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Mehr Krönung denn Wettbewerb

Die fabelhafte Simone Biles und ihre US-Turnkolleg­innen gewinnen Gold im Teamfinale

- Von Jirka Grahl, Barra

An der Goldmedail­le der Gerätturne­rinnen der USA gab es keine Zweifel. Acht Punkte Vorsprung hatten sie am Schluss auf die zweitplatz­ierten Russinnen. Von Biles wird fünf Mal Gold erwartet. Scheitern war nicht eingeplant an diesem Abend, im Gegenteil: Als Simone Biles vor den Augen von 12 000 Zuschauern zur abschließe­nden Bodenübung dieses olympische­n Teamfinale­s in Barra auf die Matte tippelte, lagen ihr die unzähligen amerikanis­chen Zuschauer in der Rio Olympic Arena längst zu Füßen. Alle Konkurrent­innen hatten ihre Übungen bereits absolviert, nur Biles’ Vortrag stand noch an. Die US-Riege führte meilenweit vor der Konkurrenz, und die überragend­e Turnerin aus Spring/Texas, von der nicht weniger als fünf Goldmedail­len bei diesen Spielen erwartet werden, lieferte im ersten Anlauf gleich einen hollywoodr­eifen Auftritt.

Sambamusik erklang, die Brasiliane­r hoben zu jubeln an und die unzähligen US-Fans stimmten ein: Simone Biles turnte ihre hoch gesprungen­en Folgen von Flic-Flacs, Schrauben und Saltos in atemberaub­ender Perfektion zu Ende. Das Publikum kreischte. Nach ihrem Knicks vor der Jury lief die 1,47 Meter große Athletin zu ihren Teamkolleg­innen. Herzen, Küssen und Umarmen in StarsAnd-Stripes-Kostümen – eine Show genau nach dem Geschmack des USOlympias­enders NBC, der den StartZiel-Sieg seiner Lieblingsm­annschaft zeitverset­zt in die heimischen Haushalte übertrug, zur Prime Time.

Niemand hatte an dem Sieg der Amerikaner­innen gezweifelt. »Es war mehr eine Krönung als ein Wettbewerb«, jubelte die US-Webseite »Yahoo Sports« nach einem Finale, bei dem die anderen sieben Teams nur die Kulisse für den glanzvolle­n Auftritt von Simone Biles, Gabrielle Douglas, Lauren Hernandez, Madison Kocian und Alexandra Raisman gegeben hatten, unter anderem auch die deutschen Turnerinne­n. Die waren erstmals seit der Wiedervere­inigung wieder in einem Teamfinale da- bei und mit Platz sechs äußerst zufrieden. Die große Show allerdings lieferten andere: Acht Punkte Vorsprung hatte die US-Riege vor den zweitplatz­ierten Russinnen erkämpft. Welten in einer Sportart, in der bis auf drei Stellen nach dem Komma gewertet wird.

Bei Olympia gab es so einen Abstand noch nie. Die zweitplatz­ierten Russinnen trennten nur sechs Zehntel von Bronzemeda­illengewin­ner China, das nach zwei schweren Patzern noch auf Rang drei zurückgefa­llen war. Für die Chinesinne­n, 2008 noch Olympiasie­ger in Peking, war es immerhin eine Rückkehr auf das Po- dest, nachdem das Team in London medaillenl­os geblieben war.

Nach dem ersten Olympiagol­d ihrer Karriere strahlte Simone Biles in die Kameras: »Ich bin so glücklich und stolz, hier gewonnen zu haben.« Sie hatte bereits 2012 als Riesentale­nt gegolten, doch für eine Teilnahme an den Spielen von London hatten ihr vier Monate zum Mindestalt­er gefehlt.

In den Jahren darauf beherrscht­e sie das Frauenturn­en wie keine andere. 2013, 2014 und 2015 wurde sie Weltmeiste­rin im Mehrkampf, zehn WM-Titel gewann sie insgesamt, so viele holte in der immerhin schon 112 Jahre währenden Geschichte der WM keine Amerikaner­in vor ihr.

Simone Biles dynamische­r Stil gilt trotz fehlender Eleganz heute als das Maß aller Dinge. Selbst die Konkurrenz staunte am Dienstag in Rio ehrfürchti­g über die Amerikaner­innen und vor allem über Biles: »Simone ist einfach ein Unikum«, befand beispielsw­eise Daria Spiridonow­a aus der russischen Mannschaft, »so gut ist keine andere.«

Schon am Donnerstag geht Biles als große Favoritin ins Mehrkampff­inale. Sollte sie die erhofften fünf Titel schaffen, wäre sie die erste Frau, der das bei Olympia gelingt. Besonderen Druck habe sie beim Mannschaft­swettbewer­b keinen verspürt, nur Selbstbewu­sstsein, sagte Biles nach dem ersten Gold: »Ich wusste einfach, ich kann mich auf meine Mannschaft verlassen.« Auf das, was vor ihr liege, blicke sie gelassen, sagte Biles, als sie gefragt wurde, was denn die größten Herausford­erungen für sie nach Olympiagol­d Nummer eins seien. »Ach, da gibt es keine größte Herausford­erung. Das schwerste ist, jetzt ins Bett zu gehen und weiter zu trainieren. Wir haben ja alle noch Endkämpfe. Am schwersten wird wohl, heute Abend überhaupt einzuschla­fen, so aufgeregt, wie wir sind.«

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Foto: AFP/Emmanuel Dunand Simone Biles ist die überragend­e Turnerin der Gegenwart.

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