Ein Argument im Kampf ums Geld
Laura Vargas Koch holt in der Verlängerung die erste Medaille für die deutschen Judoka und erlöst ihren Verband
Schon während Spiele beginnen die Verhandlungen der Sportverbände um die Fördergelder des Deutschen Olympischen Sportbundes. Laura Vargas Kochs Bronzemedaille stärkt die Position der Judoka.
Laura Vargas Koch stand im Bauch der Judohalle in Rio und konnte ihr Glück kaum in Worte fassen. Die 26-Jährige hatte in der Klasse bis 70 Kilogramm gerade die erste Medaille für den Deutschen Judobund (DJB) bei den Olympischen Spielen 2016 gewonnen. Damit machte sie sich selbst glücklich und befreite den Verband von einer großen Last.
Peter Frese stand ebenfalls im Bauch der Judohalle und der DJBPräsident sah aus, als hätte er selbst gekämpft. Das hatte er auch, allerdings nicht aktiv auf der Matte, sondern passiv in den Gedanken. Frese wusste, was für die Juduka auf dem Spiel stand, denn der Druck auf den Verband war nach drei Tagen ohne Medaille bereits angewachsen. »Die Diskussionen gingen ja schon los. Ihr habt noch keine Medaille, die Judoka holen doch immer Medaillen«, gab Frese Einblick in die mentale Belastung, die auf allen Verbandsfunktionären während der Olympischen Spiele lastet. »Auch die Sportler tragen das in ihrem Rucksack herum, diese Last fühlt sich manchmal an, als könne man sich nicht mehr bewegen«, sagte Frese.
Alle vier Jahre wird abgerechnet im deutschen Sport. Die Verbände müssen liefern – und zwar Medaillen. Nur diese knappe Währung zählt, denn nach den Olympischen Spielen geht es darum, weiter finanziell gefördert zu werden. Viele Medaillen bedeuten einen größeren Anteil aus dem kleiner werdenden Fördertopf, keine Medaille einen kleineren. »Für das deutsche Judo war Lauras Energieleistung ganz wichtig, vielleicht befreit uns das und wir können noch nachlegen«, sagte der Präsident mit Blick auf die noch anstehenden Wettkämpfe deutscher Judoka in Rio. Judo hat in Deutschland ohnehin ein Problem, ausreichend Nachwuchs zu finden, eine Mittelkürzung würde dies verstärken. So wie das jetzt den Fechtern droht, die erstmals seit 1980 ohne Medaillengewinn von Olympischen Spielen abreisen. Laura Vargas Koch hat das für ihren Sport mit einem imponierenden Willen verhindert.
Vier Minuten dauerte die reguläre Kampfzeit und vier Minuten lang musste sich die Deutsche im Kampf um die Bronzemedaille den Angriffen der physisch deutlich stärkeren Spanierin Maria Bernabeu erwehren. Die suchte die Entscheidung und war einige Male kurz davor, mit einer geglückten Aktion eine Wertung zu landen. Doch Vargas Koch sträubte sich gegen die Niederlage in diesem Kampf, sie stemmte sich gegen das Aus ihres Olympiatraumes. Im Halbfinale hatte sie gegen die spätere Olympiasiegerin aus Japan bereits alles versucht, war aber gescheitert. Das sollte nicht noch einmal passieren. Rio de Janeiro ist ein guter Ort für die Deutsche mit chilenischen Wurzeln, 2014 wurde sie an gleicher Stelle Vizeweltmeisterin. Bis zu diesem Kampf war das ihr größter sportlicher Erfolg.
In der regulären Kampfzeit gab es keine Wertung, so dass es in die Verlängerung ging – nach dem Modus »Golden Score«, die erste Wertung würde also den Sieger küren. 63 Sekunden lang war es erneut die Spanierin, die eine Entscheidung suchte, ehe Vargas Koch ihre technischen Stärken ausspielte und mit einer so genannten Beinsichel Bernabeu aushebelte, auf den Mattenboden schick- te und wenige Augenblicke später eine Ladung Glückshormone durch den Körper strömen fühlte. »Das war wunderbar«, sagte die Berlinerin: »Mein Trainer am Mattenrand hat mir geholfen, denn er hat mir zugerufen, dass ich es mit dieser Technik probieren soll.«
Eine Kombination aus Ouchi-Gari und Kouchi-Gari führte Vargas Koch zum persönlichen Glück. Dabei halfen die hohe Intelligenz und Konzentrationsfähigkeit der 26-Jährigen, in der Hektik eines olympischen Medaillenkampfes nicht den Fokus auf das Wesentliche zu verlieren. Vargas Koch, die von 1500 Euro im Monat lebt, die sie über das Förderprogramm ElitePlus der Deutschen Sporthilfe bekommt, schreibt gerade an einer Doktorarbeit in Mathematik – diplomierte Mathematikerin ist sie bereits. Strategisches Denken gehört zu ihrem Alltag. »Sich in diesen Momenten noch so stark konzentrieren zu können, das ist eine Stärke von Laura«, sagte Peter Frese wenig später. »Jetzt kann es losgehen«, fügte der DJB-Präsident an. Er meinte damit die noch anstehenden Wettkämpfe in Rio und die Gespräche mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) im Anschluss.