In der Facebook-Gesellschaft
Etwa 1,4 Milliarden Menschen sind täglich in Mark Zuckerbergs Netzwerk aktiv. Unsere Erfahrungen verarbeiten wir zu »Likes«. Wo aber bleibt die Erkenntnis?
Wir alle leben in der Facebook-Gesellschaft Mit Mark Zuckerberg möchte man nicht befreundet sein. Zumindest kommt man zu diesem Schluss, wenn man David Finchers Film, »The Social Network«, über den Gründer von Facebook gesehen hat. Darin ignoriert der junge Zuckerberg jegliche Höflichkeitsformeln, ihn verschmähende Frauen verspottet er öffentlich auf seinem Online-Blog und als sein Netzwerk kurz vor dem globalen Durchbruch steht, trickst er Eduardo Saverin, seinen einzigen Freund und Geschäftspartner, aus. Saverins Firmenanteil schrumpfte durch eine ihm untergejubelte Vertragsklausel über Nacht von 30 auf 0,3 Prozent. Fincher zeigt Zuckerberg als genialischen Nerd und besessenen Außenseiter. Die Pointe seines Films ist, dass ausgerechnet dieser Mann eine Plattform erfindet, auf der sich Freunde miteinander vernetzen können. Wenngleich der Begriff Freundschaft sehr weit gefasst werden muss, da, wie der Mathematiker Stephen Wolfram errechnet hat, der durchschnittliche Facebook-User mit 342 Menschen befreundet ist. Was sagt das über unsere Gesellschaft? Entwertet Zuckerbergs Netzwerk unsere Freundschaften? Oder ermöglicht es eine kosmopolitische Gemeinschaft? Auf diese und viele weitere Fragen sucht der Literatur- und Geschichtswissenschaftler Roberto Simanowski eine Antwort in seinem Buch »FacebookGesellschaft«. Im Titel steckt bereits eine wichtige These: Ganz egal, ob wir einen Account bei Facebook haben oder nicht – wir alle leben bereits in der Facebook-Gesellschaft. Wer glaubt, er gehöre nicht dazu und könne kulturkritisch über die Netzgemeinde spotten, mache es sich, so Simanowski, zu einfach und verkenne die Wirklichkeit. Facebook dominiert unsere Gegenwart. Deshalb gelte es zunächst, das Phänomen zu umarmen und ihm nicht gleich mit dem Rüstzeug der Kritischen Theorie zu Leibe zu rücken.
Ist der Autor, um es mit Theodor W. Adorno zu sagen, gefangen im digitalen »Verblendungszusammenhang«? Gibt er so die Rolle des kritischen Intellektuellen preis? Zunächst scheint es tatsächlich so zu sein. Simanowski teilt heftig gegen die Frankfurter Schule aus; so als müsse er damit gewaltsam Türen an Universitäten und in Zeitungsredaktionen einrennen. Dabei stehen diese lange schon sperrangelweit offen. Die Kritische Theorie ist heute in etwa so sehr in Mode wie Zylinder und Kummerbund. Zum Glück erweist sich Simanowski im Laufe des Textes dann doch nicht als bloß affirmativ Umar- mender, vielmehr umarmt er Facebook, um es dann wieder von sich zu stoßen. Virtuos wägt er so das Für und Wider dieser neuen vernetzen Gesellschaft ab und gelangt zu hochinteressanten, bisweilen dem dialektischen Denken der Kritischen Theorie nicht unähnlichen Einsichten. Es ist ein wohltuender Ansatz, den der Autor verfolgt, da in den letzten Jahren vor allem Bücher veröffentlicht wurden, die entweder die digitale Revolution verteufelten oder sich von ihr den Himmel auf Erden versprachen. Simanowski zufolge bestehe das intellektuelle Abenteuer darin, »die negativen Folgen eines an sich positiven Phänomens aufzudecken – und vice versa die positiven Aspekte eines an sich negativen Prozesses« aufzuzeigen.
Dabei ist die Lektüre des elegant geschriebenen Essays alles andere als eine Odyssee durch Datenströme, vielmehr navigiert der Autor den Leser souverän und ohne dass er dabei seekrank werden muss, durch ein Meer von Assoziationen, Ideen und geisteswissenschaftlichen Theorien, inklusive einiger erfrischender Tauchgänge in die Literaturgeschichte. So sehr auch Verschiedenes miteinander »verlinkt« wird, ist das Lesen keineswegs mit dem Surfen im Internet zu verwechseln, das über alles gleitet und eher in seichten Gewässern bleibt. Einem, um es mit Siegfried Kracauer zu sagen, »Kult der Zerstreuung« redet Simanowski weder das Wort noch bietet er einen solchen.
Drei Themenfeldern widmet sich das Buch: Wie erstens Facebook das Konzept der Freundschaft verändert und die User, die zwischen »Erfahrungsschwund und Erlebnistaumel« lavieren, zur Gegenwartsflucht verleitet. Wie zweitens durch die Timeline so etwas wie eine »automatische Autobiografie«, eine durch Algorithmen bestimmte »posthumane Selbstbeschreibung« entsteht. Wie drittens sich durch das Netzwerk eine digitale, kosmopolitische Nation konstituiert, die jedoch von Kollektivzwang und Kurzlebigkeit geprägt sein könnte. Eine der wichtigsten Lektionen lehrt das Buch bereits am Anfang, wenn von Zeitgenossenschaft die Rede ist. Zwar ermögliche die Facebook-Gesellschaft jedem ein Partizipieren am Leben seiner Freunde, doch »sie vernichtet die Gegenwart, indem sie diese permanent festhält«. Denn Erfahrungen machen wir in der Gegenwart dadurch nicht mehr. Das ständige Posten von Eindrücken zerstöre die Distanz und eben dadurch verliere man den erkenntnistheoretischen Zugang zur Gegenwart: »Denn erst die distanzierte Nähe der Reflexion erlaubt, Gegenwart zu verstehen.«
Aus der Distanz heraus wird auffallen, dass in der Facebook-Gesellschaft das Politische vom Mathematischen abgelöst wird. Die Algorithmen, deren Funktionieren wir kaum durchschauen, herrschen und strukturieren das öffentlich gemachte Privatleben. Dennoch dürfe der Gedanke nicht gleich verworfen werden, »ob ironischerweise gerade die Kapitalisierung des Privatlebens letztlich die Isolierung überwindet, die die umfassende Kommodifizierung der postmodernen Gesellschaft mit sich bringt«. Fest stehe aber, dass Facebook entpolitisierend wirke, indem es den »Ausbau nicht-reflexiver Selbstund Weltbezüge« betreibe und damit »die intellektuelle Basis einer politischen Gegenbewegung« untergrabe. Was hochtrabend klingt, erlebt jeder Nutzer täglich. Selbst wer viele politische und intellektuelle »Freunde« angesammelt hat, wird mit dem Posting eines anspruchsvollen Zeitungsartikels weitaus weniger »Likes« erhalten, als wenn er ein Selfie mit Duckface online stellt. Deshalb wohl präsentieren sich dort vorgeblich seriöse Kulturjournalisten häufig im Stadion, mit ihrem Nachwuchs oder gar in Badehose. Die Facebook-Gesellschaft, so Simanowski, ist eine »phatische Gesellschaft«. Die Idee von der kosmopolitischen Gemeinschaft könnte sich deshalb als Illusion erweisen, weil eine Gesellschaft, die auf »pathischer Kommunikation« beruht, keine Zeit zum Zuhören hat: »Sie ist naturgemäß letztlich desinteressiert am Gegenüber.« Sie liked und teilt schöne Bildchen, ein Affekt jagt den nächsten. Kulturkritisch ließe sich sagen, die Tiefe fehlt. Die aber bietet Simanowskis Buch.
Darum ist es empfehlenswert, sich während der – zugegeben – nicht immer leichten Lektüre bei Facebook auszuloggen. Auch wenn wir alle in der Facebook-Gesellschaft leben, haben wir noch immer die Möglichkeit, ganz analog, ihr eine Zeit lang zu entkommen und über sie nachzudenken. Wenn wir uns hinterher wieder einloggen, sind wir immerhin zu reflektierten Mitgliedern dieser Gesellschaft geworden. Denn allein die Außenperspektive, die wir zweifellos nur zeitweise einnehmen können, ermöglicht ein Nachdenken über das Innen. Dies ist auch die Lektion, die uns David Fincher in »The Social Network« erteilt: Nicht obwohl, sondern weil Mark Zuckerberg ein Außenseiter war, konnte er Facebook erfinden. Nur in der letzten Szene des Films, wenn Zuckerberg sehnsüchtig auf die Freundschaftsbestätigung einer Frau, seine unglückliche Liebe, wartet, verliert er diese Distanz. Er wird Teil seines Systems, das nun mächtiger zu sein scheint als er selbst. Dann ist Zuckerberg wie wir alle.