Mit dem Smartphone auf den Friedhof
Wie in Aschersleben an Verstorbene und an die Geschichte der ältesten Stadt Sachsen-Anhalts erinnert wird
Um Grabfeldern mehr Öffentlichkeit und neue Möglichkeiten auf Friedhöfen zu schaffen, entwickelte man in Aschersleben (Sachsen-Anhalt) eine ungewöhnliche Erinnerungsform. Ein Rundgang vor Ort.
Eine schnelllebige Zeit verlangt nach schnellen Antworten – auf Neudeutsch auch Quick Response genannt oder kurz QR. Eine findige japanische Firma ersann dafür sogar ein App-System für Smartphones: den QR-Code. Eigentlich eher für Fertigungslogistik, Produktwerbung, mobile Fahrplanauskunft oder zum Markieren von Haustieren kreiert, eröffnet sich hierfür in jüngerer Zeit ein Feld, das nicht zwingend nach schnellen Antworten schreit: der Friedhof. Und doch finden sich bereits auf ersten Grabmalen jene markanten QR- Code-Strukturen, so in Köln, Oldenburg oder auch in Aschersleben.
Ging die Initiative dafür zunächst eher von Steinmetzen aus, die sich einen Originalitätsbonus versprechen, entstand in Aschersleben die Idee hierzu im kommunalen Bauwirtschaftshof. Denn dessen Leiter André Könnecke hat in der ältesten Stadt Sachsen-Anhalts auch die Bestattungsfelder unter sich – seit der Wende ein einziges Zuschussgeschäft. Als er das Amt antrat, fehlte es hier so ziemlich an allem – von traditionellen Erdbestattungen über Besucherservice und zeitgemäßer Öffentlichkeitsinformation bis zu pflegearmen Alternativen für die namenlosen Aschestreufelder.
So verpachtete Könnecke zunächst Teilflächen, um zusätzliche Einnahmen zu generieren. Aber, so wurde er bald gefragt, müssen die Leute nun auch noch permanent auf dem Fried- hof mit dem Smartphone herumzappen? Der konterte, dass QR-Codes auf Grabsteinen inzwischen so salonfähig seien, dass auch der Deutsche Städtetag hierzu eine »Handlungsempfehlung« für seine 3400 Mitgliedskommunen herausgab. So nennt er es auch salopp »Friedhof 2.0«, was er mit Partnern umsetzte.
Es ist sozusagen ein Erinnerungspfad: An den meisten der 21 Grabstätten mit Persönlichkeiten der Ascherslebener Stadtgeschichte, an denen dieser vorbeiführt, findet der Besucher kleine Tafeln mit den kleinen schwarz-weißen Quadraten – und damit weitergehende Auskünfte zu den hier Ruhenden. Ein Click auf Smartphone oder Tablet, und man erfährt, dass Hermann Gieseler ein einflussreicher Gewerkschaftsfunktionär war, Wilhelm Friedrich Feit ein bedeutender Chemiker, Otto Arndt Verkehrsminister der DDR und Siegrid Tabbert erste Nachwende-Bürgermeisterin von Aschersleben.
Auch die Fabrikantenfamilien Bestehorn und Ramdohr – die eine machte in Maschinenbau, die andere in Getreidegroßhandel – prägten so lange die Stadt, dass ihre Namen bis heute jedes Schulkind in Aschersleben kennt. Ebenso die Geschichte von Erich Bertram und Gustav Reinhardt, zwei Feuerwehrleuten, die 1950 bei einem Großbrand im Häckselwerk Ramdohr starben. Mitglieder der Geschichtswerkstatt an der Kreisvolkshochschule in Aschersleben gruben die Biografien aus und bereiteten sie auf, eine Werbeagentur der Stadt band diese dann in eine neue QR-Erinnerungsseite im Internet ein. Sogar zur russischen Botschaft in Berlin nahm Portalbetreiber Uwe Hennig Kontakt auf, da sich auf dem Friedhof auch ein Ehrenmal für gefallene Sowjetsoldaten befindet. Parallel zum elektroni- schen Guide ließ die städtische Friedhofsverwaltung überdies ein kostenloses Faltblatt drucken. Dass André Könnecke überzeugt ist, den Friedhof damit in die richtige Richtung zu profilieren, beweist inzwischen ein zweiter Schritt: Nun können auch Firmen oder Privatpersonen diesen QR-Grabsteinservice für Verstorbene bestel- len. Sie erhalten dann eine geschützte Internetadresse, unter der sie ihre persönliche Profilseite über liebe Menschen jederzeit kontrollieren könnten. Die Hinterbliebenen entscheiden zugleich selbst, ob diese nur für einen handverlesenen Personenkreis oder im weltweiten Netz zugänglich sein sollen.