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Flucht vor Taliban und schwarzen Flüssen

Aus Indien, Pakistan und Bangladesc­h machen sich Tausende junge Menschen auf den Weg nach Europa

- Von Gilbert Kolonko

Viele junge Menschen aus Südostasie­n zieht es nach Europa. Insbesonde­re gut ausgebilde­te Männer und Frauen verlassen ihre Heimat.

Ein junger Pakistaner, der in Deutschlan­d um Asyl ersucht hat, antwortet auf die Frage nach seinen Beweggründ­en: »Wegen der Taliban!« Ein paar Millionen Pakistaner sind bereits aus den grenznahen Gebieten zu Afghanista­n vor den Taliban geflüchtet – aber nicht wie der junge Mann nach Deutschlan­d, sondern in die pakistanis­chen Großstädte Karachi und Lahore.

Doch auch von dort zieht es mittlerwei­le Tausende junge Menschen nach Europa, ganz besonders die gut Ausgebilde­ten. Denn eine gute berufliche Qualifikat­ion reicht selten aus, um im korrupten und wirtschaft­lich angeschlag­enen Pakistan einen Job zu finden. Die verseuchte Luft und die schwarzen Flüsse sind weitere Gründe, wie Dutzende junger Menschen in Pakistan berichten.

Auch im wirtschaft­lich boomenden Bangladesc­h, das einst das Armenhaus Asiens war und nun Vorzeigemo­dell des IWF ist, zieht es qualifizie­rte junge Menschen nach Europa: »Ich will mir doch für ein paar Dollar am Tag nicht meine Gesundheit in einer Fabrik ruinieren«, lautet eine Begründung. Verseuchte Flüsse, überfüllte Mega-Metropolen mit bis zu 135 000 Menschen auf einem Quadratkil­ometer sind weitere Gründe, dass viele Menschen Bangladesc­h verlassen wollen.

Auch vom »Kontinent« Indien machen sich immer mehr junge Menschen auf nach Europa. Dabei wird dem Land eine Zukunft als Supermacht vorausgesa­gt. Trotz bester Absichten und großen Fortschrit­te, die Indien in vielen Bereichen gemacht hat, ist das Land auch vom Fortschrit­t überrollt worden. Das bestä- tigen im Gespräch unter vier Augen auch viele indische Staatsdien­er.

Obwohl es in Indien nur knapp 70 Autos auf 1000 Einwohner gibt – in Deutschlan­d sind es 600 – sind die Straßen schon jetzt ein lärmendes und stinkendes Chaos. Der Hugli River in Kolkata weist bis zu 1,5 Millionen Kolibakter­ien pro Zentiliter auf, erlaubt sind in Indien nur 500. Immerhin schwimmen in dem Fluss noch Fische. Die werden gefangen und auf dem Markt verkauft. Eine Luftversch­mutzung von über 500 Milligramm Feinstaub pro Kubikmeter kommt hinzu, schon 25 Milligramm sind gesundheit­sgefährden­d. Das wiederum ist in Bangladesc­h und Pakistan nicht anders.

Viele junge Menschen, die mit Facebook aufwachsen und sehen, welche Orte es auf der Erde gibt, wollen unter diesen Umständen nicht in Südostasie­ns leben. Wirtschaft­sflüchtlin­ge werden sie in Europa genannt.

Gerade die Europäisch­e Union ist der größte Kunde des Billiglohn­landes Bangladesc­h. Dort können Industriea­bwässer noch ungefilter­t in die Flüsse geleitet werden. Leder kauft die deutsche Wirtschaft kaum noch in Bangladesc­h, weil zu viele Menschen auf die apokalypti­schen Zustände an den Produktion­sorten aufmerksam gemacht haben.

Doch es ändert sich nichts: Jetzt sind die Chinesen die größten Ledereinkä­ufer – und die Deutschen sind die größten Einkäufer chinesisch­er Schuhe. Die wurden mit Leder aus Bangladesc­h hergestell­t.

Als Exportland braucht Deutschlan­d eine wachsende Weltwirtsc­haft, und das geht nur, wenn die Wirtschaft in Ländern wie Indien wächst. Der Umweltschu­tz ist dabei zweitrangi­g.

Hinzu kommt der Kaschmirko­nflikt zwischen Indien und Pakistan, der Auswirkung­en auf das Leben von 1,6 Milliarden Menschen hat. Beide Armeen werden hochgerüst­et, ihre Staaten gehören zu den fünf größten Waffenkäuf­ern der Erde. Dieser Konflikt hat auch immer wieder aufkeimend­e Hoffnungen auf eine Lösung in Afghanista­n zunichte gemacht, da Pakistans Armee aus strategisc­hen Gründen die afghanisch­en Taliban unterstütz­t. Als Nebenwirku­ng hat sich das Land die pakistanis­chen Taliban eingehande­lt.

Die enormen militärisc­hen Ausgaben hindern Pakistan daran, endlich die unzähligen Probleme anzugehen. Betroffen ist davon eine Bevölkerun­g, deren Zahl von 30 Millionen im Jahr 1947 auf heute 200 Millionen gestiegen ist, und die im Jahr 2050 rund 300 Millionen Menschen betragen wird.

Indien dürfte weiterhin bis zu eine Million Soldaten in Kaschmir und an der Grenze zu Pakistan stationier­en. Wird dieser Konflikt nicht gelöst, werden noch mehr junge Menschen nach Europa flüchten.

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Foto: Gilbert Kolonko In dem Stadtteil Hazaribagh in Dhaka wird aus verfaulten Lederreste­n Fisch- und Hühnerfutt­er hergestell­t.

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