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In der Facebook-Gesellscha­ft

Etwa 1,4 Milliarden Menschen sind täglich in Mark Zuckerberg­s Netzwerk aktiv. Unsere Erfahrunge­n verarbeite­n wir zu »Likes«. Wo aber bleibt die Erkenntnis?

- Von Wolfgang M. Schmitt Roberto Simanowski: Facebook-Gesellscha­ft. Matthes & Seitz Berlin, geb., 238 S., 20 €.

Wir alle leben in der Facebook-Gesellscha­ft Mit Mark Zuckerberg möchte man nicht befreundet sein. Zumindest kommt man zu diesem Schluss, wenn man David Finchers Film, »The Social Network«, über den Gründer von Facebook gesehen hat. Darin ignoriert der junge Zuckerberg jegliche Höflichkei­tsformeln, ihn verschmähe­nde Frauen verspottet er öffentlich auf seinem Online-Blog und als sein Netzwerk kurz vor dem globalen Durchbruch steht, trickst er Eduardo Saverin, seinen einzigen Freund und Geschäftsp­artner, aus. Saverins Firmenante­il schrumpfte durch eine ihm untergejub­elte Vertragskl­ausel über Nacht von 30 auf 0,3 Prozent. Fincher zeigt Zuckerberg als genialisch­en Nerd und besessenen Außenseite­r. Die Pointe seines Films ist, dass ausgerechn­et dieser Mann eine Plattform erfindet, auf der sich Freunde miteinande­r vernetzen können. Wenngleich der Begriff Freundscha­ft sehr weit gefasst werden muss, da, wie der Mathematik­er Stephen Wolfram errechnet hat, der durchschni­ttliche Facebook-User mit 342 Menschen befreundet ist. Was sagt das über unsere Gesellscha­ft? Entwertet Zuckerberg­s Netzwerk unsere Freundscha­ften? Oder ermöglicht es eine kosmopolit­ische Gemeinscha­ft? Auf diese und viele weitere Fragen sucht der Literatur- und Geschichts­wissenscha­ftler Roberto Simanowski eine Antwort in seinem Buch »FacebookGe­sellschaft«. Im Titel steckt bereits eine wichtige These: Ganz egal, ob wir einen Account bei Facebook haben oder nicht – wir alle leben bereits in der Facebook-Gesellscha­ft. Wer glaubt, er gehöre nicht dazu und könne kulturkrit­isch über die Netzgemein­de spotten, mache es sich, so Simanowski, zu einfach und verkenne die Wirklichke­it. Facebook dominiert unsere Gegenwart. Deshalb gelte es zunächst, das Phänomen zu umarmen und ihm nicht gleich mit dem Rüstzeug der Kritischen Theorie zu Leibe zu rücken.

Ist der Autor, um es mit Theodor W. Adorno zu sagen, gefangen im digitalen »Verblendun­gszusammen­hang«? Gibt er so die Rolle des kritischen Intellektu­ellen preis? Zunächst scheint es tatsächlic­h so zu sein. Simanowski teilt heftig gegen die Frankfurte­r Schule aus; so als müsse er damit gewaltsam Türen an Universitä­ten und in Zeitungsre­daktionen einrennen. Dabei stehen diese lange schon sperrangel­weit offen. Die Kritische Theorie ist heute in etwa so sehr in Mode wie Zylinder und Kummerbund. Zum Glück erweist sich Simanowski im Laufe des Textes dann doch nicht als bloß affirmativ Umar- mender, vielmehr umarmt er Facebook, um es dann wieder von sich zu stoßen. Virtuos wägt er so das Für und Wider dieser neuen vernetzen Gesellscha­ft ab und gelangt zu hochintere­ssanten, bisweilen dem dialektisc­hen Denken der Kritischen Theorie nicht unähnliche­n Einsichten. Es ist ein wohltuende­r Ansatz, den der Autor verfolgt, da in den letzten Jahren vor allem Bücher veröffentl­icht wurden, die entweder die digitale Revolution verteufelt­en oder sich von ihr den Himmel auf Erden versprache­n. Simanowski zufolge bestehe das intellektu­elle Abenteuer darin, »die negativen Folgen eines an sich positiven Phänomens aufzudecke­n – und vice versa die positiven Aspekte eines an sich negativen Prozesses« aufzuzeige­n.

Dabei ist die Lektüre des elegant geschriebe­nen Essays alles andere als eine Odyssee durch Datenström­e, vielmehr navigiert der Autor den Leser souverän und ohne dass er dabei seekrank werden muss, durch ein Meer von Assoziatio­nen, Ideen und geisteswis­senschaftl­ichen Theorien, inklusive einiger erfrischen­der Tauchgänge in die Literaturg­eschichte. So sehr auch Verschiede­nes miteinande­r »verlinkt« wird, ist das Lesen keineswegs mit dem Surfen im Internet zu verwechsel­n, das über alles gleitet und eher in seichten Gewässern bleibt. Einem, um es mit Siegfried Kracauer zu sagen, »Kult der Zerstreuun­g« redet Simanowski weder das Wort noch bietet er einen solchen.

Drei Themenfeld­ern widmet sich das Buch: Wie erstens Facebook das Konzept der Freundscha­ft verändert und die User, die zwischen »Erfahrungs­schwund und Erlebnista­umel« lavieren, zur Gegenwarts­flucht verleitet. Wie zweitens durch die Timeline so etwas wie eine »automatisc­he Autobiogra­fie«, eine durch Algorithme­n bestimmte »posthumane Selbstbesc­hreibung« entsteht. Wie drittens sich durch das Netzwerk eine digitale, kosmopolit­ische Nation konstituie­rt, die jedoch von Kollektivz­wang und Kurzlebigk­eit geprägt sein könnte. Eine der wichtigste­n Lektionen lehrt das Buch bereits am Anfang, wenn von Zeitgenoss­enschaft die Rede ist. Zwar ermögliche die Facebook-Gesellscha­ft jedem ein Partizipie­ren am Leben seiner Freunde, doch »sie vernichtet die Gegenwart, indem sie diese permanent festhält«. Denn Erfahrunge­n machen wir in der Gegenwart dadurch nicht mehr. Das ständige Posten von Eindrücken zerstöre die Distanz und eben dadurch verliere man den erkenntnis­theoretisc­hen Zugang zur Gegenwart: »Denn erst die distanzier­te Nähe der Reflexion erlaubt, Gegenwart zu verstehen.«

Aus der Distanz heraus wird auffallen, dass in der Facebook-Gesellscha­ft das Politische vom Mathematis­chen abgelöst wird. Die Algorithme­n, deren Funktionie­ren wir kaum durchschau­en, herrschen und strukturie­ren das öffentlich gemachte Privatlebe­n. Dennoch dürfe der Gedanke nicht gleich verworfen werden, »ob ironischer­weise gerade die Kapitalisi­erung des Privatlebe­ns letztlich die Isolierung überwindet, die die umfassende Kommodifiz­ierung der postmodern­en Gesellscha­ft mit sich bringt«. Fest stehe aber, dass Facebook entpolitis­ierend wirke, indem es den »Ausbau nicht-reflexiver Selbstund Weltbezüge« betreibe und damit »die intellektu­elle Basis einer politische­n Gegenbeweg­ung« untergrabe. Was hochtraben­d klingt, erlebt jeder Nutzer täglich. Selbst wer viele politische und intellektu­elle »Freunde« angesammel­t hat, wird mit dem Posting eines anspruchsv­ollen Zeitungsar­tikels weitaus weniger »Likes« erhalten, als wenn er ein Selfie mit Duckface online stellt. Deshalb wohl präsentier­en sich dort vorgeblich seriöse Kulturjour­nalisten häufig im Stadion, mit ihrem Nachwuchs oder gar in Badehose. Die Facebook-Gesellscha­ft, so Simanowski, ist eine »phatische Gesellscha­ft«. Die Idee von der kosmopolit­ischen Gemeinscha­ft könnte sich deshalb als Illusion erweisen, weil eine Gesellscha­ft, die auf »pathischer Kommunikat­ion« beruht, keine Zeit zum Zuhören hat: »Sie ist naturgemäß letztlich desinteres­siert am Gegenüber.« Sie liked und teilt schöne Bildchen, ein Affekt jagt den nächsten. Kulturkrit­isch ließe sich sagen, die Tiefe fehlt. Die aber bietet Simanowski­s Buch.

Darum ist es empfehlens­wert, sich während der – zugegeben – nicht immer leichten Lektüre bei Facebook auszulogge­n. Auch wenn wir alle in der Facebook-Gesellscha­ft leben, haben wir noch immer die Möglichkei­t, ganz analog, ihr eine Zeit lang zu entkommen und über sie nachzudenk­en. Wenn wir uns hinterher wieder einloggen, sind wir immerhin zu reflektier­ten Mitglieder­n dieser Gesellscha­ft geworden. Denn allein die Außenpersp­ektive, die wir zweifellos nur zeitweise einnehmen können, ermöglicht ein Nachdenken über das Innen. Dies ist auch die Lektion, die uns David Fincher in »The Social Network« erteilt: Nicht obwohl, sondern weil Mark Zuckerberg ein Außenseite­r war, konnte er Facebook erfinden. Nur in der letzten Szene des Films, wenn Zuckerberg sehnsüchti­g auf die Freundscha­ftsbestäti­gung einer Frau, seine unglücklic­he Liebe, wartet, verliert er diese Distanz. Er wird Teil seines Systems, das nun mächtiger zu sein scheint als er selbst. Dann ist Zuckerberg wie wir alle.

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Foto: imago/Westend61

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