Spurensuche im Herzinfarkt-Land
Forscher wollen Phänomen in Sachsen-Anhalt aufklären – welche Rolle spielen Sozialfaktoren?
In der Statistik der Herzinfarkte liegt Sachsen-Anhalt bundesweit ganz hinten. Doch woran liegt das nur? Inzwischen gibt es erste Erklärungsansätze.
Viele Raucher, hohe Arbeitslosigkeit oder Ärztemangel: Seit Jahren suchen Experten nach den Ursachen für die ungewöhnlich hohe Zahl tödlicher Herzinfarkte in Sachsen-Anhalt. Ein vom Statistischen Landesamt in Magdeburg jetzt vorgelegter Sonderbericht zu Herzkrankheiten belegt einmal mehr Sachsen-Anhalts unrühmlichen Spitzenplatz. Landessozialminister Petra Grimm-Benne (SPD) spricht von »erschreckenden Zahlen«.
Zwischen Altmark und Zeitz wurde im Jahr 2014 jeder fünfte Sterbefall durch sogenannte ischämische, also durch mangelnde Durchblutung hervorgerufene Herzkrankheiten verursacht. 953 Frauen und 1329 Männer starben an einem Herzinfarkt.
Zwar verringerten sich damit seit dem Jahr 2000 die Herzinfarkt-Sterbefälle je 100 000 Einwohner in Sachsen-Anhalt immerhin um 16,5 Prozent. Im Bundesdurchschnitt gab es allerdings zeitgleich einen Rückgang um 30,5 Prozent. Damit liegt Sachsen-Anhalt bei der Infarktsterblichkeit nach wie vor um knapp 65 Prozent über dem Bundesdurchschnitt – und im Ländervergleich auf dem letzten Platz.
Gesundheitspolitiker und Forscher haben das ostdeutsche Bundesland deshalb schon seit längerem in den Fokus genommen. Seit drei Jahren wird in Sachsen-Anhalt ein Herzinfarktregister (Rhesa) aufgebaut, das anhand von Daten aus der Stadt Halle und der ländlichen Altmark den Ursachen der überdurchschnittlich hohen Sterblichkeit auf den Grund geht.
Mit »Medea« gibt es ein weiteres wissenschaftliches Projekt, das in der Region Magdeburg die genauen Umstände von Herzinfarkten wie Vorerkrankungen und das Wissen um Warnzeichen eines Infarkts untersucht.
Für Thomas Meinertz von der Deutschen Herzstiftung ist die über- durchschnittlich hohe Infarktsterblichkeit in Sachsen-Anhalt offenkundig »kein Zufall«. Die wichtigsten Risikofaktoren treten demnach dort gehäuft auf – neben Diabetes sind das Rauchen, Bluthochdruck, Übergewicht und ein zu hoher Cholesterinspiegel.
Die Häufung solcher Risikofaktoren führen Experten wiederum zum großen Teil auf ungünstige soziale Bedingungen zurück. Hohe Arbeitslosigkeit etwa und ein hoher Anteil von Schulabgängern ohne Abschluss seien in diesen Regionen stärker vertreten und spielten »für die Erklärung der überdurchschnittlichen Infarktsterblichkeit eine wichtige Rolle«, meint Andreas Stang, Mitautor des aktuellen Herzberichts.
Tatsächlich gehörte Sachsen-Anhalt schon 1992 und auch 20 Jahre später zu den Spitzenreitern beim Anteil an Schülern, die die Schule ohne Abschluss verlassen. Das Bundesland weist auch den geringsten Anteil von Erwachsenen auf, die Fach- oder Hochschulreife erlangt haben. Auch die Arbeitslosigkeit ist eine der höchsten bundesweit.
Nicht zuletzt könnten strukturelle Gründe mitverantwortlich sein. So zeigten erste Daten des Herzinfarkt- registers Rhesa, dass bis zur Alarmierung des Rettungsdienstes im Schnitt mehr als eine Stunde vergeht. Abwarten kann aber tödlich sein, weil der Infarkt lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen auslösen kann.
Zudem gehört Sachsen-Anhalt zu den Bundesländern mit der geringsten Versorgungsdichte bei Kardiolo- gen. Während etwa im Bundesdurchschnitt ein Kardiologe auf rund 24 500 Einwohner kommt, muss ein Herzspezialist in Sachsen-Anhalt im Schnitt 30 210 Patienten betreuen. Zum Vergleich: In Bremen ist die Versorgungsdichte mit einem Kardiologen auf rund 18 390 Einwohner am höchsten.
Mit Hilfe der Rhesa-Daten sollen gezielte Maßnahmen für eine bessere Patientenversorgung angeschoben werden. Dass heißt auch mehr Aufklärung und Prävention. Um die Sterblichkeit zu senken, müssten aber auch bislang unerkannte Erkrankungen früher entdeckt und behandelt werden – Bluthochdruck, Diabetes und Fettstoffwechselstörungen. Die Zahl der unentdeckten Hochdruckpatienten und Diabetiker geht Experten zufolge bundesweit »in die Millionen«. Vor allem in Regionen mit vielen Infarkttoten müssten die Menschen daher früh für Kontrolluntersuchungen sensibilisiert werden.
Im Bundesdurchschnitt kommt ein Kardiologe auf 24 500 Einwohner, in Sachsen-Anhalt sind es 30 210 Patienten.