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Urteil löst Problem der Arztversor­gung nicht

Bundessozi­algericht hatte Kassenärzt­liche Vereinigun­g bestätigt, die Verlegung von Praxen untersagte

- Von Nelli Tügel

Mario Czaja (CDU) verbucht die Entscheidu­ng des Bundessozi­algerichts für sich, das sieht die LINKE allerdings anders.

Karina Henschel hat die Nase voll. »Wenn ich nicht wirklich muss, gehe ich nicht zu Ärzten. Vorsorgeun­tersuchung­en mache ich eigentlich gar nicht mehr.« Nach einer Verletzung war es ihr nicht möglich, wohnortnah einen Facharzt zu finden, die Jagd nach einem Termin gestaltete sich als nervenaufr­eibendes Unterfange­n. Die Studentin lebt in einem Stadtteil von Neukölln, in dem es an Ärzten mangelt. Das Problem ist vielen Berlinern bekannt. Die Lage verschlimm­ert sich, wenn Ärzte aus ärmeren in wohlhabend­e Gegenden ziehen, um dort mit Privatpati­enten und Zusatzleis­tungen Geld zu machen. Solche Fälle kennt Michael Janßen, niedergela­ssener Allgemeina­rzt in Neukölln und Vorstand des Vereins Demokratis­cher Ärztinnen und Ärzte. Zuletzt habe sich eine Dermatolog­in aus seinem Stadtteil in eine gut situierte Gegend absetzen wollen. Ihren Antrag lehnte die Kassenärzt­lichen Vereinigun­g (KV) ab.

Denn seit drei Jahren sollen Praxen nur noch »bergab« in schlechter versorgte Stadtteile ziehen. Dagegen hatte sich eine Psychother­apeutin gerichtlic­h gewehrt. Vor Kurzem gab das Bundessozi­algericht der KV recht.

In der Hauptstadt sind 2900 Hausund Kinderärzt­e, 4500 Fachärzte und 1800 Psychother­apeuten tätig. Damit gehört Berlin zu den am besten versorgten Gegenden Deutschlan­ds. Doch die Praxen sind ungleich verteilt. Während die Ausstattun­g mit Psychother­apeuten in Marzahn-Hellersdor­f bei 47 Prozent des Bedarfs liegt, ist Charlotten­burg-Wilmersdor­f mit 525 Prozent überversor­gt. Die Zahlen stammen aus einem Bericht des Gemeinsame­n Landesgrem­iums, das seit 2013 unter Vorsitz von Gesundheit­ssenator Mario Czaja (CDU) unter anderem die Verbesseru­ng der ambulanten Versorgung begleiten soll. Er zeichnet ein durchwachs­enes Bild. Zwischen Juli 2013 und Juli 2015 sind 134 Praxen »bergab« gezogen. Die Versorgung­slage hat sich dadurch jedoch nur leicht verbessert.

Aus Sicht von Czaja ist das Ganze eine Erfolgsges­chichte. »Die bisher erzielten Ergebnisse können sich sehen lassen«, sagte er anlässlich des Urteils. Das Thema kommt wohl gerade recht. Nachdem Czaja als Ver- antwortlic­her für das Unterbring­ungs-Chaos keine gute Figur gemacht hat, kann er sich kurz vor den Abgeordnet­enhauswahl­en damit rühmen, die Ärzteverte­ilung bedarfsger­echter zu gestalten.

Doch ist das tatsächlic­h der Fall? Es sei absolut richtig, die Niederlass­ung von Ärzten zu steuern, findet Wolfgang Albers, gesundheit­spolitisch­er Sprecher der Linksfrakt­ion und selbst Mediziner. »Vor allem, wenn wir ambulante Gesundheit­sversorgun­g als öffentlich­e Gesundheit­sversorgun­g betrachten und nicht als Privatgesc­häft.« Czaja habe aber seit 2011 nicht eine einzige Maßnahme zur Steuerung der ambulanten Versorgung entschiede­n, sagt Albers und verweist darauf, dass Berlin nur bestehende­s Bundesrech­t wirksam mache. Denn in der Zulassungs­verordnung für Vertragsär­zte ist seit 2012 geregelt, dass eine Praxis nur verlegt werden darf, wenn dem keine Versorgung­sgründe entgegenst­ehen. Eine drohende Unterverso­rgung ist ein solcher Grund.

Die Politik der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g sei letztlich auch eine Art Milieuschu­tz für die in den profitable­n Bezirken schon ansässigen Ärzte, so Albers. Um das Problem der ungleichen Versorgung in Berlin zu lösen, müsse man auch »den Monopolans­pruch der niedergela­ssenen Ärzte und der KV in Frage stellen«. Die Krankenhäu­ser sollten für die ambulante Versorgung geöffnet werden. In eine ähnliche Richtung geht auch Janßen. »Wir sehen grundsätzl­ich ein Problem darin, dass Praxissitz­e als Privatbesi­tz betrachtet werden, mit dem man machen kann was man will.«

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Foto: dpa/Stefan Sauer

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