Parteivorsitzender in Nöten
Bei den nächsten Wahlen und der Entscheidung der SPD über CETA geht es auch um die Zukunft von Sigmar Gabriel
Wegen Erfolglosigkeit dürfte Sigmar Gabriel bald innerparteilich unter Druck geraten. Allerdings steht keiner seiner möglichen Nachfolger an der SPD-Spitze für einen inhaltlichen Kurswechsel. Sigmar Gabriel ist in diesen Tagen einmal mehr sehr umtriebig. Der SPDVorsitzende lud einen Tross von Journalisten zu einem Spaziergang in seine niedersächsische Heimatstadt Goslar ein, war zum ARD-Sommerinterview in Berlin und macht Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern. Zudem hat er der Zeitschrift »Bunte« vor einigen Wochen gestattet, eine Homestory über ihn zu schreiben. Gabriel gibt derzeit gerne Privates über sich preis. Sei es über seine schwierige Kindheit, seinen verstorbenen rechtsradikalen Vater oder seine Probleme, Beruf und Familienleben unter einen Hut zu bringen.
Menschelnde Geschichten in den Medien sind Gabriel deutlich lieber als Berichte über den derzeitigen Zustand der SPD. Der 56-Jährige hat zwar in seiner mittlerweile siebenjährigen Amtszeit als Parteichef schon einige große Krisen überstanden, aber die politischen Ereignisse im September stellen erneut große Herausforderung für ihn dar. Bei der Landtagswahl am 4. September in Mecklenburg-Vorpommern droht den Sozialdemokraten ein Debakel. Seit 1998 stellen sie im Nordosten den Regierungschef und würden nun nach aktuellen Umfragen von mehr als 35 Prozent auf nur noch 22 bis 24 Prozent der Wählerstimmen abrutschen. Ministerpräsident Erwin Sellering könnte nur dann im Amt bleiben, wenn die CDU noch schlechter als seine Partei abschneiden oder es für eine rot-rot-grüne Koalition reichen würde. Auch Gabriels Präsenz im Wahlkampf wird wohl keine Zusatzpunkte bringen. In der Bevölkerung ist der sprunghafte Wirtschaftsminister wenig beliebt und rangiert in den entsprechenden Rankings auf den hinteren Plätzen.
Der Bundes-SPD geht es in den Umfragen nicht besser als den Genossen im Nordosten. Mit den zunehmenden Misserfolgen dürften auch die Zweifel in der Partei wachsen, ob Gabriel der Richtige für die Kanzlerkandidatur im kommenden Jahr wäre. Er selber hat schon oft angedeutet, hierfür bereit zu sein. Offiziell entschieden ist aber noch nichts. Anfang 2017 sollen ein Name oder mehrere Namen genannt werden. Die Personalentscheidung würde dann ein Parteitag am 22. Mai absegnen. Gabriel hat nichts dagegen, wenn mehrere SPD-Kandidaten zur Wahl stehen sollten und letztlich die Mitglieder entscheiden würden. Damit verbindet Gabriel die Hoffnung, dass die zusätzliche mediale Aufmerksamkeit und eine Personalisierung des Wahlkampfs der Partei Auftrieb geben.
Doch andere Spitzengenossen halten weniger von einer Urwahl. Wahrscheinlicher ist, dass seine innerparteilichen Konkurrenten abwarten, bis Gabriel sein Ziel bei der kommenden Bundestagswahl verfehlt, um ihn daraufhin zu beerben. Allerdings ist es auch möglich, dass der Parteichef schon vorher hinschmeißen wird, wenn es für die SPD in den Umfragen noch weiter bergab gehen sollte.
Als möglicher Nachfolger an der Parteispitze gilt Olaf Scholz. Der Hamburger Bürgermeister hat im Unterschied zu Gabriel immerhin Wahlen als Spitzenkandidat gewonnen und in Interviews auch eine Kanzlerkandidatur nicht ausgeschlossen. An Selbstbewusstsein mangelt es ihm nicht. Scholz hält es für möglich, dass die SPD im kommenden Jahr trotz des derzeit großen Rückstands auf die Union stärkste Kraft werden kann. Dies hänge davon ab, ob »die Bürger sich einen Sozialdemokraten als Kanzler vorstellen können«, hatte der Sozialdemokrat unlängst gegenüber der »Neuen Osnabrücker Zeitung« gesagt. Auch in der eigenen Partei scheint Scholz inzwischen einen größeren Rückhalt zu haben als noch vor einigen Jahren. Nach vielen wenig überzeugenden Ergebnissen bei Bundesparteitagen wurde er Ende 2015 mit immerhin 80,2 Prozent der Delegiertenstimmen als stellvertretender Bundeschef wiedergewählt.
Eine andere Variante wäre die Spitzenkandidatur von Martin Schulz. Die Amtszeit des EU-Parlamentspräsidenten endet im Januar. Wenn Schulz dann nicht in Straßburg bleiben sollte, wäre ein Wechsel in die Bundespolitik für ihn durchaus attraktiv. Im Unterschied zu Scholz gilt Schulz als Freund Gabriels. Dass er hinter dem Rücken des Parteivorsitzenden Pläne schmiedet, kann aus- geschlossen werden. Gabriel und Schulz würden sich wohl am liebsten Aufgaben im Wahlkampf teilen.
Dass einzig und allein die Namen von eher konservativen Sozialdemokraten für die Kanzlerkandidatur im Gespräch sind, macht auch deutlich, wie schwach der linke Parteiflügel aufgestellt ist. Die SPD-Linken verfolgen in nahezu allen wichtigen Fragen keine gemeinsame Linie, sondern sind inhaltlich zerstritten. Ein Teil des Flügels gilt als »Oppositionslinke«, der andere als »Regierungslinke«. Bei der Entscheidung über das europäischkanadische Freihandelsabkommen CETA setzt Gabriel offensichtlich wieder einmal auf die Unterstützung der »Regierungslinken«. Er geht davon aus, dass sich der Parteikonvent in Wolfsburg am 19. September mehrheitlich für CETA aussprechen wird. »Umwelt-, Verbraucher- und Arbeitnehmerschutz« seien in dem Abkommen gesichert, verkündete Gabriel nun in der »Berliner Zeitung«. Doch daran zweifeln viele Sozialdemokraten. So hatten etwa die Jusos kritisiert, dass ausländische Investoren Staaten vor Schiedsgerichten verklagen können und die Privatisierung öffentlicher Daseinsfürsorge drohe. Die Abstimmung des Konvents über CETA dürfte knapp ausfallen.
Einen Tag vorher findet die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus statt. Die Prognosen für die SPD schwanken hier zwischen 21 und 27 Prozent. Ein Erfolg der Hauptstädter würde andere Rückschläge in den Hintergrund treten lassen. Wenn die Wahl für die Sozialdemokraten hingegen schlecht laufen sollte, wird es für Gabriel beim Parteikonvent noch schwieriger, die Delegierten von seinem bisherigen Kurs zu überzeugen.
Olaf Scholz hat wichtige Wahlen gewonnen und in Interviews auch eine Kanzlerkandidatur nicht ausgeschlossen.