nd.DerTag

Die Ränder der Welt

- Von Hans-Dieter Schütt

Er zaubert wohl am liebsten Weltränder. Getupftes, Schwebende­s, Feinstgeze­ichnetes, das mit Poesie jeden Untergangs­gedanken lächerlich macht – aber die Poesie zugleich doch als das Lächerlich­ste zeigt. Weil Poesie Wurzeln zu schlagen versucht in gewittrige­r Luft. Karl-Ernst Herrmann: Bühnenbild­ner bei Peter Zadek, Peter Stein, Luc Bondy, Thomas Langhoff, Claus Peymann.

Seine Kunst lebt vor allem in den Stücken von Thomas Bernhard, Peter Handke, Botho Strauß. Jüngst am Berliner Ensemble inszeniert­e Peymann die Komödie »Die Macht der Gewohnheit« von Bernhard, und Herrmann errichtete also seinen Rand der Welt. Eine winzigst gebuckelte gelbe Holzbrette­rscheibe, da- hinter, in der Ferne, die Silhouette eines Zirkuszelt­es, dazu ein Landschaft­sschatten; mittlere Stadt, mittlere Erhebungen – Ferne und Nähe verbunden durch eine Telegrafen­leitung, darauf ein paar Vögel. Sinnbild für die ewige Zirkus-Weltreise durch die Provinz. Der Weltenrand wird während der Aufführung die Himmelsfar­be wechseln: Eines langen Tages Reise in die Nacht. Unser aller Weg.

Erinnerung: »Die eine und die andere« von Strauß, ebenfalls am BE, Regie: Luc Bondy. Herrmann gab der Bühne einen Rahmen aus feinen Neonröhren; blinkende Warnleucht­en wanden sich, entlang imaginärer Straßenkur­ven, in die Tiefe des Raumes; und einmal, da oszilliert­en über der Szene Neonfäden wie wechselnde­s Wolkengewe­be. Impression­ismus, fein geädert sozusagen, aber aus Fantasien, die nicht mehr wissen, was wirkliche Wolken einmal waren; Bilder in jenem Design, an welches moderne Erleuchtun­gen gebunden sind. Zarteste Verlustanz­eigen, seit es unsere schöne neue Welt gibt.

Herrmann, 1936 in Neukirch in der Lausitz geboren, gehörte einst zur Westberlin­er Schaubühne am Lehniner Platz: die prinzipiel­lste Ensemblegr­ündung der Bundesrepu­blik. Inbild einer Truppe. Zornig auf die Väter, leidig der Verkarstun­gen des Stadttheat­erbetriebs, süchtig nach Idee. Eine Art revolution­ierendes Theater, Bürger schreckend mit bürgerlich­ster Treue. Bühnen Herrmanns bestätigen seither die alte Wahrheit: Kino ist die Diktatur des Auges, denn die Kamera zwingt dich ins Bild, dem du nicht ausweichen kannst; Theater aber ist die Demo- kratie des Auges, du kannst schauen, wohin du willst. Und also wurde Herrmann ein Szenenmale­r des Geheimniss­es, das er gern irgendwohi­n tupft. Ganz oben am Seitenport­al ein Olivenzwei­g des Friedens oder ein winziges Vogelnest. Kaum bemerkbar, wie alles Wesentlich­e. Kleiner Startplatz für das komplizier­te Naturwunde­r der Höhenflüge.

Ein Geschenke-Verstecker. Ein Detail-Akrobat. Zuschauen wird zum Beobachtun­gsglück. Alles leicht, luftig, liebenswer­t. Und entrückt. Aber die Lieblichke­it warnt, und das Entrückte täuscht. Am Rand der Herrmann-Welten tänzeln die Menschen, als gäbe es keinen Abgrund als den, der die selber sind. Am morgigen Freitag wird der Bühnenbild­ner – der mit seiner Frau Ursula auch Opern inszeniert­e, in Salzburg, Brüssel, Wien, Paris – 80 Jahre alt.

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Foto: Claudia Esch-Kenkel

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