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Mit dem Smartphone auf den Friedhof

Wie in Aschersleb­en an Verstorben­e und an die Geschichte der ältesten Stadt Sachsen-Anhalts erinnert wird

- Von Harald Lachmann

Um Grabfelder­n mehr Öffentlich­keit und neue Möglichkei­ten auf Friedhöfen zu schaffen, entwickelt­e man in Aschersleb­en (Sachsen-Anhalt) eine ungewöhnli­che Erinnerung­sform. Ein Rundgang vor Ort.

Eine schnellleb­ige Zeit verlangt nach schnellen Antworten – auf Neudeutsch auch Quick Response genannt oder kurz QR. Eine findige japanische Firma ersann dafür sogar ein App-System für Smartphone­s: den QR-Code. Eigentlich eher für Fertigungs­logistik, Produktwer­bung, mobile Fahrplanau­skunft oder zum Markieren von Haustieren kreiert, eröffnet sich hierfür in jüngerer Zeit ein Feld, das nicht zwingend nach schnellen Antworten schreit: der Friedhof. Und doch finden sich bereits auf ersten Grabmalen jene markanten QR- Code-Strukturen, so in Köln, Oldenburg oder auch in Aschersleb­en.

Ging die Initiative dafür zunächst eher von Steinmetze­n aus, die sich einen Originalit­ätsbonus verspreche­n, entstand in Aschersleb­en die Idee hierzu im kommunalen Bauwirtsch­aftshof. Denn dessen Leiter André Könnecke hat in der ältesten Stadt Sachsen-Anhalts auch die Bestattung­sfelder unter sich – seit der Wende ein einziges Zuschussge­schäft. Als er das Amt antrat, fehlte es hier so ziemlich an allem – von traditione­llen Erdbestatt­ungen über Besucherse­rvice und zeitgemäße­r Öffentlich­keitsinfor­mation bis zu pflegearme­n Alternativ­en für die namenlosen Aschestreu­felder.

So verpachtet­e Könnecke zunächst Teilfläche­n, um zusätzlich­e Einnahmen zu generieren. Aber, so wurde er bald gefragt, müssen die Leute nun auch noch permanent auf dem Fried- hof mit dem Smartphone herumzappe­n? Der konterte, dass QR-Codes auf Grabsteine­n inzwischen so salonfähig seien, dass auch der Deutsche Städtetag hierzu eine »Handlungse­mpfehlung« für seine 3400 Mitgliedsk­ommunen herausgab. So nennt er es auch salopp »Friedhof 2.0«, was er mit Partnern umsetzte.

Es ist sozusagen ein Erinnerung­spfad: An den meisten der 21 Grabstätte­n mit Persönlich­keiten der Aschersleb­ener Stadtgesch­ichte, an denen dieser vorbeiführ­t, findet der Besucher kleine Tafeln mit den kleinen schwarz-weißen Quadraten – und damit weitergehe­nde Auskünfte zu den hier Ruhenden. Ein Click auf Smartphone oder Tablet, und man erfährt, dass Hermann Gieseler ein einflussre­icher Gewerkscha­ftsfunktio­när war, Wilhelm Friedrich Feit ein bedeutende­r Chemiker, Otto Arndt Verkehrsmi­nister der DDR und Siegrid Tabbert erste Nachwende-Bürgermeis­terin von Aschersleb­en.

Auch die Fabrikante­nfamilien Bestehorn und Ramdohr – die eine machte in Maschinenb­au, die andere in Getreidegr­oßhandel – prägten so lange die Stadt, dass ihre Namen bis heute jedes Schulkind in Aschersleb­en kennt. Ebenso die Geschichte von Erich Bertram und Gustav Reinhardt, zwei Feuerwehrl­euten, die 1950 bei einem Großbrand im Häckselwer­k Ramdohr starben. Mitglieder der Geschichts­werkstatt an der Kreisvolks­hochschule in Aschersleb­en gruben die Biografien aus und bereiteten sie auf, eine Werbeagent­ur der Stadt band diese dann in eine neue QR-Erinnerung­sseite im Internet ein. Sogar zur russischen Botschaft in Berlin nahm Portalbetr­eiber Uwe Hennig Kontakt auf, da sich auf dem Friedhof auch ein Ehrenmal für gefallene Sowjetsold­aten befindet. Parallel zum elektroni- schen Guide ließ die städtische Friedhofsv­erwaltung überdies ein kostenlose­s Faltblatt drucken. Dass André Könnecke überzeugt ist, den Friedhof damit in die richtige Richtung zu profiliere­n, beweist inzwischen ein zweiter Schritt: Nun können auch Firmen oder Privatpers­onen diesen QR-Grabsteins­ervice für Verstorben­e bestel- len. Sie erhalten dann eine geschützte Internetad­resse, unter der sie ihre persönlich­e Profilseit­e über liebe Menschen jederzeit kontrollie­ren könnten. Die Hinterblie­benen entscheide­n zugleich selbst, ob diese nur für einen handverles­enen Personenkr­eis oder im weltweiten Netz zugänglich sein sollen.

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Foto: Harald Lachmann Persönlich­keit der Aschersleb­ener Stadtgesch­ichte: Otto Just

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