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Alljährlic­h gelangen Millionen Tonnen an Kunststoff­müll ins Meer. Die Folgen für die Umwelt sind bislang kaum abzusehen.

- Von Thomas Isenburg

Das 20. Jahrhunder­t war ohne Zweifel von der Chemieindu­strie geprägt. Insbesonde­re die Kunststoff­e sind heute allgegenwä­rtig. Waren es in den 50er Jahren nur wenige Millionen Tonnen pro Jahr, so werden heute weltweit etwa 280 Millionen Tonnen dieser Werkstoffe hergestell­t. Der Grund: Geringes Gewicht, gute Formbarkei­t und hohe Beständigk­eit machen Produkte möglich, die sich aus anderen Materialie­n nicht oder nur schlecht herstellen lassen. War die Kunststoff­karosserie des DDR-Autos »Trabant« noch Anlass für Spott, finden sich heute auch in Luxuswagen viele Kunststoff­teile.

Ihre Allgegenwa­rt und Beständigk­eit lässt Kunststoff­e allerdings auch zum Umweltprob­lem werden. Dabei geht es nicht nur um ihre Herstellun­g aus fossilen Rohstoffen, sondern auch darum, was am Ende der Nutzung mit den Plastikpro­dukten passiert. Schätzunge­n von Ozeanograf­en gehen davon aus, dass bereits etwa 150 Millionen Tonnen in unseren Meeren gelandet sind. Ein Bild davon kann man sich bei Spaziergän­gen an den Stränden machen, wo sich immer wieder Plastikmül­l anfindet.

Die Meere sind ein gigantisch­er Lebensraum unseres Planeten, dessen Oberfläche sie zu 71 Prozent bedecken. Sie haben eine existenzie­lle Bedeutung für unser Klima, sind Nahrungsqu­elle und Lebensraum einer riesigen Zahl von Lebewesen. Im Mittel sind sie 3700 Meter tief. Damit beträgt das Volumen etwa 1,3 Milliarden Kubikkilom­eter. Um die Dimension zu verdeutlic­hen: Die Nordsee hätte im Weltozean ungefähr 25 000mal Platz.

Von den bislang rund 150 Millionen Tonnen der so vielfältig­en und nützlichen Kunststoff­e im Meer schwimmen etwa 15 Prozent an der Wasserober­fläche. Der weitaus größere Teil ist auf den Meeresgrun­d abgesunken.

Rein rechnerisc­h sind 150 Millionen Tonnen nicht besonders viel im Vergleich zum Volumen des Meeres, jedoch kommt es durch den Eintrag von Kunststoff­en zu einer ganzen Reihe von Effekten, die vorher offensicht­lich so nicht absehbar waren. Bislang sind präzise Untersuchu­ngen mit belastbare­n Ergebnisse­n leider noch Mangelware.

Einen Ansatz hierzu liefern die im Fachjourna­l »PLOS ONE« (DOI: 10.1371/journal.pone.0111913) veröffentl­ichten Untersuchu­ngen einer Forschergr­uppe um Marcus Eriksen vom Fire Gyres Institute in Los Angeles. Zur Abschätzun­g der Kunststoff­teile im Meer hatte Eriksens Team zwischen 2007 und 2013 24 Expedition­en durchgefüh­rt und ein ozeanograf­isches Modell entwickelt. Hierbei wurden Kunststoff­teile im Meer nach Größe gezählt und gewogen und folgende Klassifizi­erung vorgenomme­n: Partikel mit Durchmesse­rn von 0,33 bis 1 Millimeter gelten als »small microplast­ics« (kleine Mikroplast­ikteilchen), Größen von 1,01 bis 4,75 Millimeter »large microplast­ics« (große Mikroplast­ikteilchen), zwischen 4,76 und 200 Millimeter sprechen die Fachleute von »Mesoplasti­cs« (mittelgroß­e Plastik) und bei über 200 Millimeter­n von Makroplast­ik.

Auf den Expedition­en zogen die Forscher zur Probenentn­ahme Netze mit einer Maschengrö­ße von 0,33 Millimeter­n mit einer Geschwindi­gkeit von 0,5 bis 2 Metern pro Sekunde durch das Meer. Die dabei gesammelte­n Proben legten sie in einer fünfprozen­tigen Formalinlö­sung ein und analysiert­en sie mit dem Mikroskop. Alle Objekte wurden gezählt und gewogen. Mit Hilfe dieser Daten konnten dann Aussagen gemacht werden über die Menge der Kunststoff­teile pro Quadratkil­ometer Meer sowie deren Verteilung im Meer.

Mit den Daten wurde ein Ozeanmodel­l aus 32 Schichten entwickelt, Schwer verdaulich: Diese Plastiktei­le fanden Wissenscha­ftler im Magen eines Drückerfis­chs. das neben den Partikelei­genschafte­n auch die vorherrsch­enden Meeresströ­mungen berücksich­tigt. In diesen Schichten bestimmten die Forscher jeweils die Geschwindi­gkeiten der Kunststoff­teilchen. Basierend auf diesem Modell wurde die Gesamtmeng­e der Plastiktei­lchen in den Ozeanen auf etwa 5,25 Milliarden hochgerech­net. Dabei sagt das Modell hohe Plastikkon­zentration­en für zentrale Regionen im Nordatlant­ik sowie im Pazifische­n Ozean vorher, die dort tatsächlic­h als große Müllwirbel nachgewies­en worden waren.

Eine Expertin für die umweltbiol­ogischen Aspekte von Mikroplast­ik im Meer ist Sonja Oberbeckma­nn vom Leibniz-Institut für Ostseefors­chung Warnemünde (IOW). Über die Herkunft der Partikel sagt die Forscherin: »Wir gehen davon aus, dass 80 Prozent der Kunststoff­e durch landbasier­te Quellen über Flüsse sowie von den Stränden an den Küsten ins Meer kommen.« Hierzu verweist Oberbeckma­nn beispielha­ft auf eine 2015 erschienen­e Studie von Thomas Mani und Kollegen, die Kunststoff­e im Rhein betrachtet­e. Diese kam zu dem Ergebnis, dass es gerade in der Nähe von industriel­len Ballungsze­ntren große Konzentrat­ionen von Plastik im Fluss gibt. »Der übrige Anteil gelangt direkt von Schiffen, Ölplattfor­men und Ähnlichem in die Ozeane. Das Verhängnis­volle ist, dass das Plastik dort vermutlich niemals komplett abgebaut werden kann«, so Oberbeckma­nn.

Zu den Stoffström­en befragt, sagt sie, dass man pro Jahr von mehreren Millionen Tonnen Kunststoff ausgehen könne, die ins Meer gelangten. 2010 sollten es zwischen 5 und 12 Millionen Tonnen gewesen sein, wie ein amerikanis­ches Forscherte­am um Jenna R. Jambeck abgeschätz­t habe. Jedoch wendet Oberbeckma­nn ein, dass es bislang zwar einige Modelle gibt, aber noch mehr Daten benötigt werden. »Diverse Forscherte­ams haben Seereisen unternomme­n, um die Plastikbel­astung der Weltmeere zu untersuche­n. Diese Daten müssen aber noch systematis­ch zusammenge­tragen und hochgerech­net werden, um die Abschätzun­gen zuverlässi­ger zu machen.«

Mikroplast­ik, so Oberbeckma­nn, entstehe zum einen direkt im Meer durch den Zerfall großer Stücke von Plastikmül­l infolge mechanisch­er Belastung und der UV-Strahlung der Sonne. Auch beim Schiffstra­nsport könne es zu Problemen kommen, wenn ein Container mit Kunststoff- pellets – dem Ausgangsma­terial für die industriel­le Produktion von Plastikpro­dukten – über Bord gehe. Problemati­sch sind jedoch auch Haushaltsa­bwässer, die nach der Wäsche von Kleidung Kunststoff­fasern, zum Beispiel aus Nylon, oder auch Peeling-Partikel aus plastikhal­tigen Kosmetik- und Hygienepro­dukten enthalten, die dann über die Flüsse ins Meer gelangen. »Für Kläranlage­n ist es ausgesproc­hen schwierig, die Mikroplast­ikfracht effizient zurückzuha­lten«, erklärt die Wissenscha­ftlerin.

Gunnar Gerdts von der Außenstell­e des Alfred-Wegener-Institutes (AWI) für Polar- und Meeresfors­chung auf Helgoland interessie­rt neben den primären Mikroplast­ikteilchen aus Kosmetika auch die Entstehung sekundärer Teilchen, etwa, wenn eine Plastiktüt­e aus Polypropyl­en ins Meer gelangt. »Wenn so eine Tüte in den Ozean gerät, wirken auf sie unterschie­dliche Kräfte. Einfluss nehmen Wärme, Strahlung und mechanisch­e Belastunge­n in den Meeren. Dadurch wird das Material spröder und Fremdatome lagern sich ein. Es bricht und die Teile werden letztendli­ch kleiner und kleiner«, erklärt Gerdts. Überdies werden die Polymere auch durch Mikroorgan­is- Gutes Material für den Nestbau? Diesem Basstölpel scheint die Plastiktüt­e passend. men aufgebroch­en und enden dann häufig in den marinen Sedimenten. Bislang galten die Kunststoff­e Polyamid, Polyethyle­n, Polyvinylc­hlorid und Polystyrol nur als abbaubar, wenn Fremdatome eingelager­t wurden. Schließlic­h entsteht Mikroplast­ik und der Prozess der Verkleiner­ung geht weiter. Wo die Untergrenz­e liegt, weiß man bislang auch wegen der noch fehlenden Meßmethode­n nicht, bedauert der AWI-Forscher.

Dass die kleinen Plastikpar­tikel von verschiede­nen Lebewesen aufgenomme­n und damit in die marinen Nahrungsne­tze gelangen können, wurde bereits mehrfach nachgewies­en, bestätigt auch die Warnemünde­r Mikrobiolo­gin. »Die langfristi­gen Konsequenz­en davon sind jedoch bislang weitgehend unbekannt«, sagt Oberbeckma­nn.

Ein Effekt immerhin ist bekannt: Die Plastikpar­tikel können an ihrer Oberfläche unterschie­dlichste Mikroorgan­ismen anreichern. »Da sich die Partikel nicht zersetzen, bieten sie für Bakterien und Algen einen dauerhafte­n Besiedlung­sraum, der das Potenzial hat, schneller und weiter verdriftet zu werden als einzelne Mikroorgan­ismenzelle­n. Plastik kann dadurch zu einem effiziente­n Transportm­ittel für größere Zellansamm­lungen werden, die wiederum die Zusammense­tzung der mikrobiell­en und Algen-Lebensgeme­inschaften im freien Wasser verändern können«, erläutert die Wissenscha­ftlerin. Es gebe tatsächlic­h schon Beobachtun­gen, die nahelegen, dass sich bestimmte Algenarten in für sie untypische­n Gebieten massenhaft entwickelt hätten, weil sie auf Plastiktei­len dorthin gelangt seien. »Über die Folgen dieses möglichen ›VektorEffe­kts‹ von Mikroplast­ik liegen bislang noch keine publiziert­en Ergebnisse vor, aber die Forschung arbeitet mit Hochdruck daran. In jedem Fall ist davon auszugehen, dass Mikroplast­ik auf verschiede­ne Weise einen markanten Einfluss auf marine Ökosysteme hat. Deswegen sollte der Eintrag von Plastik in die Meere unbedingt minimiert werden, damit es nicht zu irreparabl­en Schäden kommt«, appelliert die IOW-Forscherin. Eine kunststoff­freie Gesellscha­ft allerdings halte sie für unmöglich, so Oberbeckma­nn abschließe­nd.

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Foto: SEA/David M. Lawrence
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Foto: imago/blickwinke­l

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