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Der zähe Schatten des Dr. Gerhard Gerlich

2010 stieß eine Schülerin in Trappenkam­p (Schleswig-Holstein) darauf, dass der Namensgebe­r einer Schule einst SS-Mann war – sechs Jahre dauerte es, bis die Kommune handelte

- Von Dieter Hanisch, Bad Segeberg

Ein Aktenverme­rk der SS belegt, dass der CDU-Politiker Gerhard Gerlich in der NS-Zeit den Schuldiens­t von »untragbare­n Elementen« gesäubert habe. Dennoch bekam eine Schule im Norden seinen Namen. Auch 71 Jahre nach Ende der NS-Diktatur tut manch politisch Verantwort­licher sich schwer mit der Geschichts­aufarbeitu­ng. So gibt es beispielsw­eise immer noch Schulen, deren Namenspate­n mit dem NS-Regime verstrickt waren. Ein aktueller Fall beschäftig­te den 5000-Seelen-Ort Trappenkam­p (Kreis Segeberg) in Schleswig-Holstein über Jahre, bevor am vergangene­n Donnerstag auf einer Sondersitz­ung der Gemeindeve­r- tretung beschlosse­n wurde, den Namen Dr. Gerhard-Gerlich-Schule abzulegen, weil der Namenspate der Grundschul­e nicht nur NSDAP-Mitglied war, sondern auch der SS angehörte. Letzteres hatte der frühere Pädagoge Gerlich (1911 bis 1962), der in den 1930er Jahren in Tschechosl­owakei Deutschleh­rer war, in seinem Entnazifiz­ierungsver­fahren verschwieg­en. Überhaupt gab sich Gerlich – 1950 bis 1962 war er CDULandtag­sabgeordne­ter in Kiel, von 1950 bis 1954 zudem parlamenta­rischer Staatssekr­etär im Kultusmini­sterium und damit Teil der Landesregi­erung – auffallend pressesche­u.

Erst 2010 war eine Schülerin im Rahmen eines Geschichts­wettbewerb­s des Bundespräs­identen auf Gerlichs Vergangenh­eit gestoßen, als sie zu Landtagsab­geordneten der unmittelba­ren Nachkriegs­zeit recherchie­rte. Dabei entdeckte sie einen SSAktenver­merk, demzufolge Gerlich selbst angab, er habe den Schuldiens­t von »untragbare­n Elementen« gesäubert. Es dauerte zwei Jahre, bis dies durch einen Aufsatz publik. Seither tobten heftige Debatten um Gerlichs Person in dessen Heimatort Trappenkam­p, wo er als Wohltäter galt. 2013 dann forderten Schulleite­r Sven Teegen und die Schulkonfe­renz, sich von dem Schulnamen zu trennen.

Trappenkam­p ist eine Gemeinde mit hohem Vertrieben­enanteil. Seit 1957 gibt es dort das Sudetendeu­tsche Kulturwerk (SKW), dessen Gründungsv­orsitzende­r Gerlich war. Insbesonde­re aus SKW-Kreisen wurden immer nur Gerlichs Verdienste als Nachkriegs­politiker hervorgeho­ben. Das sich in der Vergangenh­eit teilweise ultrarecht­s positionie­rende SKW hatte 1988 zum Beispiel seinen Kulturprei­s an Ernest Potuczek-Lindenthal verliehen, der sechs Jahre zuvor noch bei den Kommunalwa­hlen für die rassistisc­he Kieler Liste für Ausländerb­egrenzung kandidiert hatte.

2013 war ein erstes Gutachten zu Gerlichs Vita bis 1947 in Auftrag gegeben worden, das sehr wohl Belastende­s an den Tag brachte. Doch damit wollten sich längst nicht alle Kommunalpo­litiker abfinden. Zwei Jahre dauert es, bis eine weitere Expertise eingeholt wurde.

Auf der jüngsten Sitzung der Gemeindeve­rtretung wurde nun ein Schlussstr­ich gezogen. Neun SPDVertret­er stimmten für die Streichung des Schulnamen­s, sechs Mitglieder der Wählergeme­inschaft Trappenkam­per Bürger Interesse (TBI) votierten dagegen. Sven-Uve Jahn, TBI-Fraktionsc­hef, nannte es »beschämend und moralisch verwerflic­h«, einen Menschen 71 Jahre nach Ende des NS-Regimes und 54 Jahre nach dessen Tod zu bewerten und zu beurteilen. Das Verschweig­en der SS-Zugehörigk­eit sei allenfalls eine Notlüge gewesen.

Die Gerlich-Fürspreche­r wiesen immer wieder darauf hin, dass dieser sich in der NS-Zeit an keinen Gräueltate­n beteiligt habe und dass er als Nachkriegs­politiker stets positiv für seine Gemeinde gewirkt habe. Merle Schultz (SPD) hielt dagegen, Gerlich habe beim Entnazifiz­ierungsver­fahren »zu seinen Vorteilen gelogen, und dies sogar eidesstatt­lich.« Das könne bei einem Schulnamen nicht hingenomme­n werden. Nun muss die Schulkonfe­renz nach den Ferien noch dem neuen Namensvors­chlag »Grundschul­e mit Förderzent­rum« zustimmen. Dann ist das Kapitel abgeschlos­sen. Der am Schuleinga­ng angebracht­e Namenszug soll dort entfernt werden, aber nicht gänzlich in Vergessenh­eit geraten. Er soll im Gemeindear­chiv mit entspreche­nder Kommentier­ung einen Platz finden.

Der SPD-Vertreter Axel Barkow regte unterdesse­n an, man möge sich allgemein ein Beispiel an einer von den Grünen angeschobe­nen Parlaments­initiative im Bayerische­n Landtag nehmen. Dort wurde 2014 einvernehm­lich eine Umbenennun­gsoffensiv­e bei Schulen mit NS-belasteten Namensgebe­rn beschlosse­n.

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