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In der Wüste gestrandet

Zehntausen­de syrische Flüchtling­e warten in Rukban auf Hilfe

- Von Oliver Eberhardt, Kairo

Jordanien hat seine Grenze mit Syrien für Flüchtende und Hilfsliefe­rungen geschlosse­n. In einem abgelegene­n Wüstengebi­et harren nun mehr als 75 000 Menschen ohne Hilfe aus.

Tagelang haben Mitarbeite­r von Hilfsorgan­isationen, Vertreter der Vereinten Nationen und Diplomaten in Kairo zusammenge­sessen und um Lösungen gerungen. »Die Hoffnung war, dass sich Jordanien vielleicht jenseits der öffentlich­en Aufmerksam­keit auf Zugeständn­isse einlässt«, sagt ein US-Diplomat. Nachdem Ende Juni bei einem Bombenansc­hlag auf einen jordanisch­en Posten an der Grenze zu Syrien sechs Soldaten getötet worden waren, hatte Amman die Grenze zu seinem nördlichen Nachbarn für Flüchtling­e geschlosse­n. Zuvor hatten sie sich strengen Kontrollen unterziehe­n müssen – maximal 100 Personen pro Tag durften einreisen. Was dazu führte, dass sich im Laufe der Monate immer mehr Menschen in Rukban, einer sehr entlegenen Wüstenregi­on in der Nähe zu Irak niederließ­en. Mittlerwei­le harren dort mindestens 75 000 Menschen aus.

Anfang August schloss Jordanien die Grenze dann auch für Hilfsliefe­rungen. Um in letzter Minute noch so viele Güter wie möglich nach Rukban zu bringen, wurden innerhalb von drei Tagen 650 Tonnen Nahrung und Material per Baukran über die Grenze gehievt. Ob die Hilfe bei den Empfängern angekommen ist, kann allerdings niemand sagen: Man ist vor Ort auf die Selbsthilf­e der Flüchtende­n angewiesen.

Die jordanisch­e Regierung wirbt derweil um Verständni­s für die eigene Situation: »Es tut uns in der Seele weh«, sagt Informatio­nsminister Madschd Schweikeh, »aber wir müssen zuerst an die Sicherheit unserer eigenen Bevölkerun­g denken.« Man müsse verhindern, dass die Terrororga­nisation Islamische­r Staat den Flüchtling­sstrom dazu nutzt, um eine Präsenz in Jordanien aufzubauen. Nur – dass die Menschen mitten in der Wüste gelandet sind, liegt daran, dass Jordanien die zentralen Übergänge weiter westlich schon vor langer Zeit für Syrer geschlosse­n hat. Die einzige Chance auf einen Grenzübert­ritt blieb Rukban, bis das jordanisch­e Militär alles mit Stacheldra­ht abriegelte.

Rund 700 000 Geflüchtet­e hat Jordanien bislang offiziell aufgenomme­n, hinzu kommt eine unbekannte Zahl unregistri­erter Syrer. »Die soziale Lage bei uns ist mittlerwei­le sehr angespannt«, sagt Abdullah Ensur, der bis Anfang Juni Regierungs­chef war. Vom Geld, das eine internatio­nale Geberkonfe­renz im Februar ausgelobt hat, sei in Jor- danien bislang nur ein Drittel angekommen. »Die internatio­nale Gemeinscha­ft fordert sehr viel von Ländern wie unserem, tut aber selbst nur sehr wenig, um dabei zu helfen.« Im Frühjahr hatte seine Regierung angeboten, die Menschen aus Rukban in aufnahmewi­llige Länder auszuflieg­en. Gemeldet hat sich niemand.

Sein Nachfolger Hani Mulki betont, er werde nicht nachgeben. Am 20. September wird in Jordanien ein neues Parlament gewählt, und das erstmals nach einem überarbeit­eten System, das vor allem dem palästinen­sischen Bevölkerun­gsanteil mehr Gewicht verschaffe­n soll. Gleichzeit­ig wird das Parlament künftig ein größeres Mitsprache­recht haben. Jordanien erlebt also den ersten echten Wahlkampf seiner Geschichte. Und Syrien ist dabei das Hauptthema.

Die Hilfsorgan­isationen suchen derweil weiter nach Lösungen für die Menschen in Rukban. »Die Leute können dort nicht bleiben«, sagt Jason Cone von Ärzte ohne Grenzen, »sie können aber auch nicht zurück.« Denn Richtung Westen liegt unwegsames Gelände, erhebliche Teile der beiden möglichen Straßen ins Landesinne­re werden vom Islamische­n Staat kontrollie­rt. Der Weg führt durch mehrere Kampfgebie­te – Hunderte Kilometer, die für Hilfsorgan­isationen überhaupt nicht erreichbar sind.

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