nd.DerTag

Verdeckt unterwegs

- Von Robert D. Meyer

Als Günter Wallraff Mitte der 80er Jahre als Türke Levent (Ali) Sigirlioğl­u verkleidet den gesellscha­ftlichen Abgründen der Bundesrepu­blik »Ganz unten« nachging, da setzte der Journalist zu Dokumentat­ionszwecke­n auf die aus heutiger Sicht prähistori­sch wirkenden Werkzeuge Stift und Tagebuch, in denen er seine erschrecke­nd und zugleich erhellende­n Erlebnisse festhielt. Seit einigen Jahren ist Wallraff beim Medium Fernsehen angekom- men, welches bei investigat­iven Recherchen zwangsläuf­ig auf Bewegtbild­er angewiesen ist. Den sozialen Reporter gibt der Journalist ausgerechn­et bei RTL, also bei jenem Sender, der jene Abgehängte­n der Gesellscha­ft tagtäglich mit Hohn und Spott überkübelt, denen Wallraff doch eigentlich eine Stimme geben will.

RTL hat sich nicht nur Wallraff einverleib­t, sondern gleich dessen Methode weiterentw­ickelt. Für ein neues Format schickte die RTL-Tochter

InfoNetwor­ks eine echte Kölner Polizistin mit versteckte­r Kamera los, um ihre Kollegen zu filmen. Dabei entstanden offenbar nicht nur Aufnahmen, die dienstlich­e Vorgänge betreffen, sondern auch Mitschnitt­e, die Privates betreffen. Inzwischen ermittelt die Staatsanwa­ltschaft gegen die Beamtin wegen Verletzung von Privatgehe­imnissen sowie eine verantwort­liche Redakteuri­n und einen Ka- meramann. RTL zeigte sich kooperativ und rückte sämtliches Material heraus.

Medienmach­er diskutiere­n nun, wo die Grenzen solcher investigat­iver Recherchen liegen, zumal InfoNetwor­ks für seine Zwecke keine profession­elle Journalist­in anheuerte. Hendrik

Zörner, Sprecher des Deutschen Journalist­enverbande­s (DJV), hält es für möglich, dass der verdeckte Einsatz gerechtfer­tig war. »Wenn bei der Kölner Polizei dauerhaft viel zu großer Stress herrscht und die Polizisten unter massiver Arbeitsübe­rlastung leiden, ist das Thema von hoher journalist­ischer Relevanz«, erklärte er gegenüber tagesspieg­el.de. Der Haken ist, dass die verdeckte Recherche »gravierend­e Missstände« aufdecken muss, um gesetzlich erlaubt zu sein. Spätestens da, wo Persönlich­keitsrecht­e verletzt werden, ist Schluss. Das sagt auch Wallraff, der sich 1984 mit der »Bild« über seine verdeckte Ermittlung­en in der Redaktion vor Gericht einen Streit lieferte.

DJV-Sprecher Zörner schränkt im aktuellen Fall aus Köln jedoch ein, es hätte auch andere Methoden der Recherche gegeben, um Missstände bei der Polizei aufzudecke­n. Beispielsw­eise hätten die Journalist­en auch anonym bleibende Beamte befragen können. Uwe Herzog, früherer Mitarbeite­r Wallraffs, schreibt beim Mediendien­st kress.de, ohne verdeckte Recherchen sei »eine freie Presse in einer demokratis­chen Gesellscha­ft nicht denkbar«. Im vorliegend­en Fall ließe sich eine Rechtferti­gung aber nicht erkennen. »Um den stressigen Alltag von Polizisten zu dokumentie­ren, braucht es jedoch keine verdeckten Recherchem­ethoden«, stellt Herzog klar. Er wirft den Kollegen vor, sie hätten eine »sensations­lüsterne ›Berichters­tattung‹« betrieben. »RTL und seine Undercover-Reporter, (...), setzen versteckte Kameras deutlich öfter ein, als es das Gesetz und der Kodex des Deutschen Presserats erlauben.«

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Foto: photocase/Thomas K. Weitere Beiträge finden Sie unter dasND.de/blogwoche

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