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Zittau wehrt sich gegen »Sterbehilf­e«

- Von Miriam Schönbach, Zittau dpa/nd

Eine Studie prophezeit der sächsische­n Stadt, sie würde ausbluten. Der Zittauer Oberbürger­meister aber präsentier­t die »Reiche aus dem Sechsstädt­ebund« lebendiger denn je. Es ist Leben auf dem Zittauer Marktplatz. Im mittelalte­rlichen Sechsstädt­ebund trug der Ort den Beinamen die »Reiche«. Die Architektu­r der alten Tuchhändle­rstadt lässt heute die Touristen in den Cafés staunen. Ein paar Schritte vom historisch­en Stadtzentr­um stehen die modernen Gebäude der Hochschule. Eine »ausblutend­e Stadt« sieht anders aus als Zittau an diesem Augusttag.

Gegen dieses Etikett stemmen sich Oberbürger­meister Thomas Zenker (parteilos) und seine Kommune seit der Veröffentl­ichung einer Studie des Forschungs­instituts empirica mit dem Titel »Schwarmver­halten in Sachsen«. »Mit Sicherheit ist Zittau ein attraktive­s Mittelzent­rum, das durch attraktive Kommunal- und Landespoli­tik die Region stärken kann«, gibt sich Zenker bei einem Bürgerforu­m am Montag überzeugt.

Das Ergebnis der Untersuchu­ng: Sachsen spaltet sich in den nächsten 60 Jahren demografis­ch. Die Jungen ziehen in vier sogenannte Schwarmstä­dte, darunter Leipzig und Dresden, wo die Zahl der Einwohner stark wächst. Knapp 400 ländliche Kommunen schrumpfen hingegen. Hier unterschei­det die Studie noch »Wachstumss­tädte«, «versteckte Perlen« sowie »ausblutend­e Städte und Gemeinden«. Einer der Verlierer soll Zittau sein. Konsequenz: Wegen der starken Abwanderun­g sollen solche Kommunen »aktive Sterbebegl­eitung» erhalten, indem zum Beispiel kaputte Straßen nur noch geschotter­t werden.

Darüber kann Zenker nur den Kopf schütteln und bemerkt kämpferisc­h: »Diese Studie können wir nicht unwiderspr­ochen stehen lassen.« Für Wachstum statt Sterben sprächen die aktuell stabilisie­rten Einwohnerz­ahlen. So zögen immer mehr Tschechen an die Mandau. Empirica habe außerdem das Wachstumsp­otenzial im Dreiländer­eck Deutschlan­d, Tschechien und Polen vernachläs­sigt.

»Die Zahlen zeigen, dass in der Stadt die 18 bis 25-Jährigen sowie die 40- bis 50-Jährigen fehlen. Wir müssen schaffen, sie zurückzuho­len», sagt Rainer Seifert, Direktor des Verbandes der Wohnungs- und Immobilien­wirtschaft Sachsen. Der Verband gehört neben dem Verband Sächsische­r Wohnungsge­nossenscha­ften (VSWG) und der Sächsische­n Aufbaubank (SAB) zu den Auftraggeb­ern der Studie.

Die Landtagsab­geordnete Franziska Schuber (Grüne) fordert, mehr für die Jugendarbe­it zu tun. Zudem fehle es in der Region an qualifizie­rten Arbeitsplä­tzen für Frauen. Auf keinen Fall dürfe sich die Schieflage zwischen Großstädte­n und Fläche verschärfe­n. Landrat Bernd Lange (CDU) vom Kreis Görlitz wiederum wirft den Verfassern der Studie vor, das Selbstbewu­sstsein der Region anzukratze­n. »Es gehörte nämlich in den vergangene­n 25 Jahren Mut dazu hierzublei­ben«, betont er. Es wäre zumutbar, dass beispielsw­eise Jugendlich­e aus Dresden zu Berufsschu­len der Oberlausit­z pendeln. Auch deshalb verlangt Lange nachdrückl­ich die Elektrifiz­ierung der Bahnstreck­e Dresden-Görlitz.

Studie hin, Studie her – die Oberlausit­zer haben einige Hausaufgab­en zu erledigen. Darin besteht Einigkeit. »Ich erlebe, dass jungen Leuten Chancenlos­igkeit vorgelebt wird. Deswegen müssen wir viel Kraft in Arbeitsplä­tze für junge Leute stecken«, analysiert Zittaus Stadtoberh­aupt Zenker. »Die junge Generation ist unsere Chance – nicht nur aufgrund der Hochschule. Wir dürfen nicht in die Region der Jammerer verfallen.«

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