Alljährlich gelangen Millionen Tonnen an Kunststoffmüll ins Meer. Die Folgen für die Umwelt sind bislang kaum abzusehen.
Das 20. Jahrhundert war ohne Zweifel von der Chemieindustrie geprägt. Insbesondere die Kunststoffe sind heute allgegenwärtig. Waren es in den 50er Jahren nur wenige Millionen Tonnen pro Jahr, so werden heute weltweit etwa 280 Millionen Tonnen dieser Werkstoffe hergestellt. Der Grund: Geringes Gewicht, gute Formbarkeit und hohe Beständigkeit machen Produkte möglich, die sich aus anderen Materialien nicht oder nur schlecht herstellen lassen. War die Kunststoffkarosserie des DDR-Autos »Trabant« noch Anlass für Spott, finden sich heute auch in Luxuswagen viele Kunststoffteile.
Ihre Allgegenwart und Beständigkeit lässt Kunststoffe allerdings auch zum Umweltproblem werden. Dabei geht es nicht nur um ihre Herstellung aus fossilen Rohstoffen, sondern auch darum, was am Ende der Nutzung mit den Plastikprodukten passiert. Schätzungen von Ozeanografen gehen davon aus, dass bereits etwa 150 Millionen Tonnen in unseren Meeren gelandet sind. Ein Bild davon kann man sich bei Spaziergängen an den Stränden machen, wo sich immer wieder Plastikmüll anfindet.
Die Meere sind ein gigantischer Lebensraum unseres Planeten, dessen Oberfläche sie zu 71 Prozent bedecken. Sie haben eine existenzielle Bedeutung für unser Klima, sind Nahrungsquelle und Lebensraum einer riesigen Zahl von Lebewesen. Im Mittel sind sie 3700 Meter tief. Damit beträgt das Volumen etwa 1,3 Milliarden Kubikkilometer. Um die Dimension zu verdeutlichen: Die Nordsee hätte im Weltozean ungefähr 25 000mal Platz.
Von den bislang rund 150 Millionen Tonnen der so vielfältigen und nützlichen Kunststoffe im Meer schwimmen etwa 15 Prozent an der Wasseroberfläche. Der weitaus größere Teil ist auf den Meeresgrund abgesunken.
Rein rechnerisch sind 150 Millionen Tonnen nicht besonders viel im Vergleich zum Volumen des Meeres, jedoch kommt es durch den Eintrag von Kunststoffen zu einer ganzen Reihe von Effekten, die vorher offensichtlich so nicht absehbar waren. Bislang sind präzise Untersuchungen mit belastbaren Ergebnissen leider noch Mangelware.
Einen Ansatz hierzu liefern die im Fachjournal »PLOS ONE« (DOI: 10.1371/journal.pone.0111913) veröffentlichten Untersuchungen einer Forschergruppe um Marcus Eriksen vom Fire Gyres Institute in Los Angeles. Zur Abschätzung der Kunststoffteile im Meer hatte Eriksens Team zwischen 2007 und 2013 24 Expeditionen durchgeführt und ein ozeanografisches Modell entwickelt. Hierbei wurden Kunststoffteile im Meer nach Größe gezählt und gewogen und folgende Klassifizierung vorgenommen: Partikel mit Durchmessern von 0,33 bis 1 Millimeter gelten als »small microplastics« (kleine Mikroplastikteilchen), Größen von 1,01 bis 4,75 Millimeter »large microplastics« (große Mikroplastikteilchen), zwischen 4,76 und 200 Millimeter sprechen die Fachleute von »Mesoplastics« (mittelgroße Plastik) und bei über 200 Millimetern von Makroplastik.
Auf den Expeditionen zogen die Forscher zur Probenentnahme Netze mit einer Maschengröße von 0,33 Millimetern mit einer Geschwindigkeit von 0,5 bis 2 Metern pro Sekunde durch das Meer. Die dabei gesammelten Proben legten sie in einer fünfprozentigen Formalinlösung ein und analysierten sie mit dem Mikroskop. Alle Objekte wurden gezählt und gewogen. Mit Hilfe dieser Daten konnten dann Aussagen gemacht werden über die Menge der Kunststoffteile pro Quadratkilometer Meer sowie deren Verteilung im Meer.
Mit den Daten wurde ein Ozeanmodell aus 32 Schichten entwickelt, Schwer verdaulich: Diese Plastikteile fanden Wissenschaftler im Magen eines Drückerfischs. das neben den Partikeleigenschaften auch die vorherrschenden Meeresströmungen berücksichtigt. In diesen Schichten bestimmten die Forscher jeweils die Geschwindigkeiten der Kunststoffteilchen. Basierend auf diesem Modell wurde die Gesamtmenge der Plastikteilchen in den Ozeanen auf etwa 5,25 Milliarden hochgerechnet. Dabei sagt das Modell hohe Plastikkonzentrationen für zentrale Regionen im Nordatlantik sowie im Pazifischen Ozean vorher, die dort tatsächlich als große Müllwirbel nachgewiesen worden waren.
Eine Expertin für die umweltbiologischen Aspekte von Mikroplastik im Meer ist Sonja Oberbeckmann vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW). Über die Herkunft der Partikel sagt die Forscherin: »Wir gehen davon aus, dass 80 Prozent der Kunststoffe durch landbasierte Quellen über Flüsse sowie von den Stränden an den Küsten ins Meer kommen.« Hierzu verweist Oberbeckmann beispielhaft auf eine 2015 erschienene Studie von Thomas Mani und Kollegen, die Kunststoffe im Rhein betrachtete. Diese kam zu dem Ergebnis, dass es gerade in der Nähe von industriellen Ballungszentren große Konzentrationen von Plastik im Fluss gibt. »Der übrige Anteil gelangt direkt von Schiffen, Ölplattformen und Ähnlichem in die Ozeane. Das Verhängnisvolle ist, dass das Plastik dort vermutlich niemals komplett abgebaut werden kann«, so Oberbeckmann.
Zu den Stoffströmen befragt, sagt sie, dass man pro Jahr von mehreren Millionen Tonnen Kunststoff ausgehen könne, die ins Meer gelangten. 2010 sollten es zwischen 5 und 12 Millionen Tonnen gewesen sein, wie ein amerikanisches Forscherteam um Jenna R. Jambeck abgeschätzt habe. Jedoch wendet Oberbeckmann ein, dass es bislang zwar einige Modelle gibt, aber noch mehr Daten benötigt werden. »Diverse Forscherteams haben Seereisen unternommen, um die Plastikbelastung der Weltmeere zu untersuchen. Diese Daten müssen aber noch systematisch zusammengetragen und hochgerechnet werden, um die Abschätzungen zuverlässiger zu machen.«
Mikroplastik, so Oberbeckmann, entstehe zum einen direkt im Meer durch den Zerfall großer Stücke von Plastikmüll infolge mechanischer Belastung und der UV-Strahlung der Sonne. Auch beim Schiffstransport könne es zu Problemen kommen, wenn ein Container mit Kunststoff- pellets – dem Ausgangsmaterial für die industrielle Produktion von Plastikprodukten – über Bord gehe. Problematisch sind jedoch auch Haushaltsabwässer, die nach der Wäsche von Kleidung Kunststofffasern, zum Beispiel aus Nylon, oder auch Peeling-Partikel aus plastikhaltigen Kosmetik- und Hygieneprodukten enthalten, die dann über die Flüsse ins Meer gelangen. »Für Kläranlagen ist es ausgesprochen schwierig, die Mikroplastikfracht effizient zurückzuhalten«, erklärt die Wissenschaftlerin.
Gunnar Gerdts von der Außenstelle des Alfred-Wegener-Institutes (AWI) für Polar- und Meeresforschung auf Helgoland interessiert neben den primären Mikroplastikteilchen aus Kosmetika auch die Entstehung sekundärer Teilchen, etwa, wenn eine Plastiktüte aus Polypropylen ins Meer gelangt. »Wenn so eine Tüte in den Ozean gerät, wirken auf sie unterschiedliche Kräfte. Einfluss nehmen Wärme, Strahlung und mechanische Belastungen in den Meeren. Dadurch wird das Material spröder und Fremdatome lagern sich ein. Es bricht und die Teile werden letztendlich kleiner und kleiner«, erklärt Gerdts. Überdies werden die Polymere auch durch Mikroorganis- Gutes Material für den Nestbau? Diesem Basstölpel scheint die Plastiktüte passend. men aufgebrochen und enden dann häufig in den marinen Sedimenten. Bislang galten die Kunststoffe Polyamid, Polyethylen, Polyvinylchlorid und Polystyrol nur als abbaubar, wenn Fremdatome eingelagert wurden. Schließlich entsteht Mikroplastik und der Prozess der Verkleinerung geht weiter. Wo die Untergrenze liegt, weiß man bislang auch wegen der noch fehlenden Meßmethoden nicht, bedauert der AWI-Forscher.
Dass die kleinen Plastikpartikel von verschiedenen Lebewesen aufgenommen und damit in die marinen Nahrungsnetze gelangen können, wurde bereits mehrfach nachgewiesen, bestätigt auch die Warnemünder Mikrobiologin. »Die langfristigen Konsequenzen davon sind jedoch bislang weitgehend unbekannt«, sagt Oberbeckmann.
Ein Effekt immerhin ist bekannt: Die Plastikpartikel können an ihrer Oberfläche unterschiedlichste Mikroorganismen anreichern. »Da sich die Partikel nicht zersetzen, bieten sie für Bakterien und Algen einen dauerhaften Besiedlungsraum, der das Potenzial hat, schneller und weiter verdriftet zu werden als einzelne Mikroorganismenzellen. Plastik kann dadurch zu einem effizienten Transportmittel für größere Zellansammlungen werden, die wiederum die Zusammensetzung der mikrobiellen und Algen-Lebensgemeinschaften im freien Wasser verändern können«, erläutert die Wissenschaftlerin. Es gebe tatsächlich schon Beobachtungen, die nahelegen, dass sich bestimmte Algenarten in für sie untypischen Gebieten massenhaft entwickelt hätten, weil sie auf Plastikteilen dorthin gelangt seien. »Über die Folgen dieses möglichen ›VektorEffekts‹ von Mikroplastik liegen bislang noch keine publizierten Ergebnisse vor, aber die Forschung arbeitet mit Hochdruck daran. In jedem Fall ist davon auszugehen, dass Mikroplastik auf verschiedene Weise einen markanten Einfluss auf marine Ökosysteme hat. Deswegen sollte der Eintrag von Plastik in die Meere unbedingt minimiert werden, damit es nicht zu irreparablen Schäden kommt«, appelliert die IOW-Forscherin. Eine kunststofffreie Gesellschaft allerdings halte sie für unmöglich, so Oberbeckmann abschließend.