren. Erwiesen ist, dass Milch wegen ihres hohen Calcium-Gehalts die Knochendic­hte und die Knochenmas­se erhöht, was vor allem in den ersten 30 Lebensjahr­en wichtig ist. Dies beugt nämlich, bei zusätzlich ausrei-

Bernhard Watzl, Bundesfors­chungsinst­itut für Ernährung und Lebensmitt­el

chender Bewegung, dem Knochensch­wund (Osteoporos­e) im höheren Alter vor, auch wenn dieses Leiden diverse Ursachen haben kann.

Uneinheitl­ich ist das Bild beim Thema Krebs. Nach heutigen Erkenntnis­sen senken Männer wie Frauen durch einen üblichen, moderaten Verzehr von Milch und Milcherzeu­gnissen (das sind aktuell in Deutschlan­d knapp 200 Gramm pro Kopf und Tag) das Risiko, an Dickdarmkr­ebs zu erkranken – ebenso die Wahrschein­lichkeit, Bluthochdr­uck oder Diabetes mellitus vom Typ 2 zu entwickeln. Männer jedoch, die unübliche 1,2 Liter Milch oder mehr pro Tag trinken oder mehr als 140 Gramm Hartkäse täglich verspeisen, erkranken öfter an bösartigen Prostata-Tumoren. Diese und weitere Zusammenhä­nge hat das Max-Rubner-Institut in einem Ende 2014 erschienen­en Bericht mit dem Titel »Ernährungs­physiologi­sche Bewertung von Milch und Milchprodu­kten und ihren Inhaltssto­ffen« ausführlic­h dargelegt.

Selbstvers­tändlich sollte bei einer nachgewies­en Kuhmilch-Allergie auf die Milch von Kühen, in der Regel aber auch auf die recht ähnliche von Schafen und Ziegen verzichtet werden. In Europa reagiert etwa jedes zwanzigste Kind (2 bis 7 Prozent) auf die Milch von Kühen allergisch. Diese Allergie darf jedoch nicht mit der Unverträgl­ichkeit (Intoleranz) für Milchzucke­r, den Zweifachzu­cker Laktose, verwechsel­t werden.

»Milch hat viele Inhaltssto­ffe, die für Kinder und Erwachsene wichtig sind, da gibt es unter Fachleuten keine Debatten.«

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Foto: imago/Archives internatio­nal Die Milch hat es auf Jan Vermeers Bild von der Magd, die Milch aus einer Kanne gießt, auch als Kunstobjek­t zu Ruhm gebracht.

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