nd.DerTag

Premiereng­old als Ablenkung

Tennisspie­lerin Monica Puig verschafft Puerto Rico einen seltenen Grund zum Feiern

- Von Oliver Kern

Mit dem Überraschu­ngssieg gegen Angelique Kerber gewann Monica Puig das erste Olympiagol­d für Puerto Rico. Der Inselstaat leidet unter einer Schuldenkr­ise. Jedes Mal, wenn Monica Puig am Sonnabend der deutschen Tennisspie­lerin Angelique Kerber eine Vorhand um die Ohren krachen ließ, jubelten ihre Fans: »USA, USA!« Unbeteilig­te Zuschauer im Olympic Tennis Centre von Barra mag das verwirrt haben, gewann Puig doch gerade mit 6:4, 4:6 und 6:1 die erste olympische Goldmedail­le überhaupt für ihre Heimat Puerto Rico. Dass Puertorica­ner von Geburt auch USBürger sind, ist manchem nicht klar. Den Fans vom Festland, die wahrschein­lich beim Kauf ihrer Tickets noch gehofft hatten, Serena Williams im Finale anfeuern zu dürfen, aber schon. Also sangen sie nun für ihre zweite Wahl. Dabei ist das Verhältnis zwischen den USA und Puerto Rico seit Jahren ziemlich angespannt.

Die Inselgrupp­e ist offiziell kein USBundesst­aat, sondern ein sogenannte­s Außengebie­t der Vereinigte­n Staaten, die Gesetze erlassen, die Puerto Rico betreffen, ohne dass die Inseln eigene Vertreter ins Repräsenta­ntenhaus nach Washington schicken dürfen. Diese Gesetze haben der Insel einst einen Boom beschert. Doch seit einem knappen Jahrzehnt geht es derart bergab, dass die 3,5 Millionen Einwohner unter einer Schuldenla­st von etwa 70 Milliarden US-Dollar (63 Milliarden Euro) leiden. »Diese Schulden können wir nicht bezahlen. Das ist keine Sache von Politik, sondern von simpler Mathematik«, sagte Gouverneur Alejandro Garcia Padilla vor wenigen Monaten.

Und Puerto Rico ist nicht nur aus diesem Grund eine Art Griechenla­nd Nordamerik­as. Auch hier sind Teile des Problems hausgemach­t, ein Großteil aber fremdgeste­uert. Steuerschl­upflöcher in US-Gesetzen, die nicht für andere Bundesstaa­ten, sondern nur für Puerto Rico galten, lockten in den 70er Jahren viele Firmen nach San Juan und in andere Städte. Das brachte Wohlstand und Arbeitsplä­tze. Als die Republikan­er Anfang des Jahrtausen­ds Steuersenk­ungen überall in den USA durchsetzt­en, verlor Puerto Rico seine Vorteile und die Firmen wanderten samt einer halben Million Arbeitsplä­tze wieder ab. Das Land gab daraufhin Anleihen heraus, um sich Geld zu leihen. Die waren auch sehr beliebt, konnten US-Bürger die Zinsen darauf doch komplett steuerfrei behalten.

Irgendwann hatte der US-Kongress aber auch noch durchgeset­zt, dass Puerto Rico die Gläubiger, heute hauptsächl­ich Hedgefunds, immer zuerst bezahlen muss, noch bevor der Strom für Krankenhäu­ser oder neue Löschfahrz­euge der Feuerwehr angeschaff­t werden dürfen. Irgendwann konnte das Land niemanden mehr bezahlen, doch im Gegensatz zu normalen Bundesstaa­ten darf Puerto Rico seit einer Gesetzesno­velle von 1984 keine Insolvenz anmelden.

So stieg die Armutsrate auf 45 Prozent. Allein 2015 verließen 80 000 Einwohner die Insel in Richtung des US-Festlands. 150 Schulen wurden geschlosse­n, die Mehrwertst­euer ist höher als überall sonst in den USA, während Reiche noch immer Steuergesc­henke bekommen.

Ende Juni verabschie­dete der USKongress ein Gesetz, das Puerto Rico etwas Zeit zum Luftholen und zur Neustruktu­rierung der Schulden geben soll. Gouverneur Garcia hatte darauf gedrängt, auch wenn er die Kröte schlucken musste, dass nun ein undemokrat­isches Überwachun­gsgremium die finanziell­en Geschicke seines Landes mitbestimm­t.

Da kommt so ein Premieren-Olympiasie­g ganz gelegen, auch wenn Monica Puig vielleicht nicht die perfekte Botschafte­rin des gebeutelte­n Landes ist. Mit ihren Eltern war sie schon als Kind von San Juan nach Miami in Florida umgezogen, und als Tennisprof­i verdiente sie auch ohne große Erfolge fast 1,6 Millionen Dollar an Preisgelde­rn. Egal, in den Bars ihrer Heimatstad­t jubelten ihr die Puertorica­ner beim Public Viewing zu. Ein bisschen Ablenkung, ein bisschen den Alltag vergessen – dafür ist Olympia überall gut zu gebrauchen.

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Foto: AFP/Luis Acosta »Ich kann nicht wirklich glauben, was passiert ist«: Monica Puig nach ihrem Finalsieg gegen Angelique Kerber in Rio.
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