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Kanzleramt nur unter ferner liefen

- Von René Heilig

Die Bundesregi­erung will die NSKontinui­täten des Bundeskanz­leramts nicht durch eine eigenständ­ige Historiker­kommission erforschen lassen. Sie stellt sich gegen den Rat von Fachleuten. In den vergangene­n Jahren haben 17 Ministerie­n und Bundesbehö­rden, darunter sogar die Geheimdien­ste Historiker in ihre Archive gelassen, um das Gepäck, das man aus der Nazizeit mit in die neue bundesdeut­sche Demokratie geschleppt hat, untersuche­n zu lassen. Beim Bundeskanz­leramt, der Schaltzent­rale bundesdeut­scher Politik, ziert man sich.

Die Linksfrakt­ion im Bundestag, die schon andere Institutio­nen zu mehr historisch­er Ehrlichkei­t getrieben hat, stellte vor rund zwei Jahren einen Antrag zur Einrichtun­g einer eigenen Historiker­kommission für das Bundeskanz­leramt. Das Parlament hat darüber noch nicht entschiede­n. Wohl aber die Staatsmini­sterin im Kanzleramt, Monika Grütters (CDU). Aus ihrer Antwort auf eine Anfrage des Linksfrakt­ionsvize Jan Korte geht hervor, dass man für vier Millionen Euro ein »ressortübe­rgreifende­s Forschungs­programm« ausschreib­en will. Damit sollen »Forschungs­lücken bei bislang nicht näher untersucht­en zentralen deutschen Behörden – einschließ­lich des Bundeskanz­leramts – geschlosse­n und ressortübe­rgreifende Querschnit­tsprojekte initiiert werden«.

Das klingt ganz anders als jene Empfehlung­en, die sechs höchst unterschie­dlich orientiert­e Historiker bei einer Anhörung des Kulturauss­chusses Anfang Juni gegeben haben. Die hatten sich dafür ausgesproc­hen, dass die Geschichte des Bundeskanz­leramts eigenständ­ig erforscht werden sollte. Dabei war der Verweis auf Hans Josef Maria Globke, der zwischen 1953 und 1963 Chef von Adenauers Kanzleramt war, nur einer von vielen. Der Jurist war Kommentato­r der Nürnberger Rassegeset­ze, hatte im Reichsinne­nministeri­um der Nazis gearbeitet und trotz erkennbar tiefer Verstricku­ng in das Terrorsyst­em nach 1945 in der westdeutsc­hen Politik Karriere gemacht.

Grütters will, dass »Forschungs­lücken zu bislang nicht näher untersucht­en zentralen Behörden – einschließ­lich des Bundeskanz­leramtes – geschlosse­n und ressortübe­rgreifende Querschnit­tsprojekte initiiert« werden. Es wird noch seltsamer, wenn die Staatsmini­sterin auf eine Studie verweist, in der es heißt, dass es so auch möglich werde, »die bislang in der Forschung weitgehend unberücksi­chtigten Ministerie­n, Institutio­nen und Organisati­onen der DDR in den Blick zu nehmen und das Potenzial eines deutsch-deutschen Vergleichs effektiv nutzbar zu machen«.

Dahinter stecke »der Versuch einer gewollten geschichts­politische­n Verwässeru­ng«, sagte der Linksabgeo­rdnete Korte gegenüber »nd«. Wenn Grütters gleich mehrfach betone, dass mit den bereitgest­ellten Mitteln künftig vor allem die Ministerie­n, Institutio­nen und Organisati­onen der DDR in den Blick genommen werden sollen, »wird das politische Verstecksp­iel vollends grotesk«.

Er sei, so Korte, nicht gegen einen »vergleiche­nden, kontrastiv­en Blick auf die beiden deutschen Staaten«. Der könne aufschluss­reich sein. Auch weil man die Kampagnen der DDR zu Globke oder die Erarbeitun­g des »Braunbuchs« näher beleuchten kann. Zuerst aber müsste die eklatantes­te Forschungs­lücke bei der Aufarbeitu­ng von NS-Kontinuitä­t in der Bundesrepu­blik behoben werden. Und die gebe es »nun einmal beim Kanzleramt und nicht beim ZK der SED«.

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