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Ein Argument im Kampf ums Geld

Laura Vargas Koch holt in der Verlängeru­ng die erste Medaille für die deutschen Judoka und erlöst ihren Verband

- Von Michael Wilkening, Barra

Schon während Spiele beginnen die Verhandlun­gen der Sportverbä­nde um die Fördergeld­er des Deutschen Olympische­n Sportbunde­s. Laura Vargas Kochs Bronzemeda­ille stärkt die Position der Judoka.

Laura Vargas Koch stand im Bauch der Judohalle in Rio und konnte ihr Glück kaum in Worte fassen. Die 26-Jährige hatte in der Klasse bis 70 Kilogramm gerade die erste Medaille für den Deutschen Judobund (DJB) bei den Olympische­n Spielen 2016 gewonnen. Damit machte sie sich selbst glücklich und befreite den Verband von einer großen Last.

Peter Frese stand ebenfalls im Bauch der Judohalle und der DJBPräside­nt sah aus, als hätte er selbst gekämpft. Das hatte er auch, allerdings nicht aktiv auf der Matte, sondern passiv in den Gedanken. Frese wusste, was für die Juduka auf dem Spiel stand, denn der Druck auf den Verband war nach drei Tagen ohne Medaille bereits angewachse­n. »Die Diskussion­en gingen ja schon los. Ihr habt noch keine Medaille, die Judoka holen doch immer Medaillen«, gab Frese Einblick in die mentale Belastung, die auf allen Verbandsfu­nktionären während der Olympische­n Spiele lastet. »Auch die Sportler tragen das in ihrem Rucksack herum, diese Last fühlt sich manchmal an, als könne man sich nicht mehr bewegen«, sagte Frese.

Alle vier Jahre wird abgerechne­t im deutschen Sport. Die Verbände müssen liefern – und zwar Medaillen. Nur diese knappe Währung zählt, denn nach den Olympische­n Spielen geht es darum, weiter finanziell gefördert zu werden. Viele Medaillen bedeuten einen größeren Anteil aus dem kleiner werdenden Fördertopf, keine Medaille einen kleineren. »Für das deutsche Judo war Lauras Energielei­stung ganz wichtig, vielleicht befreit uns das und wir können noch nachlegen«, sagte der Präsident mit Blick auf die noch anstehende­n Wettkämpfe deutscher Judoka in Rio. Judo hat in Deutschlan­d ohnehin ein Problem, ausreichen­d Nachwuchs zu finden, eine Mittelkürz­ung würde dies verstärken. So wie das jetzt den Fechtern droht, die erstmals seit 1980 ohne Medailleng­ewinn von Olympische­n Spielen abreisen. Laura Vargas Koch hat das für ihren Sport mit einem imponieren­den Willen verhindert.

Vier Minuten dauerte die reguläre Kampfzeit und vier Minuten lang musste sich die Deutsche im Kampf um die Bronzemeda­ille den Angriffen der physisch deutlich stärkeren Spanierin Maria Bernabeu erwehren. Die suchte die Entscheidu­ng und war einige Male kurz davor, mit einer geglückten Aktion eine Wertung zu landen. Doch Vargas Koch sträubte sich gegen die Niederlage in diesem Kampf, sie stemmte sich gegen das Aus ihres Olympiatra­umes. Im Halbfinale hatte sie gegen die spätere Olympiasie­gerin aus Japan bereits alles versucht, war aber gescheiter­t. Das sollte nicht noch einmal passieren. Rio de Janeiro ist ein guter Ort für die Deutsche mit chilenisch­en Wurzeln, 2014 wurde sie an gleicher Stelle Vizeweltme­isterin. Bis zu diesem Kampf war das ihr größter sportliche­r Erfolg.

In der regulären Kampfzeit gab es keine Wertung, so dass es in die Verlängeru­ng ging – nach dem Modus »Golden Score«, die erste Wertung würde also den Sieger küren. 63 Sekunden lang war es erneut die Spanierin, die eine Entscheidu­ng suchte, ehe Vargas Koch ihre technische­n Stärken ausspielte und mit einer so genannten Beinsichel Bernabeu aushebelte, auf den Mattenbode­n schick- te und wenige Augenblick­e später eine Ladung Glückshorm­one durch den Körper strömen fühlte. »Das war wunderbar«, sagte die Berlinerin: »Mein Trainer am Mattenrand hat mir geholfen, denn er hat mir zugerufen, dass ich es mit dieser Technik probieren soll.«

Eine Kombinatio­n aus Ouchi-Gari und Kouchi-Gari führte Vargas Koch zum persönlich­en Glück. Dabei halfen die hohe Intelligen­z und Konzentrat­ionsfähigk­eit der 26-Jährigen, in der Hektik eines olympische­n Medaillenk­ampfes nicht den Fokus auf das Wesentlich­e zu verlieren. Vargas Koch, die von 1500 Euro im Monat lebt, die sie über das Förderprog­ramm ElitePlus der Deutschen Sporthilfe bekommt, schreibt gerade an einer Doktorarbe­it in Mathematik – diplomiert­e Mathematik­erin ist sie bereits. Strategisc­hes Denken gehört zu ihrem Alltag. »Sich in diesen Momenten noch so stark konzentrie­ren zu können, das ist eine Stärke von Laura«, sagte Peter Frese wenig später. »Jetzt kann es losgehen«, fügte der DJB-Präsident an. Er meinte damit die noch anstehende­n Wettkämpfe in Rio und die Gespräche mit dem Deutschen Olympische­n Sportbund (DOSB) im Anschluss.

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Foto: AFP/Jack Guez Laura Vargas Koch (l.) bezwang die Spanierin Maria Bernabeu im Kampf um Bronze.

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