Alle mal herhören!
Auf dem Weltsozialforum im kanadischen Montreal ist über die Zukunft des Treffens diskutiert worden
Beim Weltsozialforum wurde darüber gestritten, wie man linken Alternativen mehr Gehör verschaffen kann.
»Ich sehe hier nicht viele Afrikaner.« Fatouma Chérif von der westafrikanischen Frauenrechtsgruppe WOPOD
Weniger Teilnehmer, weniger Schlagzeilen: Viele Aktivisten sehen das Weltsozialforum (WSF) trotzdem nicht in der Krise. Beratungsbedarf über die Zukunft der Treffen gibt es gleichwohl.
»In der aktuellen politischen Lage ist ein Treffen progressiver und sozialer Bewegungen mit Menschen aus allen Regionen der Erde wichtiger denn je«, sagt etwa die Linkenpolitikerin Judith Benda. Auf der Suche nach linken Antworten auf »den weltweiten Hunger, die verschärfte soziale Ungleichheit, Kriege und die voranschreitende Militarisierung sowie das Erstarken reaktionärer Kräfte« bleibe das Welttreffen der Alternativen »eine wichtige Plattform für den internationalen Erfahrungsaustausch«.
Das Forum war am Dienstag mit einer Demonstration gestartet, zahlreiche Diskussionsrunden, Workshops und Themenkonferenzen schlossen sich an. Zwei Fragen dürften den Rückblick auf das Treffen in Montreal dominieren: Die restriktive Visapolitik der kanadischen Regierung, die zahlreichen Aktivisten eine Einreise unmöglich machte, sowie die Wahl des Veranstaltungsortes, die unter den Teilnehmern umstritten geblieben ist.
Erstmals war das Weltsozialforum in den Globalen Norden gezogen. Montreal sei »gut geeignet für den Beweis, dass Armut nicht länger auf den Globalen Süden beschränkt ist«, erklärte etwa Attac-Urgestein Hugo Braun. Ideen »des Wandels über die Nord-Süd-Trennung hinweg zusammenzubringen«, das war der Anspruch auch der Organisatoren des diesjährigen Weltsozialforums. Luise Steinwachs vom evangelischen Entwicklungsdienst »Brot für die Welt« findet, es sei durchaus sinnvoll, dass das Weltsozialforum erstmals in einem Land im Norden stattfinde, etwa deshalb: Einige der großen Firmen, beispielsweise im Bergbausektor, die für ökologische und soziale Probleme verantwortlich seien, kämen von hier.
Auch der Generalsekretär der Allianz katholischer Entwicklungsorganisationen CIDSE, Bernd Nilles, verteidigt die Wahl Montreals. »Weil sich die Probleme der Menschheit nicht mehr so leicht trennen lassen nach dem Motto: Das sind die Probleme des Nordens und das sind die Probleme des Südens.«
Doch es gab auch andere Stimmen. »Ich sehe hier nicht viele Afrikaner«, kritisierte Fatouma Chérif von der westafrikanischen Frauenrechtsgruppe WOPOD. »Hier gibt es nur Teilnehmer aus den Ländern des Nor- dens, und ich sehe nicht, wie das ein Weltsozialforum sein kann.« Auch der Linkenpolitiker Niema Movassat äußerte sich kritisch, die Wahl des Veranstaltungsortes sei zwar gut gemeint gewesen. »Wenn dann aber kaum Aktivistinnen und Aktivisten aus dem Globalen Süden teilnehmen können, weil sie nicht genug Geld haben oder schlicht kein Visum bekommen, zeigt das einmal mehr, wie krass der Gegensatz zwischen Nord und Süd noch immer ist.«
Weit über 200 Aktivisten konnten nicht einreisen, dass viele den teuren Weg Richtung Norden gar nicht erst planten, kommt noch dazu. Aber auch ohne diese Beschränkungen wären Teilnehmerzahlen wie bei manchem früheren Weltsozialforum, zu denen bisweilen 100 000 Menschen aus aller Welt strömten, wohl kaum wieder erreichbar gewesen. Der kanadische Soziologieprofessor André Drainville meint, das Weltsozialfo- rum sei nicht mehr so »in« wie früher. Auch gebe es »ständige Spannungen zwischen den Pragmatikern und denjenigen, die im WSF in erster Linie eine soziale Bewegung sehen«.
Dieser Konflikt ist freilich schon älter und hat auch dazu geführt, dass sich neuere linke Bewegungen dem Weltsozialforum nicht zuwandten. So verweist Forums-Koordinator Raphaël Canet darauf, dass die spanische Bewegung der Empörten oder Occupy Wall Street eigene Wege gegangen seien. Dass in diesem Jahr weniger Menschen dabei sind, sei aber kein Zeichen dafür, »dass das Weltsozialforum an Kraft verliert«, wird Carminda MacLorin vom Organisationsteam zitiert.
Auch die Linkenpolitikerin Benda sieht es als ein Problem, wenn durch Visaverweigerung oder unerschwingliche Reisekosten Aktivisten nicht zu dem Forum der Alternativen anreisen können. »Das Weltsozialforum braucht ganz besonders auch die Stimme des Globalen Südens«, so das Vorstandsmitglied der Europäischen Linken. Einen anderen Punkt fügt Chico Whitaker Ferreira, einer der Mitgründer der Weltsozialforen, hinzu: die Terminfrage. Die Treffen sollten künftig wieder parallel zum Weltwirtschaftsforum der Reichen und Mächtigen in Davos stattfinden. So könnten die Sozialforen als »die so- ziale Alternative« mehr Sichtbarkeit erlangen. Es wäre eine Rückbesinnung, die auch Movassat einfordert.
Und die ganz im Sinne von Francisco Marí von »Brot für die Welt« ist: Beim Weltsozialforum gehe es nicht zuletzt darum, die Debatte über Alternativen zum globalen Kapitalismus überhaupt erkennbar zu machen und jene Bewegungen zu stärken, »die auf grundsätzliche Veränderungen drängen«. Ähnlich sieht es Luca Visentini, Generalsekretär des europäischen Gewerkschaftsverbandes ETUC, für den Montreal eine Gelegenheit war, über Alternativen nicht nur zu diskutieren, sondern ihnen auch ein öffentliches Echo zu verschaffen.
Worum es dabei gehen könnte, sagt Bernd Nilles: »Letztendlich müssen wir doch feststellen, dass wir dieses Entwicklungsmodell im Wesentlichen auf dem Verbrennen von natürlichen Ressourcen, von Kohle und Öl, aufgebaut haben. Wir müssen uns quasi neu erfinden. Und dafür müssen wir Räume schaffen.« Montreal war so ein Raum. Ein kleinerer vielleicht als bei manchem Treffen zuvor. Aber ein notwendiger.
Dossier zum Weltsozialforum unter dasND.de/weltsozialforum