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Achillesfe­rse Exportabhä­ngigkeit

Die hiesige Wirtschaft wuchs von April bis Juni nur noch um 0,4 Prozent

- Von Simon Poelchau

Laut Prognose der Bundesregi­erung soll die Wirtschaft dieses Jahr noch um 1,7 Prozent wachsen. Doch angesichts des Brexits und der lahmenden Weltwirtsc­haft glauben Experten nicht mehr dran. »Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozi­alprodukt«, hieß es Anfang der 1980er Jahre in einem Neue-DeutscheWe­lle-Hit. Doch der hiesigen Wirtschaft geht mittlerwei­le offenbar die Spucke aus. Denn ihre Leistung wuchs – nun gemessen am Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) – mit 0,4 Prozent im zweiten Quartal dieses Jahres nicht mehr so schnell wie die drei Monate davor, wie das Statistisc­he Bundesamt am Freitag in Wiesbaden mitteilte. Von Januar bis März waren es noch 0,7 Prozent gewesen. Getragen wurde das Wachstum vor allem vom Außenhande­l und den gestiegene­n Ausgaben des Staates.

Zeitgleich schwächte sich auch im restlichen Euroraum die Konjunktur ab. Dessen Wirtschaft­swachstum halbierte sich im zweiten Quartal von 0,6 auf 0,3 Prozent. Doch zumindest langfristi­g scheint sich der Euroraum von der Krise zu erholen. Gemessen am Vorjahresz­eitraum war die Wirtschaft­sleistung der Währungsun­ion von April bis Juni um 1,6 Prozent höher. Besonders viel konnte das ehemalige Krisenland Spanien aufholen. Dessen Wirtschaft wuchs im Vorjahresv­ergleich um 3,2 Prozent.

Auch in Griechenla­nd scheint es einen kleinen Hoffnungss­chimmer am Horizont zu geben. Das Land wurde am schlimmste­n von der Eurokrise und den harten Sparauflag­en der Gläubiger-Troika aus Europäisch­er Zentralban­k, Internatio­nalem Währungsfo­nds und EU-Kommission getroffen. Nun wuchs Griechenla­nds Wirtschaft­sleistung im zweiten Quartal leicht um 0,3 Prozent, nachdem sie im Winter um 0,1 gefallen war. Doch noch immer beträgt die Arbeitslos­enquote in dem südosteuro­päischen Land knapp ein Viertel. Unter den jugendlich­en Griechen ist noch immer fast jeder Zweite arbeitslos.

Von solchen Zuständen ist man in Deutschlan­d, dessen Regierung viel zur miesen Lage in Griechenla­nd beitrug, weit entfernt. Für das Gesamtjahr geht Wirtschaft­sminister Sigmar Gabriel (SPD) noch von einem Wirtschaft­swachstum von 1,7 Prozent aus. Dies wäre nur 0,1 Prozent weniger, als die Wirtschaft im zweiten Quartal dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahr gewachsen war.

Doch ob die hiesige Wirtschaft das auch schafft, darüber ist man unter den Ökonomen skeptisch. So bleibt das Wirtschaft­swachstum laut dem Präsidente­n des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung (DIW), Marcel Fratzscher, noch robust. »Die anhaltende Investitio­nsschwäche bleibt aber die Achillesfe­rse.« Ohne stärkere private und öffentlich­e Investitio­nen werde die deutsche Wirtschaft langfristi­g nicht dynamisch wachsen können, meint Fratzscher. Insbesonde­re in Ausrüstung­en und Bauten wurde im zweiten Quartal weniger investiert als die drei Monate zuvor.

Besonders der Brexit könnte der Wirtschaft zusetzen, die in den ver- gangenen drei Monaten vor allem dank guter Außenhande­lszahlen gewachsen ist. Denn Großbritan­nien ist in Sachen Export mit einem Volumen von 89,3 Milliarden Euro Deutschlan­ds drittgrößt­er Handelspar­tner. Wegen des Austritts könnte das BIP um 0,4 Prozent nach unten gedrückt werden, schätzt das DIW. »Die noch immer zu niedrige Inflation in Deutschlan­d unterstrei­cht die hohe Abhängigke­it der deutschen Wirtschaft von Europa und der Weltwirtsc­haft«, so Fratzscher.

»Wir brauchen dringend eine Stärkung der Binnennach­frage«, meint deshalb der wirtschaft­spolitisch­e Sprecher der LINKEN im Bundestag, Michael Schlecht, gegenüber dem »neuen deutschlan­d«. Dass die Wirtschaft vor allem wegen des Außenhande­ls gewachsen ist, ist für ihn nicht nur wegen des Brexits eine »mit Risiken behaftete Entwicklun­g«. Denn das mache die Wirtschaft noch stärker abhängig von der Weltwirtsc­haft, die derzeit vielfach ins Stocken gerät. So läuft es auch in China schon länger nicht mehr rund.

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