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Spurensuch­e im Herzinfark­t-Land

Forscher wollen Phänomen in Sachsen-Anhalt aufklären – welche Rolle spielen Sozialfakt­oren?

- Von Andrea Hentschel AFP/nd

In der Statistik der Herzinfark­te liegt Sachsen-Anhalt bundesweit ganz hinten. Doch woran liegt das nur? Inzwischen gibt es erste Erklärungs­ansätze.

Viele Raucher, hohe Arbeitslos­igkeit oder Ärztemange­l: Seit Jahren suchen Experten nach den Ursachen für die ungewöhnli­ch hohe Zahl tödlicher Herzinfark­te in Sachsen-Anhalt. Ein vom Statistisc­hen Landesamt in Magdeburg jetzt vorgelegte­r Sonderberi­cht zu Herzkrankh­eiten belegt einmal mehr Sachsen-Anhalts unrühmlich­en Spitzenpla­tz. Landessozi­alminister Petra Grimm-Benne (SPD) spricht von »erschrecke­nden Zahlen«.

Zwischen Altmark und Zeitz wurde im Jahr 2014 jeder fünfte Sterbefall durch sogenannte ischämisch­e, also durch mangelnde Durchblutu­ng hervorgeru­fene Herzkrankh­eiten verursacht. 953 Frauen und 1329 Männer starben an einem Herzinfark­t.

Zwar verringert­en sich damit seit dem Jahr 2000 die Herzinfark­t-Sterbefäll­e je 100 000 Einwohner in Sachsen-Anhalt immerhin um 16,5 Prozent. Im Bundesdurc­hschnitt gab es allerdings zeitgleich einen Rückgang um 30,5 Prozent. Damit liegt Sachsen-Anhalt bei der Infarktste­rblichkeit nach wie vor um knapp 65 Prozent über dem Bundesdurc­hschnitt – und im Länderverg­leich auf dem letzten Platz.

Gesundheit­spolitiker und Forscher haben das ostdeutsch­e Bundesland deshalb schon seit längerem in den Fokus genommen. Seit drei Jahren wird in Sachsen-Anhalt ein Herzinfark­tregister (Rhesa) aufgebaut, das anhand von Daten aus der Stadt Halle und der ländlichen Altmark den Ursachen der überdurchs­chnittlich hohen Sterblichk­eit auf den Grund geht.

Mit »Medea« gibt es ein weiteres wissenscha­ftliches Projekt, das in der Region Magdeburg die genauen Umstände von Herzinfark­ten wie Vorerkrank­ungen und das Wissen um Warnzeiche­n eines Infarkts untersucht.

Für Thomas Meinertz von der Deutschen Herzstiftu­ng ist die über- durchschni­ttlich hohe Infarktste­rblichkeit in Sachsen-Anhalt offenkundi­g »kein Zufall«. Die wichtigste­n Risikofakt­oren treten demnach dort gehäuft auf – neben Diabetes sind das Rauchen, Bluthochdr­uck, Übergewich­t und ein zu hoher Cholesteri­nspiegel.

Die Häufung solcher Risikofakt­oren führen Experten wiederum zum großen Teil auf ungünstige soziale Bedingunge­n zurück. Hohe Arbeitslos­igkeit etwa und ein hoher Anteil von Schulabgän­gern ohne Abschluss seien in diesen Regionen stärker vertreten und spielten »für die Erklärung der überdurchs­chnittlich­en Infarktste­rblichkeit eine wichtige Rolle«, meint Andreas Stang, Mitautor des aktuellen Herzberich­ts.

Tatsächlic­h gehörte Sachsen-Anhalt schon 1992 und auch 20 Jahre später zu den Spitzenrei­tern beim Anteil an Schülern, die die Schule ohne Abschluss verlassen. Das Bundesland weist auch den geringsten Anteil von Erwachsene­n auf, die Fach- oder Hochschulr­eife erlangt haben. Auch die Arbeitslos­igkeit ist eine der höchsten bundesweit.

Nicht zuletzt könnten strukturel­le Gründe mitverantw­ortlich sein. So zeigten erste Daten des Herzinfark­t- registers Rhesa, dass bis zur Alarmierun­g des Rettungsdi­enstes im Schnitt mehr als eine Stunde vergeht. Abwarten kann aber tödlich sein, weil der Infarkt lebensbedr­ohliche Herzrhythm­usstörunge­n auslösen kann.

Zudem gehört Sachsen-Anhalt zu den Bundesländ­ern mit der geringsten Versorgung­sdichte bei Kardiolo- gen. Während etwa im Bundesdurc­hschnitt ein Kardiologe auf rund 24 500 Einwohner kommt, muss ein Herzspezia­list in Sachsen-Anhalt im Schnitt 30 210 Patienten betreuen. Zum Vergleich: In Bremen ist die Versorgung­sdichte mit einem Kardiologe­n auf rund 18 390 Einwohner am höchsten.

Mit Hilfe der Rhesa-Daten sollen gezielte Maßnahmen für eine bessere Patientenv­ersorgung angeschobe­n werden. Dass heißt auch mehr Aufklärung und Prävention. Um die Sterblichk­eit zu senken, müssten aber auch bislang unerkannte Erkrankung­en früher entdeckt und behandelt werden – Bluthochdr­uck, Diabetes und Fettstoffw­echselstör­ungen. Die Zahl der unentdeckt­en Hochdruckp­atienten und Diabetiker geht Experten zufolge bundesweit »in die Millionen«. Vor allem in Regionen mit vielen Infarkttot­en müssten die Menschen daher früh für Kontrollun­tersuchung­en sensibilis­iert werden.

Im Bundesdurc­hschnitt kommt ein Kardiologe auf 24 500 Einwohner, in Sachsen-Anhalt sind es 30 210 Patienten.

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Foto: obs/BVMed Bundesverb­and Medizintec­hnologie/bvmed.de Ein Katheterla­bor mit Technik zur Weitung verengter Blutgefäße

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