Grüne: SPD soll vor der Wahl keine roten Haltelinien ziehen
Spitzenkandidaten attestieren Sozialdemokraten Furcht vor Veränderung, Geschichte beim Thema Autobahnverlängerung wiederhole sich nicht
»Mut zur Freiheit« ist das Motto, mit dem die Ökopartei bei den Wählern punkten will. Angstwahlkampf wie bei der CDU hält man für brandgefährlich. »Es geht um ein neues Miteinander«, sagt Landeschefin Bettina Jarasch vom Vierer-Spitzenteam der Grünen auf die Frage nach einer Koalition mit der SPD nach der Abgeordnetenhauswahl am 18. September. Spitzenkandidatin Ramona Pop findet die sozialdemokratische Wahlkampagne »stark bewahrend«. »Man spürt die Angst der SPD vor der Veränderung, die man gestalten muss.«
Im Gespräch mit »inforadio« äußerte der Regierende Bürgermeister und SPD-Spitzenkandidat Michael Müller, dass die Grünen nicht »wie vor fünf Jahren den Fehler machen, als sie gesagt haben, es gebe Themen, über die sie praktisch nicht reden können«. Gemeint ist damit die Verlängerung des Stadtrings A 100 über Treptow hinaus bis nach Prenzlauer Berg. Nach der letzten Wahl scheiterten die Koalitionsverhandlungen mit der Ökopartei unter anderem an diesem Punkt.
»Es gibt kein Volksbegehren für eine Autobahnverlängerung, sondern für eine Verbesserung im Fahrradverkehr«, sagt die Grünen-Fraktionsvorsitzende Antje Kapek. »Müller versucht wider besseren Wissens bei dem Thema die Geschichte zu wiederholen. Wowereit ist passé.«
Ziemlich genau vor fünf Jahren versuchte der damalige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) seinen potenziellen Koalitionspartner unter Druck zu setzen. »Es ist erschreckend, wie weit der Realitätsverlust in der SPD-Spitze bereits voran geschritten ist. Die Sozialdemokraten wären gut beraten, vor der Wahl keine roten Linien für Koaliti- onsgespräche zu ziehen«, so Kapek. »Mut zur Freiheit«, lautet jedoch der eigentliche Schwerpunkt der Grünen im Wahlkampf. »Für eine Politik ohne Angst« lautet die Überschrift der dreiseitigen Erklärung, die das Spitzenteam an diesem Dienstag am Rand des Tempelhofer Feldes, vorstellt.
»Burkapflicht für Henkel« hat ein Scherzkeks auf die Hauswand direkt gegenüber dem Parkeingang gesprüht. Der Wahlkampf der CDU mit ihrem Spitzenkandidaten, Innense- nator Frank Henkel, sei geprägt von »Zukunftspessimismus und Angst«, sagt Ramona Pop. »Pegida und andere haben einen nachhaltigen Schaden in unserer Gesellschaft hinterlassen«, attestiert Antje Kapek. Sie hält unter anderem die von der CDU losgetretene Debatte über ein Burkaverbot für »brandgefährlich«. Frauen im Burkini habe sie am Sonntag im Kreuzberger Prinzenbad das erste Mal bewusst wahrgenommen. Es habe sie bestürzt, als sie mitbekam, »wie angsterfüllt sie von manchen angeschaut wurden«.
Eine offene Gesellschaft sei keine Selbstverständlichkeit, sagt Bettina Jarasch. »Historisch ist sie eher eine große Ausnahme.« Nicht ohne Grund schaue man mit Besorgnis auf die am kommenden Sonntag in Mecklenburg-Vorpommern anstehenden Wahlen. Bis zu 21 Prozent Zustimmung erhält die AfD dort in Meinungsumfragen. Um die eigenen Wähler macht man sich bei den Grünen allerdings relativ wenig Sorgen. »Sie lassen sich weniger verunsichern«, sagt Jarasch.
Trotz aller Querelen wollen die Grünen mit der SPD koalieren, und zwar am Liebsten nur zu zweit, ohne die LINKE. »Das ist natürlich einfacher«, begründet Jarasch. »Vertrauen bei der Bevölkerung gewinnt man allerdings nicht mit permanenten Streitigkeiten mit dem Koalitionspartner«, sagt Antje Kapek.