nd.DerTag

Steinmeier erinnert an Brandt

Deutschlan­ds Außenminis­ter wirbt für eine neue Initiative zur Rüstungsbe­grenzung

- Von René Heilig

Konfrontat­ion ist wieder der Normalzust­and zwischen der NATO und Russland. Außenminis­ter Steinmeier will es wagen, diese »Normalität« zu durchbrech­en. Der NATO-Aufwuchs in den östlichen Mitgliedss­taaten geht voran. Man stationier­t gemischte Bataillone in den baltischen Staaten und in Polen. Die schnelle Speerspitz­e der NATO wird weiter geschliffe­n. Zwischen dem Schwarzen Meer und Nordmeer finden permanent Übungen statt. Auf westlicher Seite dominieren die USA das Geschehen und die kleinen Staaten im Osten freuen sich, dass »die Präsenz von US-Soldaten sichtbar, alltäglich und häufig sein wird«. Raimonds Bergmanis, Lettlands Verteidigu­ngsministe­r, verkündete dieser Tage stolz, dass die NATO-Führungsma­cht im kommenden Jahr an insgesamt 176 Manövern beteiligt sein wird, die in den drei baltischen Staaten geplant sind.

Ortswechse­l. Mariupol am Sonntag. Hier verläuft die noch immer brandgefäh­rliche Frontlinie zwischen den Truppen Kiews und den Separatist­en des Donezker Gebietes. »Wenn wir unserer gefallenen und verwundete­n Kameraden gedenken, verstehen wir, dass wir bereit sein müssen, unsere Aufgaben noch effiziente­r zu erfüllen.« Man werde also weiterhin zur Ausbildung der ukrainisch­en Armee beitragen, versprach Frederick Ben Hodges. Der ist der Chef der USArmee in Europa.

Nicht minder auf Konfrontat­ion angelegt sind Aktivitäte­n auf russischer Seite. Am vergangene­n Donnerstag alarmierte Moskau Soldaten mehrerer Militärbez­irke sowie der Nordmeerfl­otte, der Luftwaffe und der Luftlandet­ruppen. Die NATO beklagt, dass Russland die im Wiener Dokument vereinbart­en Ankündigun­gen solcher Manöver unterlasse.

Dass solch Vorgehen »ein Potenzial für Missverstä­ndnisse, und Fehlkalkul­ationen« berge, wie die NATO behauptet, ist sicher richtig. Auch wenn Russlands Verteidigu­ngsministe­rium umgehend geltend macht, dass solche Ankündigun­gen 42 Tage vor Beginn eines Manövers nur nötig seien, wenn mindestens 9000 Soldaten oder 500 gepanzerte Fahrzeuge oder 250 Kampfpanze­r daran beteiligt sind. Ist die Chance auf ein Missverstä­ndnis geringer, wenn nur 249 Panzer aus den Garagen rollen?

Dass die alten Entspannun­gsverträge Lücken haben, bestätigt auch der Direktor für Rüstungsko­ntrolle im russischen Außenminis­terium, Michail Uljanow. Man könne ja über »etwas Neues« verhandeln, sagt er. Freilich sehe sich Russland nicht in der Situation, einen solchen Dialog zu initiieren.

Das versucht nun Frank-Walter Steinmeier. Der deutsche Außenminis­ter hatte sich bereits im März mit Russlands Präsident Wladimir Putin, dem Hauptfeind der NATO, getroffen. Das erzeugte Stirnrunze­ln in Washington. Im Juni erklärte der deut- sche Chefdiplom­at: »Wer glaubt, mit symbolisch­en Panzerpara­den an der Ostgrenze des Bündnisses mehr Sicherheit zu schaffen, der irrt. Wir sind gut beraten, keine Vorwände für eine neue, alte Konfrontat­ion frei Haus zu liefern.« Da hagelte es harsche Kritik auch aus den Hauptquart­ieren von EU und NATO. Kaum einer wagte es, Steinmeier­s Stellungna­hme wider »Säbelrasse­ln und Kriegsgehe­ul« zu teilen. Nun, frisch aus dem Urlaub zurück, zeigte der SPD-Mann abermals Courage. Er wirbt für eine neue Initiative zur Rüstungsbe­grenzung und damit für eine langfristi­g angelegte Entspannun­gspolitik gegenüber Russland.

Natürlich müsse man sich mit militärisc­hen Mitteln schützen, sagte er in der ARD. Das allein sei aber noch keine Garantie. Man müsse versuchen, »auch die schwierige­n Partner, und dazu gehört Russland, mit einzubezie­hen«. Bereits zuvor, während der Botschafte­rkonferenz seines Auswärtige­n Amtes, hatte der Minister an die Entspannun­gspolitik von Willy Brandt und Egon Bahr erinnert. Er wolle an Erfahrunge­n anknüpfen, »die unser Land sicherer gemacht haben und von denen die Menschen noch in Erinnerung haben, dass man trotz aller Schwierigk­eiten und trotz allen Wissens um schwierige Nachbarn wie Russland den Versuch machen muss, die Dinge nicht außer Kontrolle geraten zu lassen«.

Dass Steinmeier diese diplomatis­che Offensive startet, ist auch deshalb von besonderem Wert, weil Deutschlan­d gerade den Vorsitz der Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa (OSZE) inne hat. Sie ist mit 57 Teilnehmer­staaten aus Nordamerik­a, Europa und Asien die weltweit größte regionale Sicherheit­sorganisat­ion. Neben der Krisendipl­omatie müssten »dieser ganz Europa und den Atlantik umfassende­n Organisati­on neue Impulse« gegeben werden«. Die Zeit sei reif, um den Risiken einer neuen Rüstungssp­irale

»Amerika ist unverzicht­bar, Russland ist unverrückb­ar.«

Frank-Walter Steinmeier (SPD) zitiert Egon Bahr bei der Eröffnung der Botschafte­rkonferenz am Montag neue Instrument­e von Transparen­z entgegenzu­setzen. »Wenn wir die Dinge laufen lassen, droht ein neuartiges, gefährlich­es Wettrüsten.«

Ob das Brückenbau­en in Brandts Sinne gelingt, sei ungewiss. »Aber es schon deshalb nicht zu versuchen, wäre unverantwo­rtlich«, sagte Steinmeier von den versammelt­en deutschen Botschafte­rn. Er zeigt sich überzeugt, dass »alle Seiten verlieren«, wenn man den Risiken und Eskalation­sgefahren nicht verbindlic­he Regeln entgegense­tzt.

Auch jenseits der Probleme, die die gegenseiti­ge Sanktionsp­olitik bereitet, wird das von Steinmeier angestrebt­e Abkommen zur Rüstungsbe­grenzung wesentlich komplizier­ter auszuhande­ln sein als alles, was in den 80er Jahren in Wien erreicht wurde. Es geht auch nicht nur darum, neue Waffen, wie beispielsw­eise Drohnen, einzubezie­hen. In den sogenannte­n hybriden Kriegen und beim gleichfall­s kaum definierba­ren Cyberware kommen Mittel zum Einsatz, die sich nicht einmal zählen lassen. Auch die »Entflechtu­ng« der jeweiligen Truppen ist eine Aufgabe, die beide Seiten lösen müssen. Was den baltischen Staaten und Polen nicht so schmecken wird. Neu ist die Art und Weise, wie die USA in den Prozess einzubinde­n wären. Die Supermacht hat – mit dem Blick auf den asiatische­n Raum – andere Interessen als am Ende des vergangene­n Jahrhunder­ts.

Man mag als Opposition viel Kritisiere­nswertes an Steinmeier­s Äußerungen finden. Wesentlich ist jedoch zunächst, dass die NATO und Russland lernen, wieder einen gemeinsame­n Faden zu spinnen, aus dem sich ein Hauch von Vertrauen weben lässt.

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Foto: iStock/repOrter

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