Erwachen in der Ruhe
Die Völklinger Hütte zeigt Exponate buddhistischer Kunst aus 2000 Jahren
In strahlender Ruhe sitzt er da, in sich gekehrt, die eine Hand gen Erde gerichtet, die andere offen für geistige Empfängnis: Gonkar Gyatsos Buddha (»Untamed Encounter«, zu deutsch: »Ungezähmte Begegnung«) von 2012. Beklebt ist die weiße Kunstharzstatue mit Tausenden von farbigen Werbestickern, die von »Ikea« bis »USA TODAY« reichen und vor allem die zweite untere Hälfte der Figur bedecken. Nur zum Kopf hin vereinzeln sich die Aufkleber auf der Fläche – als würde darin eine Bewegung vom materiellen zum immateriellen Sein stattfinden, ein Aufgehen im Ganzen des Kosmos’. Um diese Evolution verstehen zu können, muss der Betrachter jedoch die Oberfläche durchdringen, welche dieses Werk durch und durch ist. Es zeigt auf kluge Weise, dass Buddha im 21. Jahrhundert – als Schmuckaccessoire oder Gartendekor – zumindest in der westlichen Welt zu einer Lifestyleikone geriert ist.
Sind also Reinkarnation, Wandlung, Geistesruhe und Besinnung also alles nur Worte eines leeren Kults? Dass die Völklinger Hütte ihre Ausstellung »Buddha. Sammler öffnen ihre Schatzkammern – 232 Meisterwerke buddhistischer Kunst aus 2000 Jahren« eben mit jener spätmodernen Arbeit beginnt, mag man als ironische Einstimmung lesen. Denn welche langen Traditionslinien und fein verwobenen Symbolstrukturen sich dahinter wirklich auftun, lässt sich beim Besuch dieser Exposition von Weltrang eindrucksvoll studieren.
Beginnend im indischen Kulturraum, wo die Religion ihren Ursprung fand, zeugt das Panorama mit Werken aus weiteren asiatischen Traditionslinien, etwa aus Südost- und Ostasien oder Tibet, von Kontinuitä- ten und immer konzentrierter werdenden Differenzierungen: Sei es der »Nachdenkliche Avolokiteshvara«, einem beeindruckenden Bronzemachwerk aus der chinesischen Yuan-Dynastie (16. Jahrhundert), die archaisch anmutende Stele »Buddha und zwei Bodhisattvas« (indischer Raum, 9.-10. Jahrhundert) oder der indonesische »Vajrasattva« (8. Jahrhundert) – gemein scheinen den Figuren zahlreiche Attribute: Ihre meditative Versenkung, ihre Posen, die sich unter anderem in Schutz-, Gewährungs- und Lehrgesten klassifizieren lassen, ihr Insich-gekehrt-Sein, ihr fester Sitz mit überkreuzten Beinen, welche die gegensätzlichen Elemente des Lebens ineinander verschränken. Hinzu kommen stets wiederkehrende Symbole wie die Lotosblume, die das Universum und die Schöpfung verkörpernde Kobraschlange oder, wie beispielsweise die Skulptur »Zehnköpfige tantrisch-buddhistische Gottheit« (Nepal, 16.-17. Jahrhundert) veranschaulicht, das Zorneshaupt auf der Spitze einer Reihe übereinander liegender Köpfe.
Repräsentiert Letzteres im positiven Sinne die Stärke und Energie, Widerstände auf dem Weg zahlreicher Wandlungen zu meistern, wohnt den buddhistischen Kunstwerken zugleich immer auch der Wesenszug der Akzeptanz inne. Ziel ist die Annahme der Existenz, die Schwerelosigkeit, die Möglichkeit zur Transzendenz, zum Loslassen und zum Entzug. Kraft und Gegenkraft stehen in einem dialektischen Wechselspiel zueinander, weswegen nicht wenige Figuren mit der typisch statischen Pose brechen und stattdessen Buddhas in geradezu akrobatischen Haltungen zeigen. Spannungsvoll mutet der nepalesische »Vajravārāhī« aus dem 13. Jahrhundert an. Mit Hackmesser und einer mit Blut gefüllten Schädelschale tanzt die Gottheit auf einem wohlmöglich die Unwissenheit darstellenden Menschen.
Solcherlei Artefakte offenbar jenseits der Kontinuitäten die feinen Eigenarten der jeweiligen Kulturräume. So wäre es wohl in der indischen Frühphase unvorstellbar gewesen, derart eindeutig sexuelle Vereinigungsszenen in einer Statue auszudrücken, wie sie konträr dazu in der ti-
Es zeigt auf kluge Weise, dass Buddha im 21. Jahrhundert – als Schmuckaccessoire oder Gartendekor – zumindest in der westlichen Welt zu einer Lifestyleikone geriert ist.
betischen Glaubenskunst vorzufinden sind. Voller Leidenschaft sind das weibliche und das männliche Prinzip in der vergoldeten Bronzeskulptur »Cakrasamvara und Vajravārāhī« (14.15. Jahrhundert) in sich verschränkt, tantrisch, feurig und hingebungsvoll.
Kein Zweifel: Was der Besucher derzeit in der Weltkulturerbestätte in Völklingen aufzufinden vermag, muss man als einen auratischen Schatz bezeichnen. Doch was nützt all der visuelle Reichtum, wenn sich der Horizont dahinter nur schwer erschließt. Zwar vermag der prächtige Katalog in einigen Einführungstexten zu manchen uns nur allzu fremden Symbolwelten aufklärende Hinweise zu geben, gleichwohl sind die meisten Erklärungen zu den Einzelexponaten sowohl darin als auch in der Ausstellung selbst eher beschreibend und in Teilen gar aussageschwach. Sicher, man kann eine Religion und ihre Bild- sprache nicht in fünf konsumierbare Lehrsätze verpacken. Doch wer sich vornimmt, uns das Fremde in all seinen Facetten zu zeigen, sollte sich auch vornehmen, uns darin einzuführen, uns an die Hand zu nehmen. Ohne Hinführung und Kontextualisierung sind die Exponate eben Kunstwerke und keine Kunstwerke des Glaubens. Vital werden sie aber erst durch ihre Bedeutungsebenen und Botschaften, die zu übersehen völlig am Sinn und Zweck sakraler Artefakte vorbeigeht.
Noch wichtiger erscheint unser heutiges Verhältnis zum Buddhismus. Hierzu ließe sich vieles sagen und beklagen, durchaus. Man vergegenwärtige sich nur, dass er hierzulande noch immer nicht als Religion akzeptiert wird. Möglicherweise weil er eben keinem missionarischen Eifer entspringt und auf die individuelle Entwicklung jedes Einzelnen zum mitfühlenden Wesen abzielt. Statt eine leidvolle Kulturkritik anzustimmen, lassen die Kuratoren unter der Gesamtleitung von Meinrad Maria Grewenig überzeugenderweise Aufnahmen des berühmten Fotografen Steve McCurry für sich sprechen. In ihnen treten Wahrhaftigkeit und Blickschärfe zutage: Wir sehen betende Mönche am Goldenen Felsen oder beim Studium oder schauen auf eine erhabene Landschaft, in der sich frei wehende Gebetsfahnen zeigen – eine sensible Wahrnehmung für eine so stille wie friedvolle Philosophie des Denkens und Fühlens. Im kleinen Saarland wird somit ein Hauch von Reinkarnation spürbar. Sich selbst dürfte man nach dieser Ausstellung nicht neu gefunden haben, vielleicht aber ein unverstelltes Bild vom Fremden.