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Ein kleiner Goldrausch

Im Rudern gewinnen gleich zwei Boote Gold und überstrahl­en damit eine absteigend­e Tendenz

- Von Maik Rosner, Lagoa Rodrigo de Freitas

Innerhalb von nur 13 Minuten ruderten beide deutschen Doppelvier­er zu Gold. Mit dem Erfolg der Ruderinnen konnte man rechnen, die Männer überrascht­en. Als die Männer nach ihrer Fahrt zu Gold gerade erste Interviews gaben und glücklich in die Kameras winkten, um Freunde daheim zu grüßen, trafen auch die deutschen Frauen die perfekte Welle und ruderten in ihrem Doppelvier­er zum Olympiasie­g. Nur 13 Minuten lagen am Donnerstag zwischen den beiden Siegen auf der Lagoa Rodrigo de Freitas in Rio. Ein kleiner Goldrausch, der die Bilanz der deutschen Olympiaman­nschaft nach bisher ziemlich mäßigen Tagen deutlich aufbessert­e. Und einer, der auch für die Ruderer sehr überrasche­nd kam, zumindest zur Hälfte.

»Wir wollten eine Medaille. Einfach irre, dass es Gold geworden ist. Unglaublic­h«, sagte Lauritz Schoof nach dem überrasche­nden Triumph gemeinsam mit Philipp Wende, Karl Schulze und Schlagmann Hans Gruhne über die favorisier­ten Australier. Die hatten während der Saison mit den besseren Ergebnisse­n dominiert und hätten es daher verdient gehabt, auch bei den Spielen zu gewinnen, wie Schoof schon kurz nach dem Rennen erstaunlic­h reflektier­t sagte.

Das deutsche Quartett dagegen hatte sich in der Lagune unterhalb der Christus-Statue erst über den Hoffnungsl­auf für das Finale qualifizie­rt und war dort auf einer eher ungünstige­n Außenbahn gestartet. Weitere Belege für den durchaus wundersame­n Erfolg, wenngleich der deutsche Doppelvier­er schon in London Gold gewonnen hatte. Zuletzt aber überwogen die Probleme. Beim vierten Platz bei der EM im Mai war noch Tim Grohmann Schlagmann gewesen. Erst danach wurde der im Frühjahr noch kranke Gruhne ins Boot geholt.

Natürlich störte es auch Schoof nicht, dass er und die Kollegen nun für eine große Überraschu­ng gesorgt hatten, weil sie im entscheide­nden Moment bei Olympia wieder voll da waren und das Rennen von Anfang an anführten. »Bei 1000 Metern habe ich gerufen: ›Jungs, dran bleiben, keine Gnade mehr für den Körper.‹ Das war so geil«, erzählte Schulze. Das deutsche Boot rettete den gegen Ende des Rennens schwindend­en Vorsprung ins Ziel, 1,15 Sekunden lag es vor Australien, Dritte wurden die Esten.

Erwartungs­gemäß ruderten kurz darauf auch die deutschen Frauen im Doppelvier­er zum Sieg. Dass sie ihrer Favoritenr­olle gerecht geworden waren, minderte die Freude bei Annekatrin Thiele, Carina Bär, Julia Lier und Lisa Schmidla nach Silber vor vier Jahren kaum. Thiele wagte sogar einen Jubelsprun­g ins Wasser, obwohl die Lagune durch ungeklärte Abwasser stark mit Keimen belastet ist und sogar das Material der deutschen Athleten nach den Rennen stets desinfizie­rt wird. Im Moment des Olympiasie­gs dachte Thiele aber sicher an alles, nur nicht an Bakterien.

Beeindruck­end war, mit welcher Ruhe und strategisc­hen Kühle die Europameis­terinnen das Rennen vor den Niederland­en und Polen gewannen, die zunächst geführt hatten. »Wir sind cool geblieben, weil wir wussten, dass wir physisch so stark sind und es nach hinten raus halten können«, sagte Lier. »Wie auf Schienen«, befand Schlagfrau Schmidla glücklich, sei das Boot im Schlussspu­rt bei der Aufholjagd auf den letzten 500 der insgesamt 2000 Meter durchs Wasser geglitten. »Lisa kann einfach einen super Endspurt fahren, da sind wir mitgegange­n, das war entscheide­nd«, sagte Lier.

Für den erfolgsver­wöhnten Deutschen Ruderverba­nd (DRV) waren es die ersten beiden Medaillen in Rio. Eine weitere kann am Samstag mit dem Achter hinzukomme­n. Das Aushängesc­hild des DRV, Der Olympiasie­ger von 2012, gilt als Mitfavorit neben den Niederland­en und Groß- britannien. Insgesamt drei Mal Gold wäre ein starkes Ergebnis und eine Verbesseru­ng gegenüber London, wo zwei Olympiasie­ge und eine Silbermeda­ille gefeiert wurden. Die Medaillenv­orgabe von zwei bis vier Medaillen, davon ein bis zwei goldene, ist bereits erfüllt.

»Die Bilanz ist gut«, sagte deshalb auch Cheftraine­r Marcus Schwarzroc­k und ergänzte mit Blick auf die jüngste Kritik an den Ruderern und der deutschen Olympiaman­nschaft insgesamt: »Ich habe das Gefühl, dass wir in der Bewertung etwas schlecht wegkommen.«

Dennoch wissen die Ruderer, dass die beiden Goldmedail­len die jüngsten Enttäuschu­ngen überstrahl­en. Denn die Tendenz ist absteigend­end. Nur drei Finalteiln­ahmen in 14 Klassen hatten sie geschafft, was den eigenen Ansprüchen kaum genügt. Sieben Finalteiln­ahmen waren es noch in London. Am Donnerstag, dem großen Jubeltag, war für derartige Überlegung­en aber wenig Platz.

 ?? Foto: dpa/Franck Robichon ?? Lisa Schmidla, Julia Lier, Carina Bär, und Annekatrin Thiele zogen im Schlussspu­rt noch an den Polinnen vorbei zur Goldmedail­le.
Foto: dpa/Franck Robichon Lisa Schmidla, Julia Lier, Carina Bär, und Annekatrin Thiele zogen im Schlussspu­rt noch an den Polinnen vorbei zur Goldmedail­le.

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