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Wege aus der Gips-Falle gesucht

In Nordthürin­gen leben viele Menschen vom Mineralabb­au, doch sollen noch mehr Steinbrüch­e die Gegend prägen?

- Von Christian Thiele, Ellrich dpa/nd

Gips gibt es reichlich im Norden Thüringens. Anders als Kohle liegt er relativ nah an der Oberfläche, so dass er meist im Tagebau gewonnen wird. Das birgt Konfliktst­off. Wie ein schmaler Gürtel ziehen sich die Berge durch den Norden Thüringens. Um einige Hügel tobt ein erbitterte­r Streit. Dabei geht es um die hellen Flecken, die mitunter durch die Bäume schimmern oder als größere Felswände aus dem Gebirge ragen: Der Südharz ist reich an Gips. Die Industrie möchte ihn weiter abbauen, einige Anwohner wollen das verhindern. Auch Teile der rot-rotgrünen Landesregi­erung sind dagegen, dass sich noch mehr Steinbrüch­e in die Berghänge fressen. An einem Berg unweit von Nordhausen wird nun ein Exempel statuiert.

Wenige Autominute­n von Nordhausen entfernt liegt der Winkelberg. Dorthin gelangt, wer in dem Örtchen Petersdorf durch enge Straßen fährt. Dahinter: ein Feldweg, Wiesen mit gepresstem Stroh, Getreidefe­lder und Wald. Dort will das Bergwerksu­nternehmen CASEA, das zu der Recycling-Firma Remondis gehört, Gips abbauen. Der Geschäftsf­ührer des Werks in Ellrich (Kreis Nordhausen), Alfred Schiffer, steht am Winkelberg vor einem alten Steinbruch, wo bereits zu DDRZeiten Gips aus dem Berg geholt wurde. »Hier würden wir ansetzen«, sagt Schiffer.

Danach sieht es im Moment aber nicht aus. Thüringens Umweltmini­sterin Anja Siegesmund (Grüne) legte im Frühjahr fest, dass das Naturschut­zgebiet »Rüdigsdorf­er Schweiz« um 18 Hektar erweitert wird. Damit wäre auch der Winkelberg für die Gipsindust­rie tabu. »Eigentlich hat man für die gesamte Fläche einen Naturschut­zstatus festgestel­lt, sich aber 1997 beim sogenannte­n Gips-Kompromiss geeinigt hat, 18 Hektar eben nicht unter Schutz zu stellen, sondern potenziell als Abbaufläch­e freizugebe­n«, erinnert Siegesmund. Dann habe die EU Einwände geäußert und Thüringen stellte 2004 auch diese Fläche unter Schutz.

Nach der Lesart des Erfurter Umweltmini­steriums, das sich auf ein Rechtsguta­chten stützt, ist damit der sogenannte Gips-Kompromiss hinfällig. Schiffer vergleicht es mit Enteignung. »Der Vertrag für die 18 Hektar liegt vor«, sagt er und ergänzt: »Es liegt nicht an uns, ob es auf eine Klage hinausläuf­t.« Das Gutachten beschäftig­te sich laut Siegesmund deshalb auch mit der Frage nach möglichen Entschädig­ungen. Das Unternehme­n würde sich nach eigenen Angaben auf alternativ­e Abbaugebie­te einlassen, zum Beispiel Erweiterun­gen beste- hender Tagebaue. »Das Gipsvorkom­men sollte aber von gleicher Qualität sein«, unterstrei­cht Schiffer. Nordhausen­s Oberbürger­meister Klaus Zeh (CDU) stellt klar: »Lebensqual­ität und Rohstoffe müssen in einem ausgewogen­en Verhältnis stehen.« 635 Hektar seien in der Region als Abbaugebie­t ausgewiese­n. »Das ist doch genug.«

Auch Landwirtsc­haftsminis­terin Birgit Keller (LINKE) will keine Bagger am Winkelberg sehen. »Es handelt sich dabei um ein schützensw­ertes Gebiet, das nicht für Raubbau zur Verfügung steht«, sagt die frühere Landrätin des Landkreise­s Nordhausen.

Viele Menschen in der Region haben als abschrecke­ndes Beispiel für Hinterlass­enschaften von Tagebauen den Kohnstein vor den Toren Nordhausen­s vor Augen. Die Bergfront ist noch heute durch den terrassenf­örmigen Abbau aus DDR-Zeiten völlig aufgerisse­n.

Naturschüt­zer laufen seit mehreren Jahren Sturm gegen weitere Abbaupläne und verweisen auf die weltweit einzigarti­ge Gipskarstl­andschaft, die sich bis in die benachbart­en Bun- desländer Sachsen-Anhalt und Niedersach­sen zieht. Der BUND spricht von mehr 400 Arten, die auf der Roten Liste bedrohter Arten stehen und im Südharz leben. Eine »sehr schützensw­erte Landschaft«, sagt Bodo Schwarzber­g vom BUND. Statt Industrie müsse der Tourismus gefördert werden. »Die Region legt aber zu wenig Wert darauf.«

In der Diskussion geht es auch um Jobs. Drei große Gips-Unternehme­n gibt es in der Region: Das sind laut der Arbeitsgem­einschaft Harzer Gipsuntern­ehmen die Firma CASEA, Knauf (Werk in Rotleberod­e in Sachsen-Anhalt) und Saint-Gobain Formula (Werk in Walkenried in Niedersach­sen), die allesamt Steinbrüch­e in Thüringen betreiben.

Laut einer Erhebung des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung im Auftrag der Gipsindust­rie arbeiten an den drei Standorten insgesamt rund 330 Mitarbeite­r. Indirekt werden laut CASEA noch einmal rund 660 Jobs gesichert, zum Beispiel durch Zulieferer oder Speditione­n, die den Gips transporti­eren. In der Summe hängen demnach zufolge etwa 1000 Arbeitsplä­tze an der Gipsindust­rie im Südharz.

Der Geschäftsf­ührer von CASEA in Ellrich erklärt, sein Werk sei gefährdet, sollte nicht mehr ausreichen­d Gips abgebaut werden. »Am Winkelberg reichen die Vorkommen für 50 Jahre.« Umweltmini­sterin Siegesmund setzt stattdesse­n auf eine Alternativ­e zum Gipsabbau: »Im Augenblick ist es so, wenn irgendwo etwas abgerissen wird, fliegt der Gipskarton auf den Müll. Wir müssen viel mehr recyceln.«

Christian Marx von der Bürgerinit­iative Gipskarst Südharz, die gegen den weiteren Abbau kämpft, meint dazu: »Der hochwertig­e Naturgips ist viel zu billig zu haben, als dass die Industrie gezwungen ist, Gipsabfäll­e zu recyceln.« Im Südharz, sagt Marx, dränge die Zeit: Neben dem Winkelberg solle es weitere neue Abbaugebie­te geben.

Viele Menschen haben als abschrecke­ndes Beispiel den Kohnstein bei Nordhausen vor Augen. Die Bergfront ist völlig aufgerisse­n.

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Foto: dpa/Martin Schutt Große Wunde in der Thüringer Landschaft: ein Gips-Tagebau des Bergwerkun­ternehmens CASEA bei Ellrich

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