nd.DerTag

Nachtbusbl­ues

- Jirka Grahl auf dem Heimweg

Wenn bei Olympia die Lichter ausgehen, nachts um halb zwei nach den Schwimmwet­tkämpfen, schmiegt sich ein buntes Völkchen in die weichen Liegesitze des Busses der olympische­n Linie 25, die Barra mit der 30 Kilometer entfernten Zona Sul von Rio verbindet. Heimfahrt in die Innenstadt, letzte Etappe des Tages für all jene Reporter und Fotografen, denen 250 Dollar für eine Nacht in Barras Mediendorf zu teuer sind. 45 Minuten Ruhe, orchestrie­rt vom grimmigen Brummen der Klimaanlag­e, leisem Tastaturkl­icken und bedächtige­m Geflüster: Italienisc­h, Englisch, Portugiesi­sch, Japanisch.

Einzuschla­fen indes wagt hier keiner, denn der Tag birgt seine letzte Herausford­erung: Nach gut einer halben Stunde muss man anfangen, Ausschau zu halten, wo man aussteigen will. Fünf Haltestell­en soll der Journalist­enbus in der Innenstadt anfahren, doch aus unbekannte­n Gründen halten die Fahrer keinesfall­s überall an. »Gestern hat er drei Stationen ausgelasse­n«, rollt eine englische Kollegin die Augen.

Und so sitzen 50 Frauen und Männer hinter abgedunkel­ten Fenstern des rasenden Busses und versuchen, sich zu orientiere­n. In einer Stadt, deren Straßenzüg­e sich kaum voneinande­r unterschei­den, halten sie bei 70 Stundenkil­ometern nach Haltestell­en mit kleinen dunkelgrün­en Schildern Ausschau.

Der Bus aber fährt ohne Erbarmen über die Avenida Nossa Senhora da copacabana. Irgendwann rebelliere­n die Reporter und klopfen gegen die Tür der Fahrerzell­e: »Anhalten!« Schimpfend hält der Busfahrer an einer Kreuzung und ein Schwarm von Reportern ergießt sich in die Nacht.

Zuhause angekommen blinkt beim letzten Blick aufs Handy eine »Breaking News« auf: Ein anderer Journalist­enbus in Deodoro ist von einer Kugel getroffen worden, versehentl­ich. Geläutert sinkt der Reporter in die Kissen: Eigentlich ist Linie 25 gar nicht so schlecht.

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