Verdeckt unterwegs
Als Günter Wallraff Mitte der 80er Jahre als Türke Levent (Ali) Sigirlioğlu verkleidet den gesellschaftlichen Abgründen der Bundesrepublik »Ganz unten« nachging, da setzte der Journalist zu Dokumentationszwecken auf die aus heutiger Sicht prähistorisch wirkenden Werkzeuge Stift und Tagebuch, in denen er seine erschreckend und zugleich erhellenden Erlebnisse festhielt. Seit einigen Jahren ist Wallraff beim Medium Fernsehen angekom- men, welches bei investigativen Recherchen zwangsläufig auf Bewegtbilder angewiesen ist. Den sozialen Reporter gibt der Journalist ausgerechnet bei RTL, also bei jenem Sender, der jene Abgehängten der Gesellschaft tagtäglich mit Hohn und Spott überkübelt, denen Wallraff doch eigentlich eine Stimme geben will.
RTL hat sich nicht nur Wallraff einverleibt, sondern gleich dessen Methode weiterentwickelt. Für ein neues Format schickte die RTL-Tochter
InfoNetworks eine echte Kölner Polizistin mit versteckter Kamera los, um ihre Kollegen zu filmen. Dabei entstanden offenbar nicht nur Aufnahmen, die dienstliche Vorgänge betreffen, sondern auch Mitschnitte, die Privates betreffen. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen die Beamtin wegen Verletzung von Privatgeheimnissen sowie eine verantwortliche Redakteurin und einen Ka- meramann. RTL zeigte sich kooperativ und rückte sämtliches Material heraus.
Medienmacher diskutieren nun, wo die Grenzen solcher investigativer Recherchen liegen, zumal InfoNetworks für seine Zwecke keine professionelle Journalistin anheuerte. Hendrik
Zörner, Sprecher des Deutschen Journalistenverbandes (DJV), hält es für möglich, dass der verdeckte Einsatz gerechtfertig war. »Wenn bei der Kölner Polizei dauerhaft viel zu großer Stress herrscht und die Polizisten unter massiver Arbeitsüberlastung leiden, ist das Thema von hoher journalistischer Relevanz«, erklärte er gegenüber tagesspiegel.de. Der Haken ist, dass die verdeckte Recherche »gravierende Missstände« aufdecken muss, um gesetzlich erlaubt zu sein. Spätestens da, wo Persönlichkeitsrechte verletzt werden, ist Schluss. Das sagt auch Wallraff, der sich 1984 mit der »Bild« über seine verdeckte Ermittlungen in der Redaktion vor Gericht einen Streit lieferte.
DJV-Sprecher Zörner schränkt im aktuellen Fall aus Köln jedoch ein, es hätte auch andere Methoden der Recherche gegeben, um Missstände bei der Polizei aufzudecken. Beispielsweise hätten die Journalisten auch anonym bleibende Beamte befragen können. Uwe Herzog, früherer Mitarbeiter Wallraffs, schreibt beim Mediendienst kress.de, ohne verdeckte Recherchen sei »eine freie Presse in einer demokratischen Gesellschaft nicht denkbar«. Im vorliegenden Fall ließe sich eine Rechtfertigung aber nicht erkennen. »Um den stressigen Alltag von Polizisten zu dokumentieren, braucht es jedoch keine verdeckten Recherchemethoden«, stellt Herzog klar. Er wirft den Kollegen vor, sie hätten eine »sensationslüsterne ›Berichterstattung‹« betrieben. »RTL und seine Undercover-Reporter, (...), setzen versteckte Kameras deutlich öfter ein, als es das Gesetz und der Kodex des Deutschen Presserats erlauben.«