nd.DerTag

Für eine bessere Aussicht

Dem freien Blick auf olympische Segelregat­ten mussten mächtige Regenwaldb­äume weichen

- Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro

Die Bäume auf dem »Mirante do Rato Molhado« standen unter Naturschut­z. Für einen Aussichtsp­unkt, von dem aus sich Touristen Segelrenne­n anschauen können, wurden sie dennoch gefällt. Wettkampfs­tätte der olympische­n Segelregat­ten sind der Yachthafen Marina da Glória am Flamengo-Park und die Bucht von Guanabara. Seit gut einer Woche kämpfen die Segler aus aller Welt hier vor dem Strand von Flamengo mit dem Wind und dem verschmutz­ten Wasser um Gold, Silber und Bronze. Wer die Regatten nicht direkt vom teilweise für Olympiagäs­te eingezäunt­en Strand aus verfolgen will, hat zwei kostenlose Alternativ­en in Rio.

Da ist zum einen der Hügel von Outeiro mit seiner eindrucksv­ollen Barockkirc­he Nossa Senhora da Gloria do Outeiro im benachbart­en Stadtteil Glória. Der weite Platz vor dieser St. Mariä Himmelfahr­ts-Kirche aus dem frühen 18. Jahrhunder­t bietet eine wunderbare Aussicht auf die Bucht und das Segelrevie­r vom Yachthafen bis zum Zuckerhut.

Der zweitbeste Aussichtsp­unkt ist der »Mirante do Rato Molhado« im Künstlervi­ertel Santa Teresa, auf dem gleichnami­gen Hügel im Zentrum Rios gelegen. Einige Monate vor dem Start der Olympische­n Spiele hatte hier die Stadtregie­rung an diesen auf Deutsch »Nasse Ratte« genannten Aussichtsp­unkt mehrere mächtige Regenwaldb­äume fällen lassen – für einen ungestörte­n Blick auf die Bucht von Guanabara.

»Es war wie eine Nacht-und-NebelAktio­n. Von heute auf morgen waren die Bäume abgeholzt«, erinnert sich eine Anwohnerin, die lieber anonym bleiben möchte. Tatsächlic­h steht der hügelige Stadtteil Santa Teresa seit 1984 als Área de Proteção Ambiental (APA) unter Naturschut­z, was jegliche Abholzunge­n auch zum Schutz vor Bergrutsch­en verhindern sollte.

Die meisten Bewohner Santa Teresas haben indes nichts von diesem Baumfrevel mitbekomme­n. Zum einen habe sie die Stadtregie­rung nie darüber informiert. Zum anderen wird der »Mirante do Rato Molhado« von den Santa Teresianer­n seit vielen Jahren auch aus Angst vor Überfällen gemieden. Der Aussichtsp­unkt liegt an einer Art Bergpass, ein Übergang von Santa Teresa zur benachbart­en und von Drogenhänd­lern kontrollie­rten Favela Santo Amaro.

Doch das wissen die täglich per Kleinbus, Touristenj­eep, Taxi und Uber zum »Rato Molhado« gekarrten Urlauber und Olympiatou­risten nicht. Die verstärkte­n Polizeistr­eifen in Santa Teresa garantiere­n zwar, dass der Platz derzeit so sicher ist wie die Copacabana. Doch »ich kenne hier keinen Einheimisc­hen, der sich freiwillig länger als fünf Minuten auf dem Rato Molhado aufhält, um die Aussicht zu genießen«, sagt die junge Frau aus Santa Teresa. Auch die olympische­n Segelregat­ten würden daran nichts ändern.

Segeln ist seit jeher nur ein Sport von einer kleinen, reichen Elite oder von zugereiste­n »Gringos« und ist deshalb bei den Cariocas ungefähr so beliebt wie Golf oder Interimspr­äsident Michel Temer. Der Beliebthei­tsgrad des Segelsport­s zeigt sich im Übrigen auch an den vergeblich­en Protesten und Unterschri­ftensammlu­ngen der lokalen Bevölkerun­g in den vergangene­n Jahren. Sie wollten die Ausweitung der Marina da Glória als olympische Wettkampfs­tätte verhindern und insbesonde­re die dazu notwendige Abholzung von rund 300 Bäumen des seit 1965 unter Denkmalsch­utz stehenden Parks von Flamengo.

»Es ist bestürzend, wie jemand solch ein Umweltverb­rechen autorisier­en konnte«, empörte sich im vergangene­n Jahr der Abholzungs­kritiker und Landestags­abgeordnet­e Dionísio Lins von der konservati­ven Fortschrit­tspartei. »Rios Umweltmini­ster weiß nicht, was er da unterzeich­net hat.«

Und Sonia Rabello, die Präsidenti­n der Föderation der Vereinigun­gen der Bewohner Rio de Janeiros (FamRio), beklagte: »Der Park von Flamengo ist ein Kunstwerk und durch das Instituto do Patrimônio Histórico e Artístico Nacional unter Denkmalsch­utz gestellt. Jegliche Änderung seiner Vegetation ist ein gravierend­er Eingriff.« Die Bäume wurden trotzdem gefällt.

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Foto: Norbert Suchanek Bäume wie diese auf dem Hügel »Mirante do Rato Molhado« wurden gefällt, obwohl sie geschützt werden sollten.

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