Sieben Tage, sieben Nächte
Wahrscheinlich gab es in den siebziger Jahren Haushalte, in denen Mark Spitz und Nadia Comăneci nicht zu Stars für die Ewigkeit wurden, kein OlympiaWaldi im Kinderzimmer und kein Olympia-Bildband im Bücherschrank zu finden war. Aber die kannte man nicht.
Ist heutzutage die Frage »Welche Staffel?« zu hören, geht es wohl eher um »Game of Thrones« als um 4 x 400 Meter. Zwar wissen alle Bescheid über Kosten und Nutzen, korrupte Funktionäre und gedopte Russen, aber Olympia selbst steht weit hinter anderen Sportereignissen zurück. Keine Fanmeilen, kein Public Viewing, keine Panini-Bildchen.
Das ist äußerst ungerecht. Denn Olympia hat gegenüber dem sonstigen Sportbetrieb unbestreitbare Vorteile. Vor allem: kaum Fußball! Sport und Sportschau erschöpfen sich einmal nicht in erster, zweiter und dritter Liga der Männer. Die so genannte Sportart Autorennen findet erst gar nicht statt. Und entgegen seinem Ruf ist Olympia gar nicht so furchtbar teuer: Für die Transfersumme eines einzigen Fußballspielers sind locker zehn Eröffnungsveranstaltungen zu haben. Zur besten Sendezeit können statt mäßigen Krimis, Schlagersendungen und Günther Jauch vergleichsweise sinnvolle, aus dem echten Leben gegriffene Vorgänge wie Ringen, Rudern und Hindernislauf beobachtet werden. Zum ersten Mal überhaupt sieht man Tontaubenschießen im Fernsehen oder einen kasachischen Gewichtheber vor Glück tanzen.
Längst ermöglichen es die modernen technischen Errungenschaften sogar, die eigenen Vorlieben auszuleben: Dank der angebotenen Streams kann Olympia ausschließlich aus Handball, Kunstturnen und Leichtathletik bestehen, während Boxen, Dressurreiten und Rhythmische Sportgymnastik konsequent ausgeblendet werden. Seine Heldinnen kann man sich selbst aussuchen, zum Beispiel eine griechische Luftpistolenschützin oder die RugbySpieler von den Fidschi-Inseln.
Aber ein bisschen Kritik sei doch erlaubt. Wie kann man ausgerechnet das Handballspiel Brasilien-Deutschland und den Turnmehrkampf der Frauen zur gleichen Zeit ansetzen? Warum zeigt man die deutschen Turner ausgiebig beim Verspeisen von Müsliriegeln, während potenzielle Medaillengewinner an den Geräten sind? Streams ausschließlich für Simone Biles, Usain Bolt und Michael Phelps wären sicher nicht zu viel verlangt. Nie wieder darf sich jemand das Knie auskugeln, wenn man gerade hinschaut! Dafür sollte in einer Ecke immer das olympische Schwimmbecken eingeblendet sein – so verpasst man nicht, wenn sich das Wasser von Grün nach Pink verfärbt. Das Ganze »on demand«, »to go«, »Katrin-Müller-Hohensteinfree« – und ab sofort mit mehr coolen Sportarten wie Skateboardfahren, nicht erst 2020!