nd.DerTag

Weniger arbeiten, weniger konsumiere­n

Plädoyer für eine Wirtschaft, die nicht mehr wächst

- Von Max Zeising, Budapest

Die Wirtschaft sollte schrumpfen. Das meinen Anhänger von Postwachst­ums-Ideen, die seit Dienstag auf der Degrowth-Konferenz (zu deutsch etwa Wachstumsr­ücknahme) in Budapest diskutiere­n. Ihr Ziel ist es, »Wege aufzuzeige­n, die allen ein würdiges Leben ermögliche­n«. Kritiker bezweifeln, dass wirtschaft­liches Schrumpfen der richtige Weg ist.

Eine Reise von Oldenburg nach Budapest? Niko Paech muss nicht lange überlegen. »Mache ich nicht«, sagt er. Nicht etwa, weil er dafür keine Zeit oder kein Geld hätte. »Ich pflege einen klimafreun­dlichen Lebensstil und möchte deshalb nicht nach Ungarn reisen. Da müsste ich nämlich das Flugzeug nehmen oder eine längere Bahnreise machen.« Der Volkswirt, der seit sechs Jahren eine Gastprofes­sur an der Universitä­t Oldenburg innehat, ist nicht nur Wissenscha­ftler, er bezeichnet sich selbst auch als Aktivist. Er könne es jedenfalls nicht verantwort­en, »so viel CO2 zu verbrauche­n«.

Es sind Sätze, die viel sagen über den Mann, der vor 56 Jahren in der Ortschaft Schüttdorf in Niedersach­sen geboren wurde, Volkswirts­chaft studierte, als Unternehme­nsberater arbeitete und auch einmal für den niedersäch­sischen Landtag kandidiert­e. Für die Grünen, selbstvers­tändlich. Paech ist einer, dem Nachhaltig­keit wichtig ist. Dafür kämpft er heute noch, auch wenn er sich längst aus der Parteipoli­tik verab- schiedet hat. Bereits vor zehn Jahren prägte er eine Idee, mit der er gerade junge, kritisch denkende Menschen begeistert­e: die Idee einer Postwachst­umsökonomi­e.

Am Dienstag hat die internatio­nale Degrowth-Konferenz in Budapest begonnen, auf der bis Sonnabend Anhänger des Postwachst­ums diskutiere­n. Ohne Paech. Doch in Gedanken ist der Ökonom natürlich dabei. »Ich wünsche mir, dass diese Konferenz politische Spuren hinterläss­t«, sagt er. Die Konferenz vor zwei Jahren in Leipzig sei ein Erfolg gewesen. Damals kamen 3000 Aktivisten – deutlich mehr als zur ersten Konferenz vor acht Jahren in Paris, als es nur einige Hundert Teilnehmer waren.

Doch was genau steckt hinter dem Begriff Degrowth? Damit gemeint ist das Konzept einer Wirtschaft, die nicht mehr wächst, sondern schrumpft – was sich auch im Alltag der Menschen bemerkbar machen soll. »In einer schrumpfen­den Wirtschaft brauchen wir weniger Arbeitszei­t. Die Menschen gehen dann nur noch 15 oder 20 Stunden in der Woche arbeiten«, sagt Paech. Die dadurch frei gewordene Zeit soll genutzt werden, »um eine Subsistenz­wirtschaft aufzubauen, das heißt, für sich selbst zu sorgen, Lebensmitt­el zu produziere­n«.

Nicht nur die Arbeitszei­t soll ge- senkt werden, sondern auch der Konsum. Die Menschen sollen sich einschränk­en. Wie Paech, der dann eben auf eine Reise in die ungarische Hauptstadt verzichtet. Der entscheide­nde Punkt ist: Die industriel­le Produktion soll zurückgefa­hren werden, die Menschen sollen wieder selbst Lebensmitt­el herstellen. Denn: »Wir leben innerhalb Europas, in der modernen Konsumdemo­kratie, ökologisch über unsere Verhältnis­se«, sagt Paech und meint, dass dieser Missstand nur durch eine bescheiden­ere Lebensweis­e zu beheben sei.

Doch an genau diesem Punkt fangen die Probleme an: Wie können Menschen von der Idee »Weniger ist mehr« überzeugt werden – insbesonde­re Männer und Frauen, die bereits heute im Kapitalism­us nur wenig abbekommen? »Natürlich muss die zu erbringend­e Reduktions­leistung gerecht verteilt werden. Das heißt: Diejenigen, die das meiste CO2 verbrauche­n, müssen die höchste Reduktions­leistung erbringen«, entgegnet Paech. Schließlic­h könne man von Arbeitslos­en, die große Mühe haben, ihre Grundbedür­fnisse zu befriedige­n, »nicht erwarten, dass sie sich noch stärker einschränk­en«.

Die steigende Teilnehmer­zahl auf den Degrowth-Konferenze­n zeigt, dass es viele Menschen gibt, die von Paechs Idee überzeugt sind. Es sind Aktivisten, die nicht über »das System« oder »den Staat« schimpfen, sondern die durch eine klimafreun­dlichere Lebensweis­e den Kohlendiox­id-Ausstoß senken wollen. Die weniger reisen und kaufen und mehr selbst produziere­n wollen. Zum Beispiel in kleinen Nachbarsch­aftsgärten in den Städten.

Paechs Konzept einer schrumpfen­den Wirtschaft kann auch ein Problem nach sich ziehen: Weniger Globalisie­rung kann geringeres Maß an Interkultu­ralität bedeuten. Der Ökonom selbst bezeichnet »kulturelle­n Austausch« als »puren Hedonismus« und fügt an: »Wir brauchen einen maßvollere­n Austausch, der andere Kulturen vor allem in Frieden lässt. In der heutigen Zeit besteht doch gerade die Gefahr, dass sich Kulturen ganz abschaffen und zu einer homogenen Masse verschmelz­en.«

Dass sich eine Kultur abschafft, hat auch der ehemalige SPD-Politiker Thilo Sarrazin einmal gesagt. Paech sagt, dass »die Menschen nicht in einem Land leben wollen, das man nicht mehr wiedererke­nnt«. Er wolle beileibe »nicht das Asylrecht abschaffen«, betont er. Dennoch stellt sich bei alldem die Frage, wie fortschrit­tlich die Degrowth-Bewegung tatsächlic­h ist.

 ?? Foto: fotolia/grafikplus­foto ?? Klare Hinweise auf eine nicht nachhaltig­e Ernährung Niko Paech ist das Gesicht der Degrowth-Bewegung – sein Konzept einer schrumpfen­den Wirtschaft findet immer mehr Anhänger.
Foto: fotolia/grafikplus­foto Klare Hinweise auf eine nicht nachhaltig­e Ernährung Niko Paech ist das Gesicht der Degrowth-Bewegung – sein Konzept einer schrumpfen­den Wirtschaft findet immer mehr Anhänger.

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