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Tränen in Thüringen

Zwei Minister der rot-rot-grünen Regierung sehen sich Amtsmissbr­auchsvorwü­rfen ausgesetzt

- Von Sebastian Haak, Erfurt

Als Dieter Lauinger sich in einer angebliche­n Affäre um seinen Sohn verteidigt, hat er Tränen in den Augen. Gewollt oder ungewollt setzt er gleichzeit­ig die Bildungsmi­nisterin weiter unter Druck.

Es dauert einen kurzen Moment, ehe Dieter Lauinger weiter sprechen kann. Da habe man einem jungen Menschen erklärt, es sei mit den Behörden alles geregelt, er könne beruhigt ins Ausland gehen, um dort eine Schule zu besuchen, hatte Lauinger gerade noch gesagt. Dann bricht dem Grünen-Politiker die Stimme ab. Tränen steigen ihm in die Augen. Er muss tief ein- und ausatmen. In dem kleinen Café im Erfurter Süden, in dem er am Donnerstag sitzt, wirkt die Stille, die in diesem kurzen Moment da ist, umso drückender. Der kurze Moment scheint wie eine kleine Ewigkeit.

Dann fängt sich Lauinger wieder, auch wenn seine Augen glasig bleiben. »Und während er weg ist, aus welchen Gründen auch immer, ich weiß es nicht, entscheide­t eine übergeordn­ete Behörde: Ätsch-Bätsch, das war jetzt alles doch nicht so und wenn Du wieder zurück kommst, hast Du zwar ein super Zeugnis, super Noten, Du bekommst ein Stipendium vom Land Thüringen, gerade für die elfte Klasse, aber sorry, Du müsstest leider noch mal in die zehnte Klasse.« Der junge Mensch, über den Lauinger spricht, ist sein eigener Sohn.

Die Geschichte, die zu diesem Auftritt Lauingers führt, ist an der Oberfläche ziemlich einfach. Weil der Vorwurf ziemlich simpel ist, gegen den sich Lauinger in diesem Moment verteidigt. Das, was unter dieser Oberfläche liegt, ist dagegen ziemlich komplizier­t. Sowohl das, was die Geschichte von Lauingers Sohn betrifft. Als auch das, was diese Geschichte für Rot-Rot-Grün in Thüringen bedeutet.

An der Oberfläche geht es um den Vorwurf, Lauinger habe sein Amt als Thüringer Justizmini­ster missbrauch­t – weil er zugunsten seines Sohnes, einen Referenten im Thüringer Bildungsmi­nisterium anrief. Schnell macht deshalb das Wort von der Sohnemann-Affäre die Runde. Den Anruf räumt Lauinger sogar ein. Er haben allerdings als Privatpers­on dort angerufen, sagt er. Er habe von seinem Handy aus telefonier­t, sich nicht von seiner Sekretärin im Justizmini­sterium ins Bildungsmi­nisterium durchstell­en lassen und auch beim Beginn des Gesprächs sofort gesagt, er rufe als Vater an, nicht als Minister. Das ist Lauingers Kernvertei­digung: Diesen Anruf hätte jeder Vater für sein Kind gemacht.

Notwendig wurde dieser Anruf, auch das ist unstrittig, weil Familie Lauinger vor einigen Wochen ziemlichen, komplizier­ten Ärger mit der Thüringer Bildungsve­rwaltung hatte. Der Sohn Lauingers hat einen Auslandsau­fenthalt absolviert, für ein Vierteljah­r eine Schule in Neuseeland besucht. Nach Darstellun­g Lauingers hatten sowohl die freie Schule, die sein Sohn besucht als auch das zuständige Schulamt den Aufenthalt vorab genehmigt – verbunden mit der Zusage, Lauingers Sohn müsse dann eine für Zehn-Klässler in Thüringen eigentlich obligatori­sche Prüfung nicht machen. Ein Referent im Bildungsmi­nisterium kassierte diese Zusage dann später – während der Sohn schon im Ausland war. Thüringens Bildungsmi­nisterin Birgit Klaubert (LINKE) wiederum kassierte dann die Entscheidu­ng ihres Referenten.

Hat Lauinger seine politische­n Kontakte innerhalb der LINKE-SPDGrüne-Landesregi­erung spielen lassen, wie es ein am Mittwoch vorab bekannt gewordener Bericht des »Fo- cus« nahe legt? In den Minuten vor seinen Tränen weist Lauinger diesen Vorwurf entschiede­n zurück. Dass im Bildungsmi­nisterium schließlic­h Klaubert über den Fall entschiede­n habe, sei eine Sache des Bildungsmi­nisteriums, sagt Lauinger. Er habe damit nichts zu tun. »Das war eine Entscheidu­ng der Arbeitsebe­ne des Bildungsmi­nisteriums.«

Mit diesem Satz freilich setzt Lauinger Klaubert massiv unter Druck – eine Ministerin, die seit Monaten in der Kritik steht, weil ihr nicht nur die Opposition, sondern auch die Bildungsge­werkschaft­en und Elternvert­reter vorwerfen, sie habe die Bildungsve­rwaltung im Land überhaupt nicht im Griff. Klaubert muss sich nun fragen lassen: Warum hat sie in dieser Sache eigentlich eine Ministeren­tscheidung getroffen? Wäre das nicht eine Sache für die Arbeitsebe­ne gewesen? Und Lauinger setzt Klaubert unter Druck, weil er all jene bestärkt, die seit Monaten sagen, unter der LINKEN sei das seit Jahren immer wieder kritisiert­e Chaos in der Bildungsve­rwaltung des Freistaate­s eher noch schlimmer, bestimmt jedenfalls nicht besser geworden – weil, so sagen ihre Kritiker, Klaubert einfach nicht durchgreif­t und im Bildungsbe­reich noch mehr als früher jeder macht, was er will.

Minuten, nachdem seine Tränen getrocknet sind, muss Lauinger noch eine Frage beantworte­n: Kann er diejenigen – egal ob Minister, Bauarbeite­r, Sekretärin –, die sich über die Thüringer Bildungsbe­hörden beschweren, jetzt besser verstehen als in der Vergangenh­eit? »Ja!«

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Foto: dpa/Martin Schutt Dieter Lauinger und seine Ehefrau Katrin erklären ihre Sicht auf die angebliche Affäre.

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