Verschleierte Frauen, entfesselte Debatten
In Deutschland wird um ein »Burkaverbot« gestritten – andere Länder haben sehr gemischte Erfahrungen damit
Geht es um Terrorabwehr? Um Frauenemanzipation? Oder nur um Stimmungsmache? Der Streit um das »Burkaverbot« sollte berücksichtigen, das ähnliche Gesetze anderswo wenig Positives bewirkten.
Am Sonntag hatte die Debatte um ein Verbot islamischer Gesichtsschleier schließlich auch den höchsten Repräsentanten der Republik erreicht. »Gut leben«, könne er damit, dass Innenminister Thomas de Maizière(CDU), Burka, Niqab und Co. nun doch nicht verbieten wolle, sagte Joachim Gauck im ZDF-Sommerinterview. Ungewohnt unaufgeregt beendete der Bundespräsident damit vorerst eine Debatte, die in Tagen zuvor mit zunehmender Schärfe geführt worden war.
Vom einem »Käfig aus Stoff« sprach noch am Freitagmorgen im ARDMorgenmagazin Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU). Er unterstützte die Forderung einiger Landesinnenminister aus CDU und CSU nach einem Verbot des Gesichtsschleiers. Unter der Überschrift »Wir wollen das Burkaverbot« fuhr die »Bild«-Zeitung parallel eine Reihe von Burkagegnern auf. »Das ist finsterstes Mittelalter, das Gegenteil von Selbstbestimmung«, schrieb etwa Heinz Buschkowski, ehemaliger SPDBezirksbürgermeister von BerlinNeukölln. Aber auch die Gegner sparten nicht mit drastischen Worten: Von »scharfmacherischen Vorschlägen« SPD-Chef Sigmar Gabriel am Sonntagmorgen im Deutschlandradio mit Blick auf die Unionsländerminister. Linksparteichef Bernd Riexinger erkannte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP »Stimmungsmache mit erhöhtem Rassismusfaktor.«
Dabei ist Deutschland längst nicht mehr das erste Land, das sich an der Frage nach dem islamischen Schleier entzweit: Im Jahr 2010 verbannte etwa die syrische Regierung Gesichtsschleier aus den Universitäten des Landes. Doch schon ein Jahr später musste sie die Bestimmungen auf Druck von Demonstranten wieder lockern. In Tunesien kündigte die Regierung im Februar dieses Jahres an, den Gesichtsschleier verbieten zu wollen. Die gesellschaftliche Debatte hält bis heute an. Auch in Kanada, Australien und der russischen Stadt Stawropol versuchten sich Behörden an einem Verbot von Gesichtsschleiern und scheiterten an Protesten oder Gerichten.
Das europaweit erste Bußgeld gegen eine Frau wegen Tragens eines Niqab – der Kopfbedeckung, die im Unterschied zur Burka die Augenpartie freilässt – wurde 2010 in der norditalienischen Stadt Novara verhängt. Der von der rechtsradikalen Lega Nord dominierte Stadtrat hatte zuvor ein Verbot durchgesetzt. Seitdem haben Frankreich, Belgien und zuletzt der schweizerische Kanton Tessin Gesetze gegen das Tragen von Gesichtsschleiern erlassen – mit überschaubarem Erfolg.
In Belgien ist das Tragen von »Kleidung, die das Gesicht ganz oder teilweise bedeckt«, seit 2010 in der Öffentlichkeit verboten. Die Regierung wollte damit vor allem der Radikalisierung von Muslimen entgegenwirken. Radikalisiert hat sich die islamistische Szene Belgiens seitdem allerdings dennoch, wie beispielsweise die hohe Zahl belgischer IS-Anhänger, die belgischen Hintermänner des Novemberattentats von Paris oder der Anschlag auf den Flughafen von Brüssel am 22. März 2016 zeigten. Oder hat das in solchen Kreisen als antiislamisch wahrgenommene Gesetz Radikalisierung gar befördert?
Anzeichen für eine solche Tendenz werden in französischen Medien gelegentlich berichtet. Zumindest einige Musliminnen hätten nach dem dortigen Verbot vor fünf Jahren erst recht islamische Gesichtsschleier angelegt – als Zeichen von Protest. Jedenfalls scheint das Verbot in Frankreich nicht dazu geführt zu haben, dass sich die Anzahl der auf rund 2000 geschätzten Vollschleierträgerinnen erkennbar reduziert hat.
Bewirkt hat das Verbot in Frankreich etwas anderes: Weil verschleierten Frauen oft der Zutritt zu öffentlichen Einrichtungen wie Kinos oder Bussen verwehrt werde, zögen sich diese erst recht aus der Öffentlichkeit zurück, berichtet die Bürgerrechtsgruppe »Collectif contre l'Islamophobie en France« (CCIF). Mehr noch: Islamfeinde verstünden das Verbot als eine Art Freibrief für Übergriffe auf Musliminnen.
Tatsächlich reduziert hat sich die Anzahl von Niqab-Trägerinnen hingegen im schweizerischen Kanton Tessin. Im Juli dieses Jahres trat dort ein bereits im September 2013 per Volksabstimmung beschlossenes Schleierverbot in Kraft. Sechs Trägerinnen des Niqab seien seit dem Inkrafttreten des Verbots ermahnt worden – und hätten daraufhin ihren Schleier abgelegt, berichtete vergangene Woche Luganos Polizeichef Michele Bertini gegenüber der Neuen Züricher Zeitung. Doch das ist nur auf den ersten Blick ein Erfolg: Alle sechs waren Touristinnen aus den Golfstaaten. Denn einheimische NiqabTrägerinnen gab es im Schweizer Süden schon vor dem Verbot nicht.
Erst 2010 verbannte die syrische Regierung Gesichtsschleier aus den Universitäten. Ein Jahr später musste sie dies auf Druck von Demonstranten wieder lockern.