Top-Thema Bildung
Alle reden über Kandidat-Innen, wir reden über Inhalte. Erster Prüfstein der nd-Serie zur Abgeordnetenhauswahl
Marode Schulen, zu wenig Kitaplätze, schlecht bezahlte StudentInnen – an Horrormeldungen aus der Bildung hat es im Vorwahlkampf nicht gemangelt. Was die Parteien ändern wollen, zeigen wir hier.
In der Fichtelgebirge-Grundschule in Kreuzberg wird es eng. In den 51 Quadratmeter kleinen Klassenräumen sitzen inzwischen je 26 Kinder. Gedacht waren sie einmal für maximal 24. Die Kinder lernen hier in sogenannten »Teilungsräumen« jahrgangsübergreifend, eigentlich sollen sie kleine Lerngruppen bilden können. »Jetzt wird es einfach schnell laut und anstrengend für die Kinder«, sagt Ute Lindenbeck, Vorsitzende der Gesamtelternvertretung der Schule. Der Bezirk habe ihr gesagt, das sei ein Luxusproblem, es gehe nun erst einmal darum, die vielen Kinder unterzubringen. Lindenbeck findet das nicht. Denn: »Die ganze neue Pädagogik, die man nach dem Pisa-Reinfall versucht hat umzusetzen, kann in diesen Räumen nicht erfüllt werden. Das ist schade, weil Berlin viel tut, aber die Räumlichkeiten sind nicht da.« Dass Plätze fehlen, sagt auch Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD): Bis 2024 müssen zusätzliche 86 000 SchülerInnen untergebracht werden. Landeselternsprecher und Grüne sagen: Abzüglich dem, was die Senatorin bis 2019 geplant hat, fehlen noch 80 Schulen.
Soweit die Beschreibung eines der vielen Missstände im riesigen Bereich der Bildung – jenes Themas, das im aktuellen Wahlkampf eine große Rolle spielt. Laut »Forschungsgruppe Wahlen« war die Bildung auch bei den vergangenen Abgeordnetenhauswahlen 2011 das »TopThema«. 23 Prozent der Wähler sprachen der SPD hier die größte Kompetenz zu, den zweiten Platz teilten sich Grüne und CDU mit je 20 Prozent.
Dieses Jahr steht das Thema nicht in allen Parteiprogrammen an erster Stelle. Nur bei der CDU. Die allerdings sieht den Bereich Kita nicht als Bildungs-, sondern als Familienthema an, auch die Wissenschaft zählt für sie zur Wirtschaft.
Es gibt zwischen den Parteien viele Gemeinsamkeiten zu entdecken, die sich nur graduell unterscheiden. So sind alle Parteien für die Lehrund Lernmittelfreiheit. Die Grünen formulieren am ungenauesten: »auf einer Berlinweiten Plattform« wollen sie »freie Lern- und Lehrmittel anbieten«. Eine weitere Gemeinsamkeit ist, dass alle GrundschullehrerInnen ein besseres Einstiegsgehalt zusagen: Dasselbe wie Gymnasiallehrer. Die CDU spricht sich dafür aus, die Lehrer wieder zu verbeamten, die LINKE ist dagegen. Beim Thema Schulsanierung gehen die Vorschläge vor allem in dem Bereich auseinander, wie das ganze Vorhaben umgesetzt und finanziert werden soll. Die LINKE schlägt vor, sich über die Gründung einer landeseigenen GmbH die Möglichkeit zu verschaffen, Kredite aufzunehmen. Allein der Sanierungsbedarf der aktuellen Gebäude wird auf 4,9 Milliarden Euro ge- schätzt. Auch die SPD ist für Kredite offen, die CDU schreibt von »Finanzierungspartnerschaften«. Die Grünen hingegen wollen die Mittel aus dem laufenden Haushalt stemmen. Einen klaren Gegenpol zu Rot-Rot-Grün bildet die CDU beim Thema Gemeinschaftsschulen. Sie will den Ausbau stoppen und Gymnasien wieder stärken.
Im Bereich der Kindertagesbetreuung sind sich SPD, LINKE und Grüne einig, einen besseren Betreuungsschlüssel für die Kinder zu erreichen. Statt wie bisher durchschnittlich für 5,5 unter Dreijährige soll eine Erzieherin nur noch für vier Kleinkinder zuständig sein. Auch die CDU will einen besseren Schlüssel und dafür 2017 rund 52 Millionen Euro ausgeben. All diese Parteien wollen, dass die Bezahlung der ErzieherInnen verbessert wird, CDU und LINKE nennen konkret den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) als Maßstab. Während die SPD von 14 000 Kitaplätzen spricht, die in den nächsten Jahren geschaffen werden müssen, nennen die Grünen als Ziel 20 000 neue Kitaplätze. Interessant sind auch die Vorschläge zur Betreuung, die über die Kita hinausgeht. So wollen die Grünen nicht nur wie die SPD die ergänzende Kindertagespflege ausbauen, sondern einen »Bring- und Abholservice« einrichten, der über ein Gutscheinsystem geregelt werden soll. Die CDU will in diesem Zusammenhang das Modell der »Tagesgroßmütter« voranbringen.
Im Bereich der Universitäten stellen sich SPD und LINKE hinter die Forderung der StudentInnen und Gewerkschaft, den Tarifvertrag für studentische Beschäftigte zu verbessern. Die LINKE nennt konkret die »Entwicklung der Lebenserhaltungskosten« als Maßstab. Die SPD schreibt sich die Frauenförderung auf die Fahne: Jede zweite Berufung und Leitungsfunktion will sie an eine Frau vergeben. Die CDU fordert, dass mindestens eine Bibliothek 24 Stunden geöffnet hat.
Die konkreteste Abweichung haben SPD und LINKE beim Thema Weiterbildung und Festanstellung an Volkshochschulen: Während die SPD eine verbesserte Quote von 25 Prozent erreichen will, fordert die LINKE eine Angleichung an den Bundesdurchschnitt von 75 Prozent.
Die Elternsprecherin Lindenbeck wird die Vorzüge eines schnelleren Schulneubaus zumindest nicht mehr an der Grundschule verfolgen – denn selbst ein beschleunigtes Verfahren wird immer noch vier Jahre dauern. Die Suche nach Neubauflächen fand in ihrem Kiez zudem bereits ein jähes Ende. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg habe ihr gesagt: »Im Wrangelkiez gibt es nichts.« Gerade überlegt der Träger der Schule deshalb, leerstehende Räume eines Seniorenzentrums zu nutzen. »Das wäre eine Zwischenlösung.« Langfristig, sagt Lindenbeck, müsse die Politik überlegen, ob sie Gebäude und Grundstücke, die sie gerade erst verkauft habe, zurückkauft und als Schulen umnutzt.