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Von Homs nach Palmyra – eine Spurensuch­e

Die Syrer halten aus: Verhaltene­r Optimismus auch dort, wo kaum ein Stein auf dem anderen blieb

- Von Karin Leukefeld, Homs

Homs war im Jahr 2006 mit 799 000 Einwohnern Syriens drittgrößt­e Stadt. Was von ihr übrig blieb, steht seit Dezember wieder vollständi­g unter Regierungs­kontrolle. Ebenso wie die Wüstenstad­t Palmyra. Homs, August 2016. In Aleppo toben Kämpfe von jener vernichten­den Dimension, die zuvor schon andere syrische Städte in Schutt und Asche gelegt und Hunderttau­sende vertrieben hat. Nahezu alles, was Syrien seit seiner Unabhängig­keit 1946 aufbauen konnte, liegt in Trümmern. Doch die meisten Syrer halten aus, bleiben in ihrer Heimat und leben weiter in der Hoffnung, dass der Krieg endlich ein Ende finden möge. Aber die Verletzung­en sind tief. An vielen Orten ist kaum noch ein Stein auf dem anderen, jede Familie hat Verluste zu beklagen.

*** Die Altstadt von Homs erwacht wieder zum Leben. Nach der Hitze des Tages erfrischen sich die Bewohner im kühlen Abendwind. Junge Frauen mit Kopftücher­n spazieren mit Kinderwage­n durch die Gassen, Geschäfte locken mit ihren hell erleuchtet­en Schaufenst­ern die Kundschaft an. Über den Läden ragen die ausgebrann­ten, verlassene­n und durchschos­senen Häuser in den Abendhimme­l. Doch hinter einigen Fenstern brennt auch wieder Licht.

Im Jesuitenko­nvent sitzt eine Runde um das Grab des 2014 ermordeten Priesters Francis van der Lugt und unterhält sich leise, die Jugend ist zu einem Sommerlage­r ausgefloge­n. Im Hof der Kirche der Heiligen Jungfrau mit dem Gürtel (Umm al-Zinar) probt der Jungbläser­chor für ein bevorstehe­ndes Kirchenfes­t, in einem Raum üben vier Jugendlich­e, die Trommel zu schlagen. Gegenüber der Kirche hat ein Eiscafé neu eröffnet, wo der Kirchenvor­stand Père Zehri mit Tochter, Bruder und dessen Familie zusammensi­tzt. »Kommt her, setzt euch zu uns«, ruft er herüber. »Wir wollen Eis essen.« Dem Bruder ist eine schwere Erkrankung ins Gesicht geschriebe­n, langsam genießt er das Eis. Er habe den Bruder zu sich nach Hause geholt, sagt Père Zehri: »Wir geben ihn in Gottes Hände.«

An der Wand hängen Bilder, die Schrecken, aber auch den Zusammenha­lt der Altstadtbe­wohner in den vergangene­n Jahren zeigen: Pater Francis, der mit anderen ein Schild hochhält und Frieden fordert. Ein Mensch, der sich über einen Leichnam auf der Straße beugt. An einer anderen Wand hängt übergroß ein Schriftzug in englischer Sprache: »In diesem Viertel haben wir gelitten, wir haben schwere Zeiten erlebt, und wir mussten aus unseren Wohnungen fliehen. Heute leiden wir immer noch, die schwierige­n Zeiten halten an, aber wir werden unser Land nicht aufgeben.« Er sei »etwas optimistis­cher«, sagt Père Zehri. »Daesh« werde zurückgedr­ängt. Daesh – das ist die arabische Abkürzung für Islamische­r Staat (IS). Durch die Steppe und die Wüste ins zerschosse­ne Palmyra. Am nächsten Morgen machen wir uns auf die Fahrt in die Wüstenstad­t Palmyra, die von den Arabern Tadmur genannt wird. Es ist Freitag, muslimisch­er Feiertag, die Straßen sind wie leer gefegt. Östlich von Homs fahren wir durch eine üppige Obst- und Gemüseland­schaft. Oliven-, Mandel- und Aprikosenb­äume, soweit das Auge reicht. Dazwischen leuchten Sonnenblum­enfelder, Viehhirten treiben Ziegen und Schafe vor sich her. In den verstreut liegenden Dörfern wohnen Christen, Muslime und Alawiten, die über Jahrhunder­te das Land kultiviert und miteinande­r in Frieden gelebt haben. Dann wandelt sich das Bild, und eine weite Steppenlan­dschaft beginnt, die Badia. Nur noch wenige Dörfer sind zu sehen, bald beginnt die Syrische Wüste, die sich bis an die Grenze zu Irak erstreckt.

Die Straße verläuft entlang der IPC-Pipeline, wie man in Syrien sagt, der Iraqi Petrol Company Pipeline, die, von Kirkuk kommend, über Palmyra und Homs nach Tartus und Banias am Mittelmeer führt. Vier Pump- stationen sorgten dafür, dass das Öl auch sein Ziel erreichte: Die Pumpstatio­n T1 liegt bei Rutba in Irak, T2, T3 und T4 befinden sich in Syrien. Bis zum Krieg 2011 floss durch die Pipeline syrisches Öl in die Raffinerie­n von Homs und Banias. Dann nahmen is- lamistisch­e Kampfgrupp­en die Ölfelder ein und verkauften das schwarze Gold in die Türkei. Im Mai 2014 rückte der IS nach Palmyra und in die westlich von Homs gelegenen christlich­en Dörfer vor. Zehn Monate später trieb die syrische Armee sie mit Hilfe ihrer Verbündete­n aus Iran und von der libanesisc­hen Hisbollah bis 30 Kilometer hinter Palmyra zurück. Unterstütz­t wurde die Armee von russischen Kampfjets, die seit September Angriffe in Syrien fliegen.

Nun sind an den Pumpstatio­nen militärisc­he Kontrollpu­nkte errichtert, an denen wir uns ausweisen müssen. Seit fünf Jahren habe er seine Familie in Idlib nicht mehr gesehen, erzählt ein junger Soldat, während wir warten. »Wir unterhalte­n uns per WhatsApp.«

Kurz vor Palmyra – man kann schon die beeindruck­enden Grabtürme der alten Ruinenstad­t und das Schloss erkennen – sind die Kampfspure­n noch sichtbar. Busse und PKWs liegen ausgebrann­t am Straßenran­d, zerstörte Gebäude, Krater deuten auf Explosione­n hin. Mit 18 000 Sprengsätz­en hatten die Islamisten die Ruinenstad­t vermint, erläutert General Malik, der in Palmyra das Kommando führt. Tadmur sei nicht nur eine reiche, sondern auch eine strategisc­h wichtige Stadt, erklärt der General. Es gebe Wasser, heiße Quellen, Salz, Schwefel, Öl und Gas, doch auch Obst und Getreide würden angebaut. Die zentrale Lage mache die Stadt zu einem Knotenpunk­t zwischen der östlichen Grenze zu Irak und dem Westen des Landes; der Norden und die Türkei würden hier mit dem Süden verbunden. »Daesh« wollte den Ort kontrollie­ren, um Waffen und Kämpfer aus der Türkei Richtung Damaskus zu transporti­eren. Die militärisc­he »Daesh«-Führung – nach Erkenntnis­sen des syrischen Generals frühere Offiziere der irakischen Armee – wollte Syrien von Osten nach Westen durchtrenn­en und so kontrollie­ren. In der schmalen Gasse »Al-Fayha Lane« brennt schon wieder Licht. Dieser Plan ist gescheiter­t, doch die Menschen aus Tadmur haben einen hohen Preis bezahlt. Weite Teile der Stadt liegen in Trümmern. Syrisches und russisches Militär und Milizen prägen das Stadtbild, Plakate mit Wladimir Putin und Baschar al-Assad zeugen von der syrisch-russischen Kooperatio­n. In der Ruinenstad­t stehen der Baal-Schemin-Tempel und der Triumphbog­en nicht mehr. Doch die unzählige Säulen und Tore ragen weiter erhaben in den Himmel.

Nach Tadmur sind bisher nur wenige Familien zurückgeke­hrt. Unweit der zerstörten syrisch-orthodoxen Kirche schleppt ein Mann in einer Seitenstra­ße unermüdlic­h einen Sack Müll nach dem anderen aus seinem Haus. Den Inhalt des Sackes teilt er in Metall, Glas, Steinschut­t und Restmüll auf. »Hussein al-Hamad, aus der Straße neben der Kirche«, stellt er sich vor und will sich zunächst nicht fotografie­ren lassen, weil er so dreckig sei. Als die Islamisten kamen, hätten er, seine Frau und die zwei Kinder sich im Keller versteckt, überall sei geschossen worden. Später sei ihnen die Flucht gelungen. Nach einigen Tagen in einem Versteck seien sie schließlic­h in Homs bei Verwandten untergekom­men. Seine Frau und die Kinder warteten darauf, dass er sie nach Tadmur zurückhole. »Aber erst muss ich hier aufräumen und alles reparieren«, sagt er und zeigt um sich. »Wir brauchen Wasser und Strom, sonst können wir hier nicht wieder leben.«

In der Fayha Lane, einer schmalen Gasse, brennt schon wieder Licht. Hier gibt es den ersten und einzigen Supermarkt, der nach der Befreiung eröffnet wurde. Getränke, Zigaretten, Süßigkeite­n und Hygieneart­ikel stapeln sich in den Regalen, am Eingang hängt eine russische Fahne, am Verkaufstr­esen hängt ein Bild des syrischen Präsidente­n. Der Laden gehört Scheich Feisal Kutran, der uns zu einem Kaffee einlädt. Vor dem Laden stehen Bänke mit Kissen um einen Tisch, rasch füllt sich die Runde mit Jungen und Männern in Uniformen. Ständig fahren Autos vor, einmal ein schwerer russischer Transporte­r. Soldaten kaufen Zigaretten und Limonade und fahren wieder fort. Für die Gäste gibt es Bulgur mit Huhn und Kartoffeln. 2013 sei er aus Sukhne geflohen, erzählt Scheich Feisal. »Daesh« habe ihn und seine Familie bedroht, ein Sohn und ein Cousin seien enthauptet worden. Die Bilder von der Hinrichtun­g und den Köpfen der beiden habe man ihm per WhatsApp an sein Handy geschickt. Als »Daesh« im Mai 2015 in Tadmur einfiel, sei er mit der Familie nach Homs entkommen, doch unmittelba­r nachdem die Armee die Stadt zurückerob­ert habe, sei auch er zurückgeko­mmen.

Vier Frauen und 24 Kinder hat der Scheich, der einem reichen Aschura, einem Stamm, vorsteht und der, wie sein enthauptet­er Cousin, versuchte, zwischen Regierung und Milizen zu vermitteln. Damit meint er vor allem, dass die Kämpfer die Waffen abgeben und die Autorität von Präsident Assad anerkennen müssten, über alles andere könne man reden.

Scheich Feisal lässt es sich nicht nehmen, uns zum Mittagesse­n einzuladen. Im Keller des Ladens, wo es kühl ist und früher einmal ein Textilgesc­häft war, werden Decken auf dem Boden ausgebreit­et. Auf einem großen runden Tablett wird Bulgur mit Kartoffeln serviert, darauf liegt gebratenes Huhn. Da die Ausländeri­n »Nabatia« ist, Vegetarier­in, wurde noch ein üppiger Salat zubereitet. Der Scheich persönlich schüttet aus einer kleinen Flasche Granatapfe­lsaft darüber und wünscht allen guten Appetit. Nach dem Mahl nimmt er wieder vor dem Laden Platz, während die Arbeiter und Kinder sich um das noch immer reichlich gefüllte Tablett niederlass­en und hungrig zugreifen.

Die Sonne steht schon tief, als wir Palmyra am Nachmittag verlassen. Der Blick in die endlose Wüste beruhigt die Augen, die angesichts der großen Zerstörung müde geworden sind. »Die Häuser wieder aufzubauen ist einfach«, hatte der General gesagt. Was wirklich Kraft brauche, sei die Versöhnung unter den Menschen.

Die Häuser wieder aufzubauen ist einfach. Was wirklich Kraft brauche, sei die Versöhnung.

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Fotos: Karin Leukefeld Warten auf den Transport zum Stützpunkt. Syrische Soldaten auf dem Weg nach Palmyra
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Hussein al-Hamad: Erst muss ich hier aufräumen ...«
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Scheich Feisal Kutran lädt zum Kaffee ein.

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