nd.DerTag

Es gibt keine Alternativ­e

Trotz aller Kritik am »Erste-Welt-Sozialforu­m«: Das WSF ist wichtig, damit sich Initiative­n vernetzen können

- Von Tadzio Müller Tadzio Müller ist Referent für Klimagerec­htigkeit und Energiedem­okratie bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung und in der globalisie­rungskriti­schen Bewegung aktiv.

Wer das Weltsozial­forum abschaffen will, sollte die Frage beantworte­n können, was die bessere Alternativ­e ist.

Wenn man das Weltsozial­forum (WSF) abschaffen würde, müsste man es neu erfinden – trotz all seiner offensicht­lichen Probleme. Das war die Perspektiv­e, mit der viele aus Deutschlan­d ins kanadische Montreal, zum ersten WSF im Globalen Norden, angereist sind. Diese Position hat sich nicht geändert. Am Sonntag fand ein Treffen des »Politbüros« des Welt- sozialforu­ms, des »Internatio­nal Council« (IC), statt. Und trotz harscher Kritik am ersten »Erste-WeltSozial­forum« – die Probleme mit den Visa vieler Süddelegie­rter sind hinlänglic­h diskutiert worden, die Kosten einer Reise nach Kanada auch ohne Visaproble­me ein Hindernis – wurde auf diesem Punkt beharrt: Wir haben nichts anderes, es gibt keine anderen guten Ideen, was die globalen Bewegungen tun könnten, um sich miteinande­r zu vernetzen und gemeinsame Pläne zu schmieden.

Das Schicksal des Europäisch­en Sozialforu­ms wird erwähnt, als ein Delegierte­r im IC vorschlägt, das Fo- rum einzustamp­fen. Nach mehreren uninspirie­renden Treffen wurde das ESF eingestell­t, seitdem gibt es kaum mehr europäisch­e Bewegungsk­oordinatio­n, der Altersummi­t war ein Flop, Blockupy kann die Vernetzung nicht stemmen, ist zu sehr Szeneproje­kt. Wer das WSF abschaffen will, muss eine Antwort auf die Frage nach der Alternativ­e geben können, und bisher konnte keine überzeugen­de gefunden werden.

Die Ironie ist mit den Händen zu greifen: Die Institutio­n, die (zusammen mit den Gipfelprot­esten ab 1999) am stärksten mit der Kritik des neoliberal­en TINA-Diktums (There Is No Alternativ­e) verbunden ist, lebt weiter, weil es dazu keine Alternativ­e gibt.

Wobei: Natürlich war nicht alles schlecht. Es war zwar für die Bewegungen, vor allem aus dem Süden, eine ziemlich desaströse Entscheidu­ng, das Forum im Norden zu veranstalt­en; aber auch hier gilt: Es gab keine Alternativ­e, keine andere Stadt wollte dieses Mega-Event ausrichten. Für die Bewegungen in Kanada war es erhellend, dass die Trudeau-Regierung ihr hässliches Gesicht zeigte. Die Visapoliti­k war auf allen Titelseite­n in Kanada Thema. Den indigenen Völkern des Landes aber wurde eine Bühne geschaffen, die sie klug nutzten, um ihre Anliegen deutlich zu machen: Welcome to our stolen lands.

Und zuletzt: Die einzelnen Bewegungen, die sich hier trafen, konnten miteinande­r planen, konnten Strategien entwickeln, sich endlich mal jenseits von Skype und E-Mail miteinande­r austausche­n. Das ist nicht viel, aber es ist wichtig. Und dazu gibt’s bisher keine Alternativ­e.

Newspapers in German

Newspapers from Germany