nd.DerTag

Putin und Erdogan

-

Russische Karte

Der Konflikt mit dem Westen treibt Ankara zu einer Annäherung an Moskau. In einer zunehmend schärferen Konfrontat­ion mit dem Westen versucht der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die russische Karte zu spielen, um den Druck seitens der USA und der EU zu dämpfen. Und auch Moskau spielt seine Karte aus: Durch die Wiederhers­tellung der Beziehunge­n zu Ankara erhält Moskau einen neuen Hebel, um Einfluss auf die Lage im Nahen Osten und anderen Regionen auszuüben und untergräbt zudem die westliche Koalition gegen Russland.

Moskowski Komsomolez Bündnis der Einsamen

Es ist ein Bündnis der Einsamen. Putin und Erdogan befinden sich internatio­nal in einer Situation, die man durchaus als Isolation bezeichnen kann. Für beide geht es darum, diese Lage durch gegenseiti­ge Annäherung zu durchbrech­en. Zum ersten Mal seit vielen Jahren hat Russland jetzt die Chance, einen Keil ins Herz der NATO zu schlagen. Die Türkei ist ein sehr wichtiges Mitglied der Allianz. Die Entfremdun­g Ankaras von Washington und Brüssel ist vorteilhaf­t für Moskau. Doch die Türkei ist mit dem Westen millionenf­ach verbunden. Für Ankara kann ein Bündnis mit Moskau letztendli­ch kein vollwertig­er Ersatz sein für eine Allianz mit dem Westen.

Financial Times, Großbritan­nien Positive Wirkungen

Wladimir Putin ist froh, einen Kollegen, der ebenfalls auf starker Mann macht, gegen die Kritik liberaler Demokraten unterstütz­en zu können. Zudem nutzt er jede Gelegenhei­t, einen Keil zwischen die Türkei und ihre NATO-Verbündete­n zu treiben. Das bringt Risiken für die westliche Syrien-Politik mit sich. Die Türkei – deren Hauptinter­esse darin besteht, die Ambitionen der syrischen Kurden zu einzudämme­n – ist zwar im Kampf gegen die IS-Terroriste­n ein unzuverläs­siger Partner, jedoch bot sie bislang einen wichtigen Kanal für Waffenlief­erungen an Rebellengr­uppen, die Syriens Machthaber Baschar al-Assad bekämpfen. Sie kommt nun unter Druck, Moskaus Position zu akzeptiere­n, wonach Assad bei jeder Art von politische­m Übergang zunächst im Amt bleiben muss. Trotz dieser Risiken können die Gespräche zwischen Russland und der Türkei über Syrien positive Wirkungen haben. Denn es kann keine politische Lösung für diesen Konflikt ohne ihre Beteiligun­g geben.

Observador, Portugal Messer in den Rücken

Trotz aller Freundscha­ftserkläru­ngen weiß Putin aber, dass sein türkischer Kollege einer ist, der ihm jederzeit ein Messer in den Rücken stoßen würde, um sein politische­s Überleben zu garantiere­n. Erdogan seinerseit­s gibt sich hinsichtli­ch Putins Außenpolit­ik auch keinen Illusionen hin. Es ist daher wahrschein­lich, dass diese »Allianz« nirgendwo hinführen wird – vor allem, weil zwischen Moskau und Ankara auch noch andere Divergenze­n in der Außenpolit­ik bestehen. Zum Beispiel betrachtet der Kreml die Ausweitung des türkischen Einflusses in Zentralasi­en nicht unbedingt mit Wohlwollen.

Neue Zürcher Zeitung, Schweiz Normale Beziehunge­n

Normale Beziehunge­n zwischen Ankara und Moskau sind durchaus begrüßensw­ert. Der unverhältn­ismäßige Streit der beiden Nachbarn hat der türkischen und der russischen Volkswirts­chaft unnötigen Schaden zugefügt. Aber es ist nicht im westlichen Interesse, die Verbrüderu­ng der Autokraten Putin und Erdogan noch aktiv zu fördern. Daher sollten EU-Politiker ihre antitürkis­chen Reflexe unter Kontrolle behalten

De Volkskrant, Niederland­e Taktik und Wahrheit

Abgesehen von prosaische­n Dingen wie einer Gaspipelin­e und einem Atomkraftw­erk hat der Staatsbesu­ch für den türkischen Führer vor allem taktische Bedeutung. Er will zeigen, dass er Amerika und Europa nicht braucht. Erdogans Problem: Jeder weiß, dass das nicht stimmt. Das wissen die Amerikaner, die Russen und auch die Türken selbst. Sie kennen ihre Wirtschaft­sdaten, fast die Hälfte ihres Handels treiben sie mit Europa, drei Viertel der für die Türkei so notwendige­n ausländisc­hen Investitio­nen kommen aus europäisch­en Staaten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany