Knochen unterm Liebesnest
Skelettfund in Niedersachsens Landtag – Gebeine des verschollenen Grafen Königsmarck?
Bei Bauarbeiten am Landtag ist ein Skelett gefunden worden. Es könnten die Gebeine des Grafen Königsmarck sein, der vor 322 Jahren im Leineschloss verschwand und vermutlich dort ermordet wurde. »In einen Sack gesteckt und in die Leine geworfen hat man den. Alles andere ist Unfug!« Beim Richtfest zum Neubau an Niedersachsens Landtagsgebäude, dem Leineschloss, war 2015 unter Gästen ein althannoverscher Streit entflammt: Landete die Leiche des 1694 im Alter von 29 Jahren verschollenen Grafen Philipp Christoph zu Königsmarck in der Leine? In dem Fluss, in den auch der berüchtigte Serienmörder Fritz Haarmann in den 1920er-Jahren die sterblichen Überreste seiner Opfer warf? Oder war der lebenslustige Adlige im Schloss eingemauert worden?
Diese Vermutung könnte ein Skelett bestätigen, das Bauleute jetzt entdeckt haben. Tief unten im Leineschloss, das dem Grafen einst als Liebesnest für eine verbotene Beziehung diente. Mehrere hundert Jahre ist das Gerippe alt, belegen erste Untersuchungen. Es könnten von der Liegezeit her durchaus die Knochen Königsmarcks sein.
Was ihm und seiner Geliebten widerfuhr, klingt wie ein Herz-SchmerzRoman mit hochadligen Protagonisten. Zu ihnen zählt Prinzessin Sophie Dorothea von Braunschweig und Lüneburg. Gerade mal 16 Jahre jung, wird sie 1682 mit ihrem Cousin, dem künftigen König Georg I., verheiratet. Ungefragt, aus politischen Erwägungen.
Die anbefohlene Ehe ist mit Kindern, aber nicht mit Glück gesegnet. Glücklich wird Sophie erst mit ihrem heimlichen Liebhaber, dem Grafen Philipp von Königsmarck. Um 1692 beginnt das Verhältnis, zwei Jahre später fliegt es auf. Eine Gräfin von Platen, mit der König Georg seinerseits Ehebruch begeht, verrät die Affäre. Daraufhin verschwindet Kö- nigsmarck in der Nacht zum 11. Juli 1694 spurlos. Sophie wird streng bestraft: Schuldhafte Scheidung und lebenslange Verbannung auf das Schloss Ahlden bei Celle. Dort stirbt sie 1726.
Vermutet wird, dass Königsmarck in der fraglichen Nacht im Leineschloss getötet wurde. Auf Geheiß des Königs? Oder steckte hinter dem Auf- tragsmord die Gräfin Platen? Auch sie hatte eine Liaison mit dem Grafen, war aber von ihm verschmäht worden. Hatte sie, von Eifersucht geplagt, die Täter gedungen?
Davon geht Theodor Fontane aus, als er 1889 das Drama schildert, womöglich auf Grundlage mündlicher Überlieferungen. In seinen »Wanderungen durch die Mark Brandenburg« schreibt der Dichter weiter zu Königsmarck: »Seine Leiche versenkte man in einen senkrecht durch die ganze Höhe des Schlosses laufenden Kanal und mauerte diesen zu.«
Ein nasses Grab im Fluss habe der Graf gefunden, postuliert dagegen in den 1950er-Jahren der Geschichtsprofessor Georg Schnath. Der 1989 verstorbene Historiker hatte seinerzeit auf schriftliche Quellen verwiesen, welche seine Version vom Verbleib der Leiche stützen.
Immer neue Gerüchte waren Laufe der Zeit um das Ende Königsmarcks zu hören gewesen. Man habe ihn lebendig in einem Ofen des Schlosses verbrannt, hieß es, oder: Er wurde eingesperrt und im Verlies langsam vergiftet. Georg habe den Grafen im Duell getötet, behauptet eine Legende. Und eine andere: Bei diesem Zweikampf sei der Graf nur verwundet worden, deshalb habe ihn der König enthaupten lassen.
Weitere Untersuchungen des Skeletts werden nun folgen. Von DNAAnalysen ist die Rede, von Vergleich mit Genmaterial lebender Nachfahren Königsmarcks. Das Ergebnis wird mit Spannung erwartet, auch von jenen, die Zweifel am Grafen-Fund hegen und einwenden: Die Knochen könnten auch von einem Klosterfriedhof am Leineschloss stammen.