Das Ende der Bannmeile
In Niedersachsen will Rot-Grün Demonstrationen auch in der Nähe des Landtags erlauben
Demonstriert werden darf in Niedersachsen bald auch vor dem Landtag, wo derzeit noch eine Bannmeile gilt. Die rot-grüne Regierung hat jetzt deren Abschaffung beschlossen. Schmerzhafte Erinnerungen an die Bannmeile dürften noch jene älteren Hannoveraner haben, die im Frühjahr 1965 am Landtag gegen schwarze Schulpolitik demonstrierten. Der damalige Kultusminister Richard Langeheine (CDU) hatte auf Drängen der katholischen Kirche konfessionelle Trennungen im Unterricht befürwortet, erbost darüber skandierten die jungen Protestler »Langeheine – an die Hangeleine«. Doch nicht wegen des despektierlichen Reimes ließen Polizisten daraufhin ihre Gummiknüppel tanzen, sondern weil die Schüler die Bannmeile betreten hatten. In jener Schutzzone vor dem Parlament sind Demonstrationen untersagt.
Dieses Verbot soll es fortan nicht mehr geben, hat Niedersachsens rotgrünes Landeskabinett nun entschieden. Schon vor sechs Jahren, als noch Schwarz-Gelb im Leineschloss regierte, hatte die Opposition die Bannmeile streichen wollen – vergeblich. Ein SPD-Abgeordneter hatte damals erklärt: Das Gesetz sei Ausdruck eines »Schutzbedürfnisses der jungen Demokratie« nach bösen Erfahrungen der Weimarer Republik gewesen, nun aber nicht mehr erforderlich.
Allerdings: Besagte böse Erfahrungen hatte der Reichstag am 13. Januar 1920 in Berlin gemacht, als dort mehr als 100 000 Arbeitnehmer gegen das Betriebsrätegesetz demonstrierten. Es räume den Beschäftigten keine effektiven Kontrollmöglichkeiten über die Betriebsführung ein, meinten die Protestierenden, die damals einem Aufruf von KPD und USPD gefolgt waren. Zur Debatte über das Gesetz kam es nicht, noch vor dem Betreten des Reichstagsgebäudes wurden mehrere Abgeordnete von Demonstranten verprügelt, Tumult entstand, die Polizei begann zu schießen. Traurige Bilanz: über 40 Tote mehr als 100 Verletzte. Schon am Tag darauf un- terschrieb Reichswehrminister »Bluthund« Gustav Noske (SPD) eine Verfügung, die Demonstrationen am Reichstag unter Androhung »rücksichtsloser Waffengewalt« untersagte. Dieser Schritt gilt als Geburtsstunde der Bannmeilen.
Geschaffen worden sind sie erklärtermaßen also, um den »Druck der Straße« auf Abgeordnete zu verhindern – und mit diesem Argument werden die Schutzzonen noch im- mer von ihren Befürwortern verteidigt. In Berlin gibt es Bannmeilen um das Reichstagsgebäude, den Bundesrat und das Abgeordnetenhaus. Die Parlamente der östlichen Bundesländer verzichten auf solche Sperrbereiche, im Westen bestehen sie in Hamburg, Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Hessen, im Saarland und in Bayern sowie – noch – in Niedersachsen. Schleswig-Holstein hat die Meile schon 1990 abgeschafft, RheinlandPfalz tat dies 2015. Doch am Rhein war das nur Wortkosmetik – die Zone heißt dort nun »befriedeter Bezirk«. Und wer dort demonstriert, riskiert hohes Bußgeld.
Niedersachsen verabschiede sich nun »von einer antiquierten Regelung«, erklärte die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Meta Janssen-Kucz. Nirgendwo werde eine Bannmeile gebraucht. Anderer Ansicht ist Innenminister Boris Pistorius (SPD). Er habe »Sympathie« für die Beibehaltung der Bannmeile, bekannte er unlängst vor Journalisten.
Diese Sympathie teilt sich der Sozialdemokrat mit Landtagspräsident Bernd Busemann (CDU). Auch ihm behagt das Aus für die Bannmeile gar nicht. Sagte der Politiker doch gegenüber der Nordwestzeitung: »Jetzt wissen Demonstranten, dass etwa 80 Meter vom Landtag entfernt ein befriedeter Bezirk beginnt. Daran kann sich jeder halten, das schafft klare Regeln – auch für die Polizei.«