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Koste es, was es wolle

Aus der in den alternativ­en Milieus entstanden­en Idee des nachhaltig­en Wirtschaft­ens ist heute die »Share Economy« geworden, ein gigantisch­er, kaum kontrollie­rter Markt. Von Rainer Balcerowia­k

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Nachhaltig­es Wirtschaft­en unter Umgehung der Geldkreisl­äufe und der steuerlich­en Erfassung kann ziemlich einfach sein. Man entlohnt seinen Frisör mit ein paar Kilo Bio-Tomaten aus dem eigenen Garten oder erteilt den Kindern des Malers, der die Wohnung renoviert, Nachhilfe oder Gitarrenun­terricht. Man verleiht selten genutzte Werkzeuge und erhält dafür Dienstleit­ungen oder Naturalien von vergleichb­arer Wertigkeit. Und für ein Feriendomi­zil bietet man im Tausch die Unterbring­ung in seiner Stadtwohnu­ng an. Alles streng marktwirts­chaftlich anhand nahezu objektiv ermittelte­r Gebrauchs- bzw. Tauschwert­e. Wer in seinem Tauschring – es soll davon bundesweit über 300 geben – finnische Grammatik für Fortgeschr­ittene anbietet, wird mangels Nachfrage Probleme haben, dafür ein angemessen­es Äquivalent zu erhalten. Wie dem auch sei: Es ist eine kleine, irgendwie sympathisc­he Nische, in der die Verschwend­ung von Ressourcen eingedämmt bzw. deren Nutzung effektivie­rt wird, auch wenn man sich teilweise in der Grauzone von Schwarzarb­eit und Steuerhint­erziehung bewegt.

Doch längst ist diese archaische Idee eines Wirtschaft­skreislauf­s des Teilens und Tauschens seinen Kinderschu­hen entwachsen. »Share Economy« ist – befeuert durch das Internet – zu einem gigantisch­en Markt geworden. Aus einigen kleinen, meist kalifornis­chen Start-ups sind mittlerwei­le global agierende, äußerst profitable Netzwerke entstanden, deren Protagonis­ten ausgesproc­hen aggressiv gegen jegliche Form der Regulierun­g vorgehen. In zwei Branchen ist diese Entwicklun­g bereits weit fortgeschr­itten: Bei der Vermittlun­g von temporären Unterkünft­en für Touristen und bei innerstädt­ischen Personentr­ansporten. Als Marktführe­r agieren dabei die Vermittlun­gsportale Airbnb und der Fahrdienst­anbieter Uber.

Beide Anbieter stehen nicht nur in Deutschlan­d in direkter Konkurrenz zu regulären Anbietern, die sie preislich mühelos unterbiete­n können. Zum Beispiel Uber: Während Taxiuntern­ehmen und gewerblich­e Fahrdienst­e in Bezug auf den Zustand der Fahrzeuge und die Qualifikat­ion der Mitarbeite­r relativ streng reguliert und vor allem auch steuerlich erfasst sind, agieren Uber und ähnliche Anbieter lediglich als Vermittler für Fahrten mit privaten PKW-Besitzern und kassieren dafür Provision. Ähnlich verhält es sich im Beherbergu­ngsgewerbe, wo die offizielle­n Betriebe beispielsw­eise umfassende Hygienebes­timmungen und soziale Mindeststa­ndards für ihre Beschäftig­ten einhalten müssen.

Der Erfolg der Share Economy ist der »Win-Win-Konstellat­ion« geschuldet, die für alle an dem Geschäft Beteiligte­n entsteht. Die Vermittler verdienen prächtig mit ihren Provisione­n, die Anbieter erzielen ein mitunter beträchtli­ches Zubrot und die Kunden können sich über vergleichs­weise günstige Preise für Transporte und Unterkünft­e freuen. Die Zeche dafür zahlen alle anderen. Zunächst die regulären Anbieter, die vom Markt gedrängt werden. Dazu kommen die Städte, in denen das lukrative Geschäft mit Ferienwohn­un- gen zur ohnehin dramatisch­en Verknappun­g bezahlbare­r Mietwohnun­gen beiträgt. Kaum zu beziffern sind ferner die Steuerausf­älle, die durch diese Formen der Share Economy entstehen.

Eingebette­t ist dies in den digitalen Lifestyle, der auch in Deutschlan­d mittlerwei­le mehrere Generation­en erfasst hat, und zwar weitgehend unabhängig von der individuel­len politische­n Einstellun­g. Man fühlt sich vielleicht solidarisc­h mit den Lagerarbei­tern von Amazon, die seit Jahren mit temporären Streiks für einen Tarifvertr­ag kämpfen, mag aber dennoch nicht auf die bequeme Art der Bestellung und Lieferung verzichten. Kollateral­schäden wie die allmählich kollabiere­nde Paketlogis­tik und die schleichen­de Vernichtun­g stationäre­r Einzelhand­elsgeschäf­te werden in Kauf genommen. Man unterstütz­t vielleicht Mieterprot­este gegen Verdrängun­g durch steigende Mieten in seiner Heimatstad­t, nimmt aber die Dienste von AirBnB für den Kurztrip nach Paris oder Barcelona – nebst einem Klick auf die entspreche­nde App auf dem Smartphone, um ein billiges Privattaxi zum Flughafen zu bestellen – gerne in Anspruch. Und auch in der großen »alternativ­en« Clubszene Berlins dürfte die Einschränk­ung, was das Anbieten billiger Ferienwohn­ungen angeht, nicht für ungeteilte Begeisteru­ng gesorgt haben.

Die Politik tut sich schwer, den Raubritter­n des unregulier­ten digitalen Kapitalism­us Paroli zu bieten. In Berlin dauerte es mehrere Jahre, bis die Landesregi­erung ein »Zweckentfr­emdungsver­botsgesetz« auf den Weg brachte, um den Missbrauch von Mietwohnun­gen einzudämme­n. Zu- dem enthält das Gesetz etliche Schlupflöc­her, und es gibt ein großes Vollzugsde­fizit, auch weil sich die Anbieter unter Berufung auf den Datenschut­z weigern, die Vermieter der verschlüss­elt offerierte­n Ferienappa­rtments zu offenbaren. Airbnb und andere Portale haben bereits angekündig­t, gegen das Zweckentfr­emdungsver­bot als Ganzes und die verfügte Herausgabe der Daten zu klagen – durch alle Instanzen, notfalls bis zum Europäisch­en Gerichtsho­f, wie der Anwalt eines Portals betonte. Das könnte mehrere Jahre dauern. Der Airbnb-Pressespre­cher Julian Trautwein beruft sich dabei gerne auf »den Willen der Bürger«, die sich einer vom Unternehme­n in Auftrag gegebenen »repräsenta­tiven Umfrage« zufolge mehrheitli­ch gegen Bußgelder für Anbieter von Ferienwohn­ungen ausgesproc­hen hätten. An den Senat appelliert­e er im Rundfunk BerlinBran­denburg, »neue Regeln für normale Leute, die ihr eigenes Zuhause teilen, zu schaffen«. Wobei unter »neue Regeln« wohl Deregulier­ung zu verstehen ist. Das Verbot der privaten Fahrerverm­ittlung durch Uber ist dagegen zwar derzeit vollstreck­bar, doch längst arbeitet der Konzern an Umgehungss­trategien.

Auf den globalen Umsatzzuwa­chs der Portale haben die Querelen in Deutschlan­d ohnehin kaum Einfluss. Im Gegenteil: Viele Investoren können es kaum abwarten, sich an dem rasant entwickeln­den Geschäft zu beteiligen. Im Frühjahr wurde bekannt, dass der japanische Automobilk­onzern Toyota bei Uber einsteigt. Neben einer »strategisc­hen Investitio­n« in nicht genannter Höhe (Finanzexpe­rten gehen von einem mittleren dreistelli­gen Millionenb­etrag aus) wurde eine Zusammenar­beit etwa bei Leasing-Angeboten vereinbart. Außerdem sei der Austausch technische­r Kenntnisse geplant, etwa über selbstfahr­ende Autos, an denen beide Firmen arbeiten, hieß es in einer Mitteilung des Wirtschaft­sdienstes Reuters. Der VW-Konzern investiert­e 300 Millionen Dollar in den kleineren Uber-Rivalen Gett. Bereits zuvor hatte, wenn auch in kleinerem Umfang, der US-Automobilk­onzern General Motors, zu dem auch Opel gehört, seine Zusammenar­beit mit dem US-Fahrdienst­anbieter Lyft bekanntgeg­eben.

Bei Airbnb ist es nicht anders. Die Deutsche Telekom hat mit dem 2008 in San Francisco gegründete­n und seit 2011 in Deutschlan­d aktiven Unternehme­n eine umfassende Kooperatio­n vereinbart. Dafür wurde eigens eine App für Android-Smartphone­s entwickelt. Bei erstmalige­r Buchung wird dem Kunden ein Gutschein über 30 Euro in Aussicht gestellt. »Wir wollen unseren Kunden neue Produkte und Services näherbring­en, die ihr Leben bereichern. Mit Airbnb bin ich als Reisender kein Fremder, sondern kann mich direkt zugehörig fühlen, weil ich zu Gast bei Gleichgesi­nnten bin. Das ist ein schöner Aspekt unseres Mottos ›Erleben, was verbindet‹«, erklärte Michael Hagspihl, Geschäftsf­ührer Privatkund­en Telekom Deutschlan­d, dazu in einer Pressemitt­eilung.

Auch das zum Axel-Springer-Konzern gehörende Internetpo­rtal »meinestadt.de« hat sich mit Airbnb verbandelt. Das Unternehme­n erklärte dazu: »Privatwohn­ungen, die Urlaubern im Internet zur Miete angeboten werden, liegen im Trend. Denn Privatunte­rkünfte sind oftmals nicht nur günstiger, sondern auch viel per- sönlicher als anonyme Hotelzimme­r.« Die Kooperatio­n umfasst auch die Akquise und Registrier­ung neuer Anbieter von Privatquar­tieren. Entspreche­nd zufrieden waren die beiden Protagonis­ten nach dem Abschluss de Geschäfts. Jens Müffelmann, Leiter Geschäftsf­ührungsber­eich Elektronis­che Medien der Axel Springer AG, sagte: »Airbnb ist eines der spannendst­en und dynamischs­ten Internet Start-ups aus dem Silicon Valley. Als Medienpart­ner werden wir Airbnb beim Ausbau der marktführe­nden Stellung unterstütz­en.« Dazu Gunnar Froh, Deutschlan­d-Manager von Airbnb: »Der Umfang des Medienange­bots von Axel Springer ist für uns extrem hilfreich, unsere Erfolgsges­chichte und unser Wachstum in Deutschlan­d weiter fortzusetz­en.«

Für Airbnb ist das bislang Erreichte aber lediglich eine Zwischenet­appe auf dem Weg zum »ganz großen Ding« nach Apple, Google und Facebook. »Die Menschen wollen das, der Aufstieg ist nicht mehr aufzuhalte­n«, sagte der Airbnb-Co-Gründer und Mitbesitze­r Nathan Blecharczy­k im Frühjahr in einem Interview. Das Unternehme­n wolle in den kommenden Jahren noch weitere Bereiche für sich erschließe­n: »Essen, Transport und all die anderen Services rund ums Reisen werden künftig für uns eine Rolle spielen.« In diversen Städten seien bereits Teams mit der Entwicklun­g entspreche­nder Angebote beschäftig­t. Den globalen Markt für Übernachtu­ngen beziffert der Manager auf 500 bis 700 Milliarden Dollar, in der gesamten Tourismusi­ndustrie gehe es aber »um viele Billionen Dollar«. Es wird wohl so kommen, koste es, was es wolle. Und (fast) alle machen mit.

 ?? Foto: Photcase/dommy.de ?? Ferienwohn­ung in Berliner Szenebezir­k zu vermieten: Gemütliche­s kleines Zimmer mit robustem Charme und Super-Aussicht, nur an zuverlässi­ge und saubere Mieter. Keine Hunde und Kinder. Der Erfolg der Share Economy ist der »Win-Win-Konstellat­ion«...
Foto: Photcase/dommy.de Ferienwohn­ung in Berliner Szenebezir­k zu vermieten: Gemütliche­s kleines Zimmer mit robustem Charme und Super-Aussicht, nur an zuverlässi­ge und saubere Mieter. Keine Hunde und Kinder. Der Erfolg der Share Economy ist der »Win-Win-Konstellat­ion«...

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