Was zu essen kaufen oder Briefmarken?
Zum zweiten Mal findet in Berlin das Festival »Pop-Kultur« statt. Ein Gespräch über Pop, Geld, Politik und den Underground
Aus der Berlin Music Week ist letztes Jahr das Festival »Pop-Kultur« geworden.Was ist jetzt anders als früher? Hossbach: Die Berlin Music Week war anders ausgerichtet als Pop-Kultur, als eine Art Messe, wo Menschen, die in der Musikindustrie arbeiten, zusammengekommen sind und – na, ich weiß nicht, ob sie da Geschäfte machten, aber zumindest standen sie herum und unterhielten sich. Das Abgeordnetenhaus von Berlin hat 2014 entschieden, dass die Berlin Music Week vom Musicboard ausgerichtet werden soll.
Und seit vom Senat Pop offenbar nicht mehr nur als Wirtschaftsfaktor betrachtet wird, sondern auch als Kulturangelegenheit, seid ihr als Kuratoren für diese Veranstaltung zuständig. Hossbach: Genau. Uns ist natürlich daran gelegen, dass Menschen aus der Industrie kommen und auch das Programm, das wir machen, gut finden und in der Folge vielleicht dann auch Geschäfte machen. Aber niemand geht da herum und fragt so etwas wie: »Haben Sie hier schon Verträge abgeschlossen?« Morin ( lacht): Naive Vorstellung. Hossbach: Die Music Week war eine Messe mit angeschlossenem Musikprogramm. Ich habe dort mal ein Gespräch moderiert und gemerkt, dass im Publikum eigentlich nur Leute aus der Industrie sitzen. Da redete man und niemanden interessierte es richtig. Mit »Pop-Kultur« wollen wir nun das Pferd wieder auf die Füße stellen. Die eigentliche Kunst oder Kultur sollte nicht mehr nur »Content« sein. In den letzten Jahren ging es nur um Plattformen, auf denen etwas stattfindet. Was darauf stattfand, war eigentlich egal geworden. Und wir haben gedacht, wir müssen uns mal wieder um Inhalte kümmern: Was drücken Leute eigentlich aus mit dem, was sie machen? Was haben sie eigentlich zu sagen? Was bedeutet das, was sie zu sagen haben? Das war uns verloren gegangen.
Also weg von der Werbe- und Verkaufsveranstaltung, hin zu einer solchen, die für Leute gemacht wird, die sich für Pop interessieren. Morin: Ja, das sind ja auch viele. Aber eine Menge Leute, die in dem Bereich arbeiten, interessiert das ja auch. Da- her bleibt es auch eine Veranstaltung für die Menschen, die in dieser Industrie arbeiten. Aber die unterhalten sich sowieso den ganzen Tag über die Zukunft des Streamings. Ich glaube nicht, dass man das noch auf weiteren Tagungen wiederholen muss. Wir haben versucht, das Programm zu öffnen, Gespräche für jeweils die Zeit anzusetzen, zu der die Leute aus dem Konzert kommen und sich mit der Musik auseinandersetzen wollen. Hossbach: Wir finden, dass man über Pop natürlich auch sehr gut reden kann, sogar reden muss, anstatt in einer reinen Konsumhaltung zu verharren. Wir lassen lieber Künstler miteinander sprechen. Oder wir versuchen, Themen zu finden, die normalerweise nicht verhandelt werden im Rahmen eines Festivals, z. B. Depressionen.
Vergangenes Jahr hat das Festival im Berghain stattgefunden. Wie kommt es zum Umzug nach Neukölln? Ist darin der Versuch zu sehen, Neukölln zu gentrifizieren? Hossbach: Um das Festival nicht zum Berghain-Festival zu machen, muss man weiterziehen. Vorrangig ging es um Infrastruktur: Wo gibt es Räume in einer bestimmten Anzahl und Größe auf einer bestimmten Dichte, die man bespielen kann? Was die Gentrifizierung angeht, da überschätzen Sie unseren Einfluss. Morin: Natürlich hat sich dort im Gegensatz zur Zeit vor der Maueröffnung, als ich in Neukölln wohnte, wo es praktisch gar nichts gab, viel angesiedelt, viele Musiker und Künstler. Hossbach: Ich wohne da seit 2004. Ich bin nicht stolz darauf, dass ich angefangen habe, das zu gentrifizieren. Als ich in die Straße, in der ich wohne, gezogen bin, gab es dort nichts. Heute gibt es einen Second-Hand-Laden für skandinavische Möbel aus den 60ern, einen Edelfriseur, einen itali- enischen Feinkostladen, ein italienisches Restaurant, ein teures SteakRestaurant. Das ist irre. Und das liegt auch daran, dass Leute wie ich dorthingezogen sind. Aber mit dem Popkulturfestival hat das nichts zu tun. Wir sind nicht die treibende gentrifizierende Kraft, wir sind da auch nur drei Tage. Als Festival sind wir möglicherweise nächstes Jahr schon wieder weg, in Mitte oder Wedding.
Das subkulturelle Berlin der 80er und 90er, also alles, was den »Mythos Berlin«, die unangepasste Kultur usw. ausmacht, erwuchs ja aus der geteilten und armen Stadt Westberlin oder, nach 1989, aus Ostberlin. Statt das zu erhalten, hat man in den letzten 15 Jahren politisch alles dafür getan, Berlin so langweilig wie andere Städte zu machen. Ist das nicht ein Problem? Hossbach: Die Frage ist immer, wie geht Underground und die Steuerung von oben zusammen. Kann man Underground sozusagen politisch von oben schützen? Das ist eine schwierige Frage. Es haben sich ja auch Leute zusammengetan, um bestimmte Orte nicht verlorengehen zu lassen.
Ist das nicht ein Widerspruch, dass man einerseits sagt, wir versuchen uns um den Underground zu kümmern, und andererseits ein Festival organisiert, das vom Senat finanziert wird? Am Ende macht man dann Berlin-Kultur-Reklame. Morin: Am Ende hat sich die Stadt auch mit dem, was wir in den 90ern an Kultur in besetzten Clubs wie dem »Eimer« gemacht haben, geschmückt, das tut sie immer. Eine Gesellschaft hat die Verpflichtung, bestimmte Mittel aus dem von der Gesellschaft Erarbeiteten in Bildung, Kultur, Wissenschaft, in Soziales zu stecken. Wir dürfen diese Mittel nicht nur den anderen Sparten überlassen. Es gibt im Pop Dinge, die können nicht überleben, sind kulturell aber genauso wertvoll wie Oper oder Theater. Deshalb kämpfen wir dafür, dass auch für diesen Bereich Geld aus dem öffentlichen Topf da ist. Das Musicboard, wo Künstler und Künstlerinnen die Möglichkeit haben, für Projekte Geld oder Stipendien zu beantragen, ist ein Teil davon. Ich selbst habe einmal, als es noch den sogenannten Senatsrockwettbewerb gab, für meine Band eine Förderung bekommen, um den TourBus zu bezahlen. Und wir hätten diese Tour nicht machen können. Es waren wirklich diese 2000 Mark, die wir gebraucht haben.
Es gibt also keinen Widerspruch zwischen sogenannter sperriger Kultur und jener, die gefördert und subventioniert wird? Hossbach: Nein. Wir lassen uns nicht ins Programm hineinreden. Niemand sagt uns: »Hier ist das Geld, jetzt macht bitte das.« So funktioniert das nicht.
Natürlich lässt man ein Pop-Festival wie dieses lieber von Underground-Experten machen. Dann kann die Kulturpolitik hinterher so tun, als sei Berlin nach wie vor die klasse Underground-Stadt. Morin: Ja, aber so ist das ja in allen Bereichen. Schauen Sie sich Castorf an. Die Volksbühne hat immer ein hohes Budget bekommen. Und er hat mit all dem Geld immer den Stinkefinger gezeigt, und am Ende hat sich die Stadt trotzdem mit ihm geschmückt. So funktioniert das eben. Im Grunde genommen habe ich alle Varianten durch. Ich habe auch die Do-It-Yourself-Sache durch, wo man Monat um Monat, ohne einen einzigen Euro zu verdienen, tolle Sachen macht und nicht krankenversichert ist. Das soll jetzt nicht klingen wie »Opa erzählt vom Krieg«. Aber es gab Momente, in denen ich dachte: Entweder ich kaufe mir jetzt was zu essen oder ich kaufe davon Briefmarken und wir finanzieren damit den Versand unserer Promo-Kassette an 50 Clubs. Geld von privaten Sponsoren zu nehmen, hat auch wieder Vor- und Nachteile. Dann bist du ein Sponsoring-Karneval mit begleitendem Musikprogramm. Oder du nimmst öffentliches Geld. Oder du machst Sachen, die sind so sehr Mainstream, dass sie sich immer rechnen.
Das abstoßende Vokabular, mit dem seitens der Kulturpolitik operiert wird – »Kreativ-Standort«, »Kreativwirtschaft«, »die Marke Berlin«, »Pop-Standort Berlin« – das weist doch darauf hin, dass es den Verantwortlichen weniger um Kunst als um Wirtschaftspolitik und Vermarktung geht. Hossbach: Ich kann es der Politik nicht verdenken, dass sie die Stadt attraktiver machen will, damit noch mehr Leute hierherkommen. Mir ist klar, dass das Berlin, das ich in den 90ern kennengelernt habe, so nicht mehr existiert. Ich heiße nicht alle Entwicklungen in der Stadt gut. Und dass ich jetzt möglicherweise Teil eines Stadtmarketings bin, dessen bin ich mir bewusst. Aber es gibt seitens der Politik punktuell ein Interesse an dem, was wir machen, und daran, warum wir es machen. Dass das positiv auf die Stadt abstrahlt oder auf Leute in anderen Städten, die überlegen, ob sie nach Berlin kommen, das nehme ich in Kauf. Gleichzeitig ist es auch irre, dass wir machen können, was wir wollen. Als ich bei Universal Music, der größten Plattenfirma der Welt, gearbeitet habe, war ich viel weniger frei. Morin: Natürlich hat die Politik bestimmte Erwartungen an Kultur und bestimmte Interessen. Die Politik muss die Rahmenbedingungen schaffen für die Kultur, sollte sich aber nicht in die Inhalte einmischen. In Deutschland ist durch die Trennung von Hoch- und Populärkultur eine künstliche Grenze entstanden. Auch weil Pfründe gesichert wurden, man den anderen nichts abgeben wollte oder sagte: »Das ist keine Kunst.« Man hat eine Schranke aufgebaut, die langsam löchriger wird. Ein Ort wie die z.B Volksbühne repräsentiert genau das, die durchlöcherte Grenze zwischen Populär- und Hochkultur.