Für eine bessere Aussicht
Dem freien Blick auf olympische Segelregatten mussten mächtige Regenwaldbäume weichen
Die Bäume auf dem »Mirante do Rato Molhado« standen unter Naturschutz. Für einen Aussichtspunkt, von dem aus sich Touristen Segelrennen anschauen können, wurden sie dennoch gefällt. Wettkampfstätte der olympischen Segelregatten sind der Yachthafen Marina da Glória am Flamengo-Park und die Bucht von Guanabara. Seit gut einer Woche kämpfen die Segler aus aller Welt hier vor dem Strand von Flamengo mit dem Wind und dem verschmutzten Wasser um Gold, Silber und Bronze. Wer die Regatten nicht direkt vom teilweise für Olympiagäste eingezäunten Strand aus verfolgen will, hat zwei kostenlose Alternativen in Rio.
Da ist zum einen der Hügel von Outeiro mit seiner eindrucksvollen Barockkirche Nossa Senhora da Gloria do Outeiro im benachbarten Stadtteil Glória. Der weite Platz vor dieser St. Mariä Himmelfahrts-Kirche aus dem frühen 18. Jahrhundert bietet eine wunderbare Aussicht auf die Bucht und das Segelrevier vom Yachthafen bis zum Zuckerhut.
Der zweitbeste Aussichtspunkt ist der »Mirante do Rato Molhado« im Künstlerviertel Santa Teresa, auf dem gleichnamigen Hügel im Zentrum Rios gelegen. Einige Monate vor dem Start der Olympischen Spiele hatte hier die Stadtregierung an diesen auf Deutsch »Nasse Ratte« genannten Aussichtspunkt mehrere mächtige Regenwaldbäume fällen lassen – für einen ungestörten Blick auf die Bucht von Guanabara.
»Es war wie eine Nacht-und-NebelAktion. Von heute auf morgen waren die Bäume abgeholzt«, erinnert sich eine Anwohnerin, die lieber anonym bleiben möchte. Tatsächlich steht der hügelige Stadtteil Santa Teresa seit 1984 als Área de Proteção Ambiental (APA) unter Naturschutz, was jegliche Abholzungen auch zum Schutz vor Bergrutschen verhindern sollte.
Die meisten Bewohner Santa Teresas haben indes nichts von diesem Baumfrevel mitbekommen. Zum einen habe sie die Stadtregierung nie darüber informiert. Zum anderen wird der »Mirante do Rato Molhado« von den Santa Teresianern seit vielen Jahren auch aus Angst vor Überfällen gemieden. Der Aussichtspunkt liegt an einer Art Bergpass, ein Übergang von Santa Teresa zur benachbarten und von Drogenhändlern kontrollierten Favela Santo Amaro.
Doch das wissen die täglich per Kleinbus, Touristenjeep, Taxi und Uber zum »Rato Molhado« gekarrten Urlauber und Olympiatouristen nicht. Die verstärkten Polizeistreifen in Santa Teresa garantieren zwar, dass der Platz derzeit so sicher ist wie die Copacabana. Doch »ich kenne hier keinen Einheimischen, der sich freiwillig länger als fünf Minuten auf dem Rato Molhado aufhält, um die Aussicht zu genießen«, sagt die junge Frau aus Santa Teresa. Auch die olympischen Segelregatten würden daran nichts ändern.
Segeln ist seit jeher nur ein Sport von einer kleinen, reichen Elite oder von zugereisten »Gringos« und ist deshalb bei den Cariocas ungefähr so beliebt wie Golf oder Interimspräsident Michel Temer. Der Beliebtheitsgrad des Segelsports zeigt sich im Übrigen auch an den vergeblichen Protesten und Unterschriftensammlungen der lokalen Bevölkerung in den vergangenen Jahren. Sie wollten die Ausweitung der Marina da Glória als olympische Wettkampfstätte verhindern und insbesondere die dazu notwendige Abholzung von rund 300 Bäumen des seit 1965 unter Denkmalschutz stehenden Parks von Flamengo.
»Es ist bestürzend, wie jemand solch ein Umweltverbrechen autorisieren konnte«, empörte sich im vergangenen Jahr der Abholzungskritiker und Landestagsabgeordnete Dionísio Lins von der konservativen Fortschrittspartei. »Rios Umweltminister weiß nicht, was er da unterzeichnet hat.«
Und Sonia Rabello, die Präsidentin der Föderation der Vereinigungen der Bewohner Rio de Janeiros (FamRio), beklagte: »Der Park von Flamengo ist ein Kunstwerk und durch das Instituto do Patrimônio Histórico e Artístico Nacional unter Denkmalschutz gestellt. Jegliche Änderung seiner Vegetation ist ein gravierender Eingriff.« Die Bäume wurden trotzdem gefällt.