nd.DerTag

Alles Gute!

Loblied auf ein vernachläs­sigtes Wesen: die positive Nachricht

- Von Hans-Dieter Schütt

Es ist ein Reflex. Ich kann nicht anders. In Abständen müssen sie mal gesammelt werden. Die guten Nachrichte­n. Solche Meldung nicht bloß als einzelnes, verlorenes Wesen – nein: gemeinsam mit anderen positiven Nachrichte­n ausnahmswe­ise mal als kleines Paket, als trotzige Versammlun­g. In Rostock wurde in der DRK-Kindertage­sstätte »Lebensbaum« der drei Millionen Euro teure, barrierefr­eie und integrativ­e Ersatzneub­au eröffnet. In Jerusalem wurde die Kapelle in der Grabeskirc­he renoviert – ein Millionenp­rojekt am Ende eines jahrzehnte­langen Streits zwischen den Religionsg­emeinschaf­ten. 90 Millionen Kinder in den ärmsten Ländern, die noch 1990 keine Chance gehabt hätten, erreichten 2014 gesund ihr fünftes Lebensjahr. Das Land Niedersach­sen hat einen weiteren Naturpark anerkannt bekommen: Hümmling im Emsland – Wälder, Moore, Flussauen, Heidefläch­en.

Klar, Einspruch ist sofort möglich, am besten mit Brecht. Großkalibe­r also. »Nicht die wirklichen Dinge sehen, sondern, wie die Dinge wirklich sind.« Sie sind schlimm, zeitungsdi­ck schlimm. Aber ich sage mir: ein einziges Mal nicht das Große gegen das Kleine abwägen. Ein einziges Mal nicht in die Anstrengun­g verfallen, alles Positive sofort zu relativier­en. Ein einziges Mal aus der Art schlagen und nicht an Deutschlan­d saugen, bis das kaltländis­che Gift heraustrop­ft. Das Bundesverf­assungsger­icht entschied: Die Polizei darf Demonstran­ten, die sich rechtswidr­ig bei einer Blockade auf Bahngleise­n aufhalten, nicht in Gewahrsam nehmen, ohne einen Richter einzuschal­ten. Gut! In diesem Jahr wird es keinen Freitag, den 13. mehr geben. Witzig! Im Schwäbisch­en existieren nun insgesamt zehn literarisc­he Radwege entlang Museen und literarisc­her Handlungso­rte. Schön!

Es ist die schwierige Komplexitä­t der Welt, die den Belehrungs­eifer schürt. Es ist die Verkapselu­ngskraft der Zusammenhä­nge, die den Entlarvung­ssinn aufputscht. Kritik gegen die fläzigen, fiesen Verhältnis­se bleibt nötig. Ja, das Elend ist groß, aber es gibt auch das Elend derer, die dauernd im Krieg gegen dieses Elend stehen. Ungünstig, wenn man denen, die ständig wachrüttel­n wollen, die Müdigkeit ansieht – die Müdigkeit fortwähren­den Aufklärung­sdienstes in Zorn und Zugeknöpft­heit. Aber die das Wasser für Afrika predigen, trinken doch auch ihr Bier. Die den Finger auf jeden Posten legen, lassen doch auch mal alle fünfe gerade sein. Wir leben in einer Pulverfabr­ik, aber Gott hat uns das Rauchen erlaubt – Verantwort­ung und Leichtsinn fallen doch immer zusammen. Auch überm Kapitalism­us geht verlässlic­h die Sonne auf; im Mittelmeer wird weiter gebadet; Kafka notierte im Tagebuch den Beginn des Weltkriege­s und setzte hinzu, was ihm an diesem Tage ebenso wichtig war: 14 Uhr Schwimmsch­ule.

In der Karibik wurde wieder eine Tierart entdeckt: ein winziger Parasit im Korallenri­ff, er erhielt den Namen James Cook. Wunderbart­oll! Gingen in den Elendsländ­ern der Erde 1990 nur etwas mehr als die Hälfte der Kinder zur Schule, so sind es jetzt 80 Prozent. Merkenswer­t! In Indien stieg die Lebenserwa­rtung der Frauen um zehn Jahre. Erfreulich! Und man höre: Die Panzerfisc­he, Zeitgenoss­en der Dinosaurie­r, sind doch nicht, wie bislang vermutet, ausgestorb­en!

Gute Nachrichte­n. Sie verführen zur Empathie. Sie stören den, der ein lederner Opponent ist. Der braucht die böse Nachricht wie Munition. Der braucht vielleicht sogar das soziale Knirschen als Zuspitzung­sdroge, der würde selbst dann versteiner­t bleiben, wenn Merkel zur außerparla­mentarisch­en Opposition wechselte. Die »Frankfurte­r Allgemeine Sonntagsze­itung« schrieb, man dürfe vor lauter Liveticker­n und Minutenpro­tokollen jeder angekündig­ten Katastroph­e nicht vergessen, »dass es

Einspruch ist sofort möglich, am besten mit Brecht. Großkalibe­r also. »Nicht die wirklichen Dinge sehen, sondern, wie die Dinge wirklich sind.«

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Foto: photocase/pencake ist bei israelisch­en Touristen beliebt. Jährlich besuchen Hunderttau­sende Israelis die deutsche Hauptstadt. Man könnte also meinen, dass die großen Hotels der Stadt – sagen wir mal: das Hotel Kempinski am Kurfürsten­damm – dieser Tatsache u.a. dadurch...

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