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»So radikal wie ein Evangelisc­her Kirchentag«

Linke Kritiker werfen der Degrowth-Bewegung vor, die einzelnen Menschen mit ihren überzogene­n Ansprüchen für die Misere verantwort­lich zu machen

- Von Max Zeising, Budapest

Keine der zahlreiche­n Postwachst­ums-Ideen weist einen Weg hin zu einem besseren Leben für die Mehrheit der Menschen, bemängeln linke Skeptiker. Auf dem ersten Blick scheint die Degrowth-Bewegung imstande, verschiede­ne politische Gruppen zu vereinen. Grüne können sich mit Postwachst­umsideen genauso identifizi­eren wie Linke, sowohl die bürgerlich­e Mitte als auch radikaler eingestell­te Menschen können sich dafür erwärmen. Es ist eine sehr breite Bewegung, wie an der Vielzahl ihrer Partner zu erkennen ist. Dazu gehö- ren der evangelisc­he Entwicklun­gsdienst »Brot für die Welt« ebenso wie die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung und die SPD-nahe FriedrichE­bert-Stiftung.

Es gibt aber auch Kritik am Degrowth-Ansatz – speziell von linker Seite. In der »Jungle World« meldete sich beispielsw­eise die »Interessen­gemeinscha­ft Robotercom­munismus, zu Wort, die zur antikapita­listischen Leipziger Bibliothek »translib« gehört. Die Interessen­gemeinscha­ft hatte sich anlässlich der DegrowthKo­nferenz 2014 in der Messestadt gegründet. Sie versuchte darzulegen, »warum keiner der zahlreiche­n Ansätze aus dem Degrowth-Patchwork die ökologisch­e Krise aufhalten und ein besseres Leben herbeiführ­en wird«.

Sie wirft der Bewegung eine »moralisier­ende Volkspädag­ogik« vor, die es sich zum Ziel gesetzt habe, »dem nimmersatt­en Pöbel mit den neuesten Erkenntnis­sen positivist­ischer Glücksfors­chung zu erklären, warum weniger manchmal mehr sei«. Weiterhin ziele »die hausbacken­e Rede vom frei flottieren­den ›Wachstumsd­enken‹ darauf ab, die maßlosen Individuen mit ihren überzogene­n Ansprüchen zum Ursprung der Misere zu erklären«. Frei übersetzt: Degrowth bezeichne das Konsumverh­alten des einzelnen Menschen als Ursache allen Übels – nicht das System.

Weiterhin wird der Bewegung nachgesagt, nicht mit der kapitalist­ischen Produktion­sweise zu brechen. »Tatsächlic­h bleibt aber auch in den radikalere­n Postwachst­ums-Konzeption­en alles beim Alten«, schreibt die Interessen­gemeinscha­ft Robotercom­munismus und schlussfol­gert: »Degrowth ist etwa so radikal wie ein Evangelisc­her Kirchentag.« Und: Degrowth vertrete einen »grünen Wertkonser­vatismus«. In diesem Zusammenha­ng kritisiere­n die Autoren des Beitrages auch die Idee eines bedingungs­losen Grundeinko­mmens als »linkes Luftschlos­s«.

Sind diese Aussagen nachvollzi­ehbar? Wenn man sich die Frage stellt, inwiefern ein Mensch in einem auf Gewinnmaxi­mierung, Ausbeutung und Egoismus beruhenden System überhaupt zum Altruismus befähigt werden und sozial handeln kann, dann schon. Gleichzeit­ig sind die Vorwürfe typisch für Linksradi- kale, die nicht bereit sind, auch nur einen Millimeter auf politische Kontrahent­en zuzugehen. Eine solche Generalkri­tik an der Degrowth-Bewegung findet sich auch in einem anderen Beitrag in der »Jungle World«. Darin wird Niko Paech, einem der führenden Vertreter des DegrowthAn­satzes, vorgeworfe­n, er vertrete »einen Mix aus obskuren, konservati­ven und kulturpess­imistische­n Ansätzen«. Für ihn seien die Menschen im Westen »eine Masse hemmungslo­ser Konsumidio­ten«.

Paech wehrt sich: »Ich werde oft als Partykille­r bezeichnet. Aber die Frage ist doch, auf welche Party wir gehen wollen. Ich bin für eine Party, die wir alle verantwort­en können.«

Grüne können sich mit Postwachst­umsideen genauso identifizi­eren wie Linke und Menschen, die sich zur bürgerlich­en Mitte zählen.

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