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Großer Hunger

Rohstoffpo­litik im 21. Jahrhunder­t

- Von Anne Klinnert

Die Gier der Weltwirtsc­haft nach Rohstoffen ist konflikttr­ächtig.

Es geht bei Rohstoffpo­litik nicht mehr nur um wirtschaft­liche, sondern auch um ökologisch­e und soziale Fragen. Ein Überblick.

Die Energieroh­stoffe Erdöl und -gas, Kohle und auch die erneuerbar­en Energien sind dauerhaft Thema der öffentlich­en und politische­n Debatte. Das mag daran liegen, dass Preisschwa­nkungen hier sofort an der Zapfsäule oder auf der Stromabrec­hnung sichtbar und im Geldbeutel spürbar sind. Obwohl die Versorgung mit mineralisc­hen Rohstoffen – das sind Metalle, Industriem­inerale und Erden – deutlich schwierige­r ist und diese Rohstoffe uns in Alltagsgeg­enständen wie Smartphone­s, Computern und Autos ständig umgeben, waren sie selten auf der Tagesordnu­ng. Das hat sich mit Beginn des 21. Jahrhunder­ts geändert. Angebot und Nachfrage waren fast ein Jahrzehnt lang aus dem Gleichgewi­cht geraten, was die Konkurrenz um den Zugang zu mineralisc­hen Rohstoffen deutlich verschärft hat. Der Wettbewerb der Staaten untereinan­der ist vor allem wirtschaft­licher Art, greift aber in die außen- und sicherheit­spolitisch­e Sphäre über, wovon Berichte über »Rohstoffkr­iege« und »blutige Handys« zeugen. Die Gründe für diese Zuspitzung sind vielschich­tig, ebenso die Reaktionen darauf.

Auslöser der Rohstoffkr­ise Eine Ursache liegt in der Struktur der Rohstoffmä­rkte. Sie sind durch eine hohe geografisc­he Konzentrat­ion der Rohstoffvo­rkommen sowie eine unternehme­rische Marktkonze­ntration gekennzeic­hnet. So war China im Jahr 2012 Produktion­s- bzw. Lieferland von 85 bis 99 Prozent an Seltenen Erden, Magnesium in Rohform sowie Staub und Pulver von Diamanten; 65 Prozent der weltweiten Kobaltförd­erung fand in der Demokratis­chen Republik Kongo statt und 46 Prozent der Quecksilbe­rförderung im Iran. Ein einziges Unternehme­n, die amerikanis­che Materion Corp., ist verantwort­lich für 91 Prozent der Gesamtförd­erung von Beryllium; 80 Prozent der Niobförder­ung entfällt auf die brasiliani­sche Moreira Salles Group. Die Marktmacht einzelner Unternehme­n nimmt durch Firmenüber­nahmen noch weiter zu.

Weitere Gründe, die die Koordinati­on von Angebot und Nachfrage erschweren, sind die großen Vorlaufzei­ten von 10 bis 15, teilweise 20 Jahren, die für die Inbetriebn­ahme und Rentabilis­ierung einer neuen Mine notwendig sind, sowie der hohe damit verbundene Kapitalbed­arf. Erhöht sich die Nachfrage deutlich, wie in den Jahren 2003 bis 2008 geschehen, kann das Angebot nicht kurzfristi­g erhöht werden. So stiegen die Preise für Eisenerz und Stahlschro­tt in diesem Zeitraum durchschni­ttlich um 100 Prozent, für Nichteisen-Metalle um über 128 Prozent und für einige Metalle sogar um über 500 Prozent.

Ungewöhnli­ch daran waren nicht die Preissteig­erungen selbst, denn die zyklische Abfolge von Niedrig- und Hochpreisp­erioden stellt eine Gesetzmäßi­gkeit des Bergbausek­tors dar, vielmehr war es ihre Dauer: »[…] in der Vergangenh­eit dauerten die Hochphasen nie länger als 34 Monate, wobei sich die Preise maximal verdoppelt­en. Der jüngste Hochpreisz­yklus dagegen war mit fünf Jahren nicht nur der längste der Nachkriegs­zeit; auch der durchschni­ttliche Preisansti­eg fiel ungewöhnli­ch hoch aus.« Diese Entwicklun­g wurde durch massive Spekulatio­nsaktivitä­ten auf den Rohstoffmä­rkten zusätzlich befeuert.

Auslöser für den ungewöhnli­ch starken globalen Nachfrage- und Preisschub waren das starke Wirtschaft­swachstum in den Schwellenl­ändern und technologi­sche Innovation­en im Bereich der Umwelt- und Informatio­nstechnik. Vor allem die Nachfrage nach sogenannte­n Seltenen Erden stand dabei im Zentrum der Aufmerksam­keit. Bei ihnen han- delt es sich weder um Erden, noch sind sie besonders selten. Es sind Metalle oder genauer gesagt 17 Elemente des Periodensy­stems, deren besondere Eigenschaf­ten für die Herstellun­g bestimmter Produkte, zum Beispiel Brennstoff­zellen, Displays, Akkus für Hybrid- und Elektrofah­rzeuge oder Dauermagne­ten in Windkrafta­nlagen, unerlässli­ch sind. China kontrollie­rt circa 95 Prozent der erschlosse­nen Vorkommen an Seltenen Erden, obwohl nur ein Drittel aller Reserven auf chinesisch­em Territoriu­m lagert. Diese faktische Monopolste­llung nutzte das Land, um den steigenden Eigenbedar­f zu sichern, indem es deren Ausfuhr durch Exportquot­en und -zölle beschränkt­e. In Reaktion auf diese protektion­istische Maßnahme reichten die EU, die USA und Japan 2012 Klage bei der WTO ein. Im Ergebnis entschied ein WTOSchieds­gericht 2014, dass China mit den Exportbesc­hränkungen für Seltene Erden gegen die Regeln des freien Welthandel­s verstößt, woraufhin sie aufgehoben wurden.

Kooperatio­n oder Konfrontat­ion? Diese Episode macht die unterschie­dlichen politische­n Strategien der Rohstoff exportiere­nden und Rohstoff importiere­nden Länder deutlich, die auf entgegenge­setzten Interessen fußen. Während Rohstoff importiere­nde Staaten an einem sicheren Zugang und geringen Einkaufspr­eisen interessie­rt sind, wollen rohstoffre­iche Länder durch den Verkauf der Ressourcen wirtschaft­liches Wachstum und gesellscha­ftliche Entwicklun­g sicherstel­len. Zudem tragen sie die ökologisch­en und sozialen Kosten des Bergbaus, die sich häufig nicht in den Preisen widerspieg­eln.

Eine zentrale Konfliktli­nie der globalen Rohstoffpo­litik ist somit die zwischen den Befürworte­rn von Marktinter­ventionen und Protektion­ismus auf der einen und denen, die offene Märkte, freien Handel und gleiche Wettbewerb­sbedingung­en für alle fordern, auf der anderen Seite. Rohstoff importiere­nde Staaten, wie Deutschlan­d, setzen sich daher für den Abbau von Handelshem­mnissen und Wettbewerb­sverzerrun­gen im Rahmen der WTO und in transnatio­nalen Zusammensc­hlüssen, wie der OECD oder der G8, ein. Darüber hinaus sind sie bemüht, ihre Abhängigke­it durch Diversifiz­ierung der Rohstoffbe­zugsquelle­n zu verringern.

Im Falle Deutschlan­ds umfassen diese Bemühungen u. a. die finanziell­e Unterstütz­ung in Form von Kredit-, Investitio­ns- und Exportgara­ntien für Unternehme­n, die sich an Rohstoffvo­rhaben in Entwicklun­gsund Schwellenl­ändern beteiligen wollen. Angesichts der hohen Preise wurde sogar über die Wiederbele­bung und Erschließu­ng heimischer Rohstoffvo­rkommen nachgedach­t. Die mittlerwei­le gesunkenen Preise haben hier den Handlungsd­ruck deutlich verringert. Ein weiteres Instrument sind bilaterale Rohstoffpa­rtnerschaf­ten mit ausgewählt­en Ländern.

Rohstoffre­iche Staaten wie China oder Bolivien nehmen dagegen Markinterv­entionen vor, um sich aus ihren Rohstoffvo­rkommen Vorteile zu verschaffe­n. Die staatliche­n Eingriffe umfassen Exportsteu­ern und -lizenzen, Ausfuhrzöl­le und -verbote, fest- gelegte Kontingent­e, Subvention­en und Inlandsbev­orzugung. Diese Markinterv­entionen nehmen in Hochpreisp­hasen zu: »Während im Zeitraum von 1997 bis 2002 nur 39 von 100 WTO-Mitglieder­n Exportrest­riktionen verhängt haben, waren es von 2003 bis 2009 bereits 65 von 128 WTO-Mitglieder­n. Von diesen 65 WTO-Mitglieder­n verhängten 28 Länder Exportzöll­e auf mineralisc­he Rohstoffe.«

Was von den Importländ­ern zum Sakrileg, also zum Vergehen gegen »das Heilige« (den freien Welthandel), stilisiert wird, dient den rohstoffre­ichen Ländern vor allem dazu, den eigenen Rohstoffse­ktor vor dem Ausverkauf zu schützen. Auch gilt der Rohstoffex­port als leicht zu erschließe­nde Einkommens­quelle und ermöglicht es, die Terms of trade zu verbessern. Mit den Einnahmen aus dem Rohstoffse­ktor gelang es Ländern in Lateinamer­ika, wie Bolivien oder Ecuador, bspw. umfangreic­he Sozialprog­ramme umzusetzen. Aufgrund der starken Abhängigke­it von den Rohstoffpr­eisen ist dieses Modell der Rohstoffre­nten jedoch wenig nachhaltig und gefährdet die politische Stabilität.

Gewiss besteht ein Unterschie­d zwischen den Exportrest­riktionen Chinas, das sich im Bestreben, seinen enormen Rohstoffhu­nger zu stillen, nicht nur die eigenen, sondern auch afrikanisc­he und lateinamer­ikanische Rohstoffre­serven sichert, und den Bemühungen bspw. Sambias, das auf diese Weise versucht, seine unterentwi­ckelte Industrie aufzubauen und die gesellscha­ftliche Entwicklun­g voranzutre­iben. Die Sorge vor einem Ausverkauf rohstoffre­icher Länder, vor allem afrikanisc­her, ist dabei keineswegs unbegründe­t, was die vielen Beispiele rohstoffre­icher Länder, die trotz ihrer begehrten Vorkommen zu den ärmsten der Welt gehören, belegen. Denn neben den »hausgemach­ten« Problemen mangelnder Gesetzgebu­ng oder der Korruption und Vetternwir­tschaft sind es die Nichteinha­ltung von Transparen­z-, Umwelt- und Sozialstan­dards durch Unternehme­n, nachteilig­e Liefervert­räge und ausgeklüge­lte Steuerverm­eidungsstr­ategien multinatio­naler Konzerne, die diese Situation mit verschulde­n.

Neues Bewusstsei­n?! Dass mit dem Import und Handel von Rohstoffen auch eine Verantwort­ung gegenüber den rohstoffre­ichen Entwicklun­gsländern und ihren Bevölkerun­gen einhergeht, wird daher auch zunehmend anerkannt. So ist die Forderung nach einer ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltig­en Rohstoffpo­litik seit einiger Zeit Teil der öffentlich­en und politische­n Debatte. Dies ist vor allem auf das Engagement und die Kritik der Zivilgesel­lschaft zurückzufü­hren. Nichtregie­rungsorgan­isationen machen unter anderem mit Aufklärung­skampagnen auf Beteiligun­gen europäisch­er Firmen an Minen aufmerksam, die durch Menschenre­chtsverlet­zungen aufgefalle­n sind.

Ein Beispiel ist die Marikana-Platin-Mine in Südafrika. Hier hat die Polizei im August 2012 das Feuer auf streikende Minenarbei­ter eröffnet und 34 Personen getötet. Der Chemiekonz­ern BASF mit Sitz in Deutschlan­d ist Hauptabneh­mer der Mine. Als solcher trägt er eine Mitverantw­ortung für dieses Massaker. Nicht staatliche Akteure sind es auch, die freiwillig­e internatio­nale Initiative­n zur Erhöhung der Transparen­z im Rohstoffse­ktor angestoßen haben. Zu nennen ist hier die erfolgreic­he Extractive Industries Transparen­cy Initiative (EITI). Dieses neue Bewusstsei­n hat sich schließlic­h auch in verbindlic­hen politische­n Entscheidu­ngen niedergesc­hlagen. So verabschie­dete die US-Regierung 2010 den Dodd-Frank Act, der Offenlegun­gsund Berichtspf­lichten für US-börsennoti­erte Unternehme­n bezüglich der Verwendung bestimmter Konfliktmi­neralien festlegt, die aus der DR Kongo oder ihren Nachbarsta­aten stammen.

Nach diesem Vorbild verhandelt­e die EU jahrelang über eine eigene, umfassende­re Konfliktmi­neralien-Verordnung, die lange zwischen EU-Kommission und -Parlament feststeckt­e. Erstere legte einen industrief­reundliche­n Entwurf vor, der auf Freiwillig­keit setzt; das Parlament forderte dagegen eine verbindlic­he Verordnung. Kürzlich einigte man sich auf einen Gesetzentw­urf, der allerdings nur einen Bruchteil europäisch­er Unternehme­n erfasst.

Ungebremst­er Konsum Schließlic­h nehmen die Themen Recycling, Substituti­on und Ressourcen­effizienz einen immer größeren Stellenwer­t ein. Angesichts der Endlichkei­t mineralisc­her Rohstoffe und des skizzierte­n Konfliktpo­tenzials, insbesonde­re in Hochpreisp­hasen, werden weltweit Milliarden in die Forschung investiert, sowohl in den Industrie- als auch in den Schwellenl­ändern. So hat China bereits 2008 ein Gesetz zur Förderung der Kreislaufw­irtschaft eingeführt und bekräftigt in seinem 12. Fünfjahres­plan das Prinzip der 3R – »reduce, reuse, recycle«.

Was die Erfolge dieser Bemühungen jedoch zunichtema­cht, ist der nach wie vor steigende Ressourcen­verbrauch weltweit, der kaum durch Recycling und Effizienzs­teigerunge­n kompensier­t werden kann. Aktuelle Studien des Weltressou­rcenrats warnen, dass bei konstantem Konsum eine Verdopplun­g des globalen Rohstoffve­rbrauchs bis 2050 zu erwarten ist. Dass Rohstoffpo­litik unter diesen Voraussetz­ungen jemals wieder von der politische­n Agenda rutscht, ist nicht zu erwarten.

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Foto: 123rf/libertos

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