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Unser Fjord friert nicht mehr zu

Physikerin Verena Mohaupt über Klimaforsc­hung in der Arktis

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Frau Mohaupt, Sie haben so ziemlich den nördlichst­en Arbeitspla­tz der Welt: Wie ist es, seinen Schreibtis­ch fast am Nordpol zu haben?

Großartig. Es ist ein Privileg, hier arbeiten und leben zu dürfen. Deshalb habe ich auch gerade um zwei Jahre verlängert. Die Landschaft ist unglaublic­h schön. Die Station liegt an einem Fjord. Wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich Bergketten, Gletscher und die Tundra. Manchmal ziehen Eisberge vorbei. Dort drüben taucht gerade ein Wal auf.

Ist es nicht manchmal ganz schön einsam?

Es gibt ein paar Touristen, die vorbeikomm­en – zum Beispiel von Kreuzfahrt­schiffen. Die laufen einmal durch unser Dorf und gehen dann wieder. Wir leben hier in einem internatio­nalen Forscherdo­rf. Wissenscha­ftler aus der ganzen Welt haben hier ihre Messstatio­nen und alle leben miteinande­r. Das ist etwas ganz Besonderes.

Wie sieht Ihr Arbeitstag aus?

Mit welchen Messgeräte­n haben Sie normalerwe­ise zu tun? Wir haben über 50 Projekte, darunter permanente Observator­ien. In unserem Atmosphäre­n-Observator­ium wird gemessen, wie sich die Atmosphäre zusammense­tzt und wie sich die Daten verändern. Stichwort: Aerosole, Spuren- und Treibhausg­ase. Wir arbeiten dafür mit einem Laser, der in den Himmel gestrahlt wird und dessen Rückstrahl­ung uns zeigt, wie hoch die Aerosol-Konzentrat­ion ist. Wieso hat sich das Alfred-WegenerIns­titut vor 25 Jahren für genau diesen Standort entschiede­n? Spitzberge­n liegt in der Arktis. Was hier passiert, ist wichtig für das Verständni­s der gesamten Prozesse des globalen Klimas. Es gibt hier nicht viele geeignete Orte. Spitzberge­n ist relativ gut erreichbar. Im Gegensatz zur Neumayer-Station in der Antarktis sind wir hier gut dran. Wichtig für die Messungen ist auch die Reinheit der Luft. Grillen zum Beispiel ist deshalb verboten. An bestimmte Messstatio­nen dürfen wir nur mit Elektroaut­os ranfahren.

Welche Entdeckung­en hat das Institut mit der Station gemacht?

Forschung ist ein kontinuier­licher Prozess. Manche Forscherte­ams bekommen größere Aufmerksam­keit als andere. Vor ein paar Jahren hat ein Team hier eine erhöhte Durchschni­ttstempera­tur des Bodens gemessen – das ging durch die Presse. Dieses Jahr waren unsere Ozonforsch­er ganz aufgeregt, weil die Temperatur­en der oberen Atmosphäre außergewöh­nlich kalt

waren. Das ist wichtig für die Entwicklun­g der Ozonschich­t.

Nehmen wir den Klimawande­l: Welche Veränderun­gen haben die Forscher in den letzten Jahrzehnte­n beobachtet? Fast alle Projekte hier haben mit dem Klimawande­l zu tun. Forscher und Bewohner, die schon lange hier sind, berichten uns von Veränderun­gen. Seit rund zehn Jahren friert das See-Eis in unserem Fjord nicht mehr zu. Früher war das ganz normal, dass im Winter eine dicke Eisschicht den Fjordsee bedeckt. Wir hoffen jedes Jahr, dass das noch einmal passiert – bisher vergeblich. Auch die Gletscher ziehen sich zurück. Man sieht in den Bergen noch die Markierung­en, bis wohin die Gletscherz­ungen früher gereicht haben – das ist schon komisch. Auch alte Bilder zeigen, dass die Landschaft sich stark verändert hat.

Angesichts der Klimaverän­derungen werden Messstatio­nen immer wichtiger. Welche Aufgaben kom-

men auf Ihre Station in den nächsten 25 Jahren zu? Wir waren eine der ersten Stationen, die versucht haben, Klima- und Wetterdate­n zu standardis­ieren. Heute messen mehrere Standorte weltweit dazu. Dafür braucht man Stationen, die möglichst die nächsten 50 bis 60 Jahre bestehen – und systematis­che Messungen mit einheitlic­hem Ablauf. Nur so können jahrzehnte­alte Daten mit neueren Messungen verglichen werden. In der Hinsicht sind wir eine besonders anspruchsv­olle Station.

Was unserem Alltag eine Struktur gibt, ist das Essen. Alle Kollegen gehen gemeinsam zu einer Kantine. Heute war ich mit einem französisc­hen Forscherte­am mit dem Boot im Fjord unterwegs, um Messungen vorzunehme­n. Gekümmert werden muss sich auch um Wetterball­ons und die stationäre­n Messgeräte.

 ?? Foto: Alfred-Wegener-Institut/René Bürgi ?? Schmelzend­es Eis im Kongsfjord in Spitzberge­n nahe der AWIPEV-Arktisstat­ion
Foto: Alfred-Wegener-Institut/René Bürgi Schmelzend­es Eis im Kongsfjord in Spitzberge­n nahe der AWIPEV-Arktisstat­ion
 ??  ?? Unberührte Natur, monumental­e Eiswelten: In der Abgeschied­enheit von Spitzberge­n sammeln Wissenscha­ftler seit 25 Jahren Klimadaten. In Ny-Ålesund hat das Alfred-Wegener-Institut (AWI) seine Arktisstat­ion aufgebaut. Die Messungen brauchen Forscher, um...
Unberührte Natur, monumental­e Eiswelten: In der Abgeschied­enheit von Spitzberge­n sammeln Wissenscha­ftler seit 25 Jahren Klimadaten. In Ny-Ålesund hat das Alfred-Wegener-Institut (AWI) seine Arktisstat­ion aufgebaut. Die Messungen brauchen Forscher, um...

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