Achillesferse Exportabhängigkeit
Die hiesige Wirtschaft wuchs von April bis Juni nur noch um 0,4 Prozent
Laut Prognose der Bundesregierung soll die Wirtschaft dieses Jahr noch um 1,7 Prozent wachsen. Doch angesichts des Brexits und der lahmenden Weltwirtschaft glauben Experten nicht mehr dran. »Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozialprodukt«, hieß es Anfang der 1980er Jahre in einem Neue-DeutscheWelle-Hit. Doch der hiesigen Wirtschaft geht mittlerweile offenbar die Spucke aus. Denn ihre Leistung wuchs – nun gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) – mit 0,4 Prozent im zweiten Quartal dieses Jahres nicht mehr so schnell wie die drei Monate davor, wie das Statistische Bundesamt am Freitag in Wiesbaden mitteilte. Von Januar bis März waren es noch 0,7 Prozent gewesen. Getragen wurde das Wachstum vor allem vom Außenhandel und den gestiegenen Ausgaben des Staates.
Zeitgleich schwächte sich auch im restlichen Euroraum die Konjunktur ab. Dessen Wirtschaftswachstum halbierte sich im zweiten Quartal von 0,6 auf 0,3 Prozent. Doch zumindest langfristig scheint sich der Euroraum von der Krise zu erholen. Gemessen am Vorjahreszeitraum war die Wirtschaftsleistung der Währungsunion von April bis Juni um 1,6 Prozent höher. Besonders viel konnte das ehemalige Krisenland Spanien aufholen. Dessen Wirtschaft wuchs im Vorjahresvergleich um 3,2 Prozent.
Auch in Griechenland scheint es einen kleinen Hoffnungsschimmer am Horizont zu geben. Das Land wurde am schlimmsten von der Eurokrise und den harten Sparauflagen der Gläubiger-Troika aus Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und EU-Kommission getroffen. Nun wuchs Griechenlands Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal leicht um 0,3 Prozent, nachdem sie im Winter um 0,1 gefallen war. Doch noch immer beträgt die Arbeitslosenquote in dem südosteuropäischen Land knapp ein Viertel. Unter den jugendlichen Griechen ist noch immer fast jeder Zweite arbeitslos.
Von solchen Zuständen ist man in Deutschland, dessen Regierung viel zur miesen Lage in Griechenland beitrug, weit entfernt. Für das Gesamtjahr geht Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) noch von einem Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent aus. Dies wäre nur 0,1 Prozent weniger, als die Wirtschaft im zweiten Quartal dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahr gewachsen war.
Doch ob die hiesige Wirtschaft das auch schafft, darüber ist man unter den Ökonomen skeptisch. So bleibt das Wirtschaftswachstum laut dem Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, noch robust. »Die anhaltende Investitionsschwäche bleibt aber die Achillesferse.« Ohne stärkere private und öffentliche Investitionen werde die deutsche Wirtschaft langfristig nicht dynamisch wachsen können, meint Fratzscher. Insbesondere in Ausrüstungen und Bauten wurde im zweiten Quartal weniger investiert als die drei Monate zuvor.
Besonders der Brexit könnte der Wirtschaft zusetzen, die in den ver- gangenen drei Monaten vor allem dank guter Außenhandelszahlen gewachsen ist. Denn Großbritannien ist in Sachen Export mit einem Volumen von 89,3 Milliarden Euro Deutschlands drittgrößter Handelspartner. Wegen des Austritts könnte das BIP um 0,4 Prozent nach unten gedrückt werden, schätzt das DIW. »Die noch immer zu niedrige Inflation in Deutschland unterstreicht die hohe Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von Europa und der Weltwirtschaft«, so Fratzscher.
»Wir brauchen dringend eine Stärkung der Binnennachfrage«, meint deshalb der wirtschaftspolitische Sprecher der LINKEN im Bundestag, Michael Schlecht, gegenüber dem »neuen deutschland«. Dass die Wirtschaft vor allem wegen des Außenhandels gewachsen ist, ist für ihn nicht nur wegen des Brexits eine »mit Risiken behaftete Entwicklung«. Denn das mache die Wirtschaft noch stärker abhängig von der Weltwirtschaft, die derzeit vielfach ins Stocken gerät. So läuft es auch in China schon länger nicht mehr rund.