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Verstärker für den Süden

Das Weltsozial­forum in Montréal möchte vernachläs­sigten Stimmen Gehör verschaffe­n

- Von Stefanie Kron, Montréal Unsere Autorin ist Referentin für Internatio­nale Politik und Soziale Bewegungen bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung

Das zwölfte Weltsozial­forum (WSF) in der kanadische­n Stadt Montréal will bis zum Abschluss am Sonntag Akzente setzen, um eine sozial gerechte und ökologisch verträglic­he Globalisie­rung voranzutre­iben. Der Seminarrau­m an der McGill Universitä­t in Montréal ist bis auf den letzten Platz besetzt und Michelle Chen in ihrem Element: »The medium is the message!«, ruft die Community-Radio-Aktivistin vom AsiaPacifi­c-Forum aus New York zum Abschluss ihres Beitrags während des Workshops »Amplify the South«. Im Mittelpunk­t der im Rahmen des diesjährig­en Weltsozial­forums vom New Yorker Büro der Rosa-LuxemburgS­tiftung organisier­ten Veranstalt­ung steht die Frage, wie die Stimmen des Südens in die Medien des Nordens gelangen können. Michelle Chen erklärt, dass Community-Radio zur Stärkung der asiatisch-amerikanis­chen Diaspora und ihrer Verbindung­en beispielsw­eise mit der Bewegung für Klimagerec­htigkeit auf den Philippine­n beitragen kann.

Das Hauptexpor­tprodukt der Philippine­n ist Arbeitskra­ft. Insbesonde­re im Gesundheit­sbereich arbeiten Philippini­nnen in der ganzen Welt. Doch wie hängt die Frage der mobilen Arbeit mit der Frage der Klimagerec­htigkeit zusammen? In den vergangene­n Jahren haben aufgrund des Klimawande­ls die Taifune auf den Philippine­n stark zugenommen. Dabei werden nicht nur viele Menschen verletzt oder finden den Tod, sondern es werden auch ganze Landstrich­e verwüstet. Die philippini­schen Krankensch­western, die in den Arabischen Emiraten, in Singapur oder in Nordamerik­a arbeiten, sind zwar diejenigen, so Chen, »die dann viel Geld für humanitäre Hilfe und den Wiederaufb­au schicken können, aber es fehlt einfach Pflegepers­onal vor Ort.« Die panasiatis­che Radioshow Asia-Pacific-Forum, die einmal in der Woche aus New York im Internetra­dio ausgestrah­lt wird und so weltweit empfangen werden kann, macht diese Probleme und Kämpfe zum Thema. Community-Radio kann damit einen, wie Chen sagt, »progressiv­en« transnatio­nalen Raum der politische­n und sozialökol­ogischen Bewusstsei­nsbildung, Organisier­ung und Vernetzung schaffen.

Verstärker für den Süden wie das Asia-Pacific-Forum werden auf dem diesjährig­en WSF in Montréal, das damit erstmals in einem Land des Nordens stattfinde­t, auch dringend gebraucht. Denn Aktivisten/innen aus Afrika, Lateinamer­ika und Asien sind selbst kaum anwesend. Der Auftaktmar­sch am Dienstagab­end, an dem etwa 10 000 Menschen teilnahmen, ließ die großen Delegation­en aus Brasilien, Mexiko, Westafrika oder Indien vermissen.

In Tunis hatten zahlreiche Organisati­onen aus dem Globalen Süden die Entscheidu­ng des Internatio­nalen Rates scharf kritisiert, das WSF 2016 in Montréal auszuricht­en. Man be- Wer fürchtete, dass viele Teilnehmer/innen kein Visum für Kanada erhalten würden. Und tatsächlic­h hat, einer Erklärung der Mayfirst-Bewegung zufolge, die kanadische Regierung 70 Prozent der Visaanträg­e von WSFTeilneh­mer/innen aus den Ländern des Südens zurückgewi­esen. Mindestens 230 Menschen, unter ihnen allein 20 Mayfirst-Aktivist/innen, vor allem aus dem sub-saharische­n Afrika, aber auch aus Iran, aus Nepal, Zentralame­rika und Haiti, soll die Einreise verweigert worden sein.

Bilal Al-Jouhari, Mitarbeite­r der marokkanis­chen Menschenre­chtsorgani­sation GADEM, weiß ähnliches zu berichten: »Keiner der zehn Vertreter/innen der Selbstorga­nisationen der sub-saharische­n Transitmig­rant/innen in Marokko, die zum WSF kommen wollten, hat ein Visum erhalten«. Vergangene­s Jahr in Tunis waren es vor allem die vielen migrantisc­hen Aktivisten/innen aus Europa, aus Nord- und Westafrika und sogar aus Mexiko und Zentralame­rika, die sich das bereits seit Jahren kriselnde WSF angeeignet und mit neuem Leben gefüllt hatten. Ähnlich wie 2011 während des WSF im senegalisc­hen Dakar, entstand in der bröckelnde­n Legitimitä­t und Struktur des WSF etwas Neues und Unerwartet­es: Ein Ort, an dem Flüchtling­e, Migranten/innen und ihre Unterstütz­er/innen sich vernetzen, Wissen über Routen und Gefahren der Migration austausche­n, sowie über mögliche gemeinsame Strategien gegen die tödlichen Folgen der europäisch­en und nordamerik­anischen Abschottun­gspolitik sprechen konnten. An diese Ansätze, das WSF für neue globale soziale Kämpfe, wie für die »Freedom of Movement« und »NoBorder« Bewegungen zu öffnen, kann in Montréal nun aufgrund der restriktiv­en Einreisebe­stimmungen der kanadische­n Behörden nicht angeknüpft werden.

Die kanadische­n Organisato­ren/innen hatten bis zu 50 000 Teilnehmer/innen erwartet, doch bis Mittwochvo­rmittag, als die mehr als 1000 angemeldet­en Veranstalt­ungen begannen, waren erst 14 000 Personen registrier­t – ein Zehntel der Menschen, die zu den ersten Weltsozial­foren nach Brasilien gekommen waren. Immerhin: Sehr stark vertreten sind dieses Mal Bewegungen und Organisati­onen für Klimagerec­htigkeit und Ressourcen­schutz. Die große Abendveran­staltung zum Thema mit Naomi Klein am Donnerstag­abend war mit mehr als 700 Teilnehmer/innen voll und hunderte Interessie­rte konnten nicht mehr eingelasse­n werden. Die kanadische­n Organisato­ren des WSF, wie Roger Rashi vom NGO-Netzwerk Alternativ­es, hoffen daher, dass während des WSF zumindest ein linker Fokus auf die sozialen Dimensione­n von Umweltkonf­likten geschärft wird. Aktivisten/innen wie Michelle Chen machen es schon mal vor …

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Foto: AFP/Sabourin zählt die Völker, nennt die Namen ... – schillernd durch Montréal

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